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# taz.de -- Meine Impfung am Hauptbahnhof: Ein mieses Gefühl
> Ich dachte, ich hole mir mal eben den Booster im Vorübergehen in einem
> neuen Impfzentrum am Hamburger Hauptbahnhof. Es war eine schlechte Idee.
Bild: Impfen im Neonlicht: Der Hamburger Hauptbahnhof
Warum bin ich nicht cool? Warum bin ich so wenig entspannt? Oder anders
gefragt: Warum bin ich so leicht zu erschrecken? Und so stehe ich am
vorletzten Sonntagmorgen vor einem neuen Impfzentrum im Hamburger
Hauptbahnhof zwischen den Gleisen 5 und 6. Links eine Raucherkneipe, rechts
die Schließfächer. Dazwischen ein Raum, die Tür und die Fenster abgeklebt,
da geht es rein. HSV-Fans ziehen vorbei, sie grölen angemessen
vorbetrunken.
Die sechs Monate meiner Zweitimpfung laufen bald ab, die steigenden
Fallzahlen, diese Sache mit der Omikron-Variante setzt mir zu. Und ich sage
mir: ‚Komm’, mach das einfach, Augen zu und durch, was soll schon
schiefgehen‘. Impfen ohne Tamtam, so im Vorübergehen, niedrigschwellig.
Dabei habe ich studiert.
Drinnen dann ein Schwung junger Leute an einem langen Tisch wie Hühner auf
der Stange, klein und eng ist der Raum. Manche tragen Maske und Kittel.
Niemand fragt mich irgendetwas. Niemand stellt sich vor. Es ist alles etwas
schmuddelig, Bahnhof halt. Dazu grelles Neonlicht, es hat was von –
Drogenküche.
Warum habe ich nicht wenigstens halblaut gesagt: ‚Ihr spinnt hier doch
alle!‘ Und bin einfach gegangen. Aber ich krempele gehorsam meinen linken
Hemdsärmel hoch, setze mich auf einen wackeligen Stuhl und ein junger Mann
im Lieferdienst-Ausfahrer-Alter nimmt eine der vorgefertigten Spritzen,
wortlos. Dann gehe ich wieder, der ICE nach Chur fährt gerade ein, mit –
Achtung! – geänderter Wagenreihung.
Und nun weiß ich: Das Ordnungsamt war da, hat versiegelt; die Polizei kam
und hat mitgenommen, was noch übrig war, vermutlich vieles Lug und Trug.
Nur in welchem Ausmaß, das bleibt offen.
## Stochern im Nebel
Aber ich bin Journalist, Recherche mein zweiter Vorname. Allein: Ich komme
nicht weit. Die Gesundheitsbehörde verweist an das Bezirksamt Mitte, das
verweist an die Sozialbehörde und die an die Staatsanwaltschaft. Die
ermittelt und wer weiß, wie lange das dauern kann. Was ich dagegen weiß:
Die Behörden kontrollieren private Impfzentren erst, wenn etwas vorgefallen
ist. Nicht vorher.
In der Tagespresse ist immer wieder von einem ominösen Arzt als
Verantwortlichen die Rede, der nicht zu erreichen sei. Und die Buchstaben
T. und B. werden genannt. Aber sind wir hier bei Harry Potter, wo es einen
gibt, dessen Name nicht genannt werden darf? Der Mann, mit dessen Name der
neue Eintrag in meinen gelben Impfausweis gestempelt wurde, kann auf
diverse Strafverfahren zurückblicken, Sohn eines Bausenators und
langjährigen Ärztekammerpräsidenten, meine Freunde haben sofort gelacht,
als ich das erzählt habe, dabei muss das rein gar nichts bedeuten.
Und nun? Bin ich geboostert oder bin ich nicht geboostert? Eine Frage nicht
nur für die nächste Hamlet-Adaption in der Garage im Thalia in der
Gaußstraße. Trotz vieler Telefonate: Niemand hat sie mir beantwortet.
Aber das Gute am Nicht-cool-sein ist: Man macht sich keine Illusionen. Man
weiß, wenn man verloren hat, hat man verloren. Und so werde ich zu meinem
Hausarzt gehen, wenn er eines Tages Termine hat und sagen: „Sorry, Doc,
aber ich bin fremdgegangen.“ Werde erzählen, dass ich nicht ich selber war,
kurzzeitig verwirrt, die Hormone. Aber dass es nicht wieder vorkommt. Nie
wieder. Versprochen. Und auf die vierte Impfung hoffen, von der bald alle
reden.
15 Dec 2021
## AUTOREN
Frank Keil
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Hamburg
Impfung
Hauptbahnhof
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Schwerpunkt Rassismus
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