# taz.de -- Nutzen einer Therapie: Auf die nächsten sechs Jahre | |
> Viele Menschen denken, durch eine Therapie würde man „repariert“. Unsere | |
> Autorin brauchte selbst lange, bis sie verstand, dass das nicht möglich | |
> ist. | |
Bild: Wo klemmt's denn? | |
Seit knapp sechs Jahren führe ich eine Beziehung; die vermutlich stabilste | |
meines bisherigen Lebens. Anfangs sahen wir uns einmal die Woche, | |
mittlerweile zweimal. Zögerlich öffnete ich mich, sprach von vergangenen | |
Liebschaften und Verletzungen, [1][über meine Ängste] und Wünsche und | |
irgendwann sogar über meine Kindheit. | |
Die Rede ist von meinem Therapeuten. Und die Beziehung ist natürlich eine | |
rein professionelle. Sechs Jahre, werden sich manche denken, und sie ist | |
immer noch nicht „geheilt“? Bringt so eine Therapie dann überhaupt etwas? | |
Ja, tut sie. „Vielerorts hat sich die Überzeugung durchgesetzt, psychische | |
Heilung bestünde darin, dass man einige halb verdrängte dramatische | |
Ereignisse in seinem Leben ausfindig macht und die damit verbundenen | |
schmerzhaften Erinnerungen, Gedanken und Gefühle bespricht, woraufhin sich | |
die psychischen Schwierigkeiten auflösen würden“, schreibt Daniel Schreiber | |
in seinem Buch [2][„Zuhause“]. | |
Auch ich habe lange geglaubt, eine Therapie sei dafür da, ein spezifisches | |
Trauma in meiner Biografie aufzuspüren, etwas daran herumzukneten und es | |
durch einen magischen Kniff zu lösen. Dass dem nicht so ist, merke ich, | |
seitdem ich eine Psychoanalyse mache, die sich dadurch auszeichnet, dass | |
man immer wieder auf dieselben Probleme und Schmerzen zu sprechen kommt. | |
Klingt anstrengend? Ist es auch. | |
Ohne Anstrengung und vor allem Zeit geht es leider nicht. Dass man davon | |
viel investieren muss (wenn auch nicht immer gleich sechs Jahre), mag | |
anfangs nicht immer klar sein. Hätte ich es gewusst, ich weiß nicht, ob ich | |
je angefangen hätte. Ob ich dann aber noch hier wäre, gar die Möglichkeit | |
hätte, darüber zu schreiben? I doubt it. | |
## Lernen, Schmerzen zu erkennen | |
Denn besonders bei einer wiederkehrenden sogenannten [3][rezidivierenden | |
depressiven Störung] ist eine Therapie unerlässlich. Obwohl sie vielleicht | |
nicht reparieren kann, was irgendwann kaputtgegangen ist, lehrt sie, | |
Schmerzen, Ängste und Probleme zu erkennen. Ich stelle mich ihnen | |
regelmäßig in einem geschützten Raum, verleugne sie nicht, und wenn doch, | |
ist da jemand, der mich darauf hinweist. Das braucht Kraft, macht aber auch | |
stark, weil man sich selbst zu ermächtigen lernt. | |
Ich schreibe das, weil ein Familienmitglied kürzlich sagte: „Sie macht doch | |
Therapie, warum fühlt sie sich dann noch so?“ Gemeint war in dem Fall nicht | |
ich, aber dennoch erschütterte mich die Aussage. Auch, weil ich meine | |
eigene Erwartung darin wiedererkannte. Dass Dinge, mit denen ich hadere, | |
die einer therapeutischen Behandlung bedürfen, behoben werden – ich quasi | |
repariert werde. | |
Lisa McMinn, die im Dezember [4][einen Text über ihre Angststörung im | |
Zeitmagazin veröffentlichte], schrieb darin, dass sie sich von der | |
Erwartung, repariert zu werden, nun trenne. Ich werde mir daran ein | |
Beispiel nehmen und das zu meinem verspäteten Neujahrsvorsatz machen. Also | |
auf die nächsten sechs Jahre! | |
13 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Panikattacken-in-der-Bahn/!5806000 | |
[2] /Daniel-Schreibers-neues-Essaybuch/!5388300 | |
[3] https://www.therapie.de/psyche/info/index/icd-10-diagnose/f3-affektive-stoe… | |
[4] https://www.zeit.de/zeit-magazin/2021/48/panikattacken-angst-therapie-medik… | |
## AUTOREN | |
Sophia Zessnik | |
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