| # taz.de -- taz.berlin-Adventskalender (11): Einmal im Jahr „Last Christmas“ | |
| > Der erste Besuch auf einem Weihnachtsmarkt überhaupt ist die perfekte | |
| > Zeit für überraschende Geständnisse. | |
| Bild: So sieht Weihnachten aus in Berlin: Markt in der Kulturbrauerei | |
| Vorweihnachtshektik, unter coronabedingten Masken noch anonymer, | |
| Begegnungen finden in Eile und mit Sicherheitsabstand statt. Und dann | |
| öffnet sich plötzlich doch manchmal eine Tür: eine freundliche Geste, eine | |
| Hilfeleistung, ein Gespräch. Die taz.berlin berichtet in ihrem | |
| Adventskalender 2021 von solchen Türchen, die die Anonymität einen Moment | |
| vergessen lassen. | |
| Es ist erst 16 Uhr, doch draußen ist es bereits dunkel. Nicht aber auf dem | |
| Weihnachtsmarkt in der Kulturbrauerei. Kaum haben wir den Eingang betreten, | |
| springen uns hell leuchtende Weihnachtsstände mit Glühweinduft entgegen. | |
| Überall stehen Tannenbäume mit Lichterketten, irgendwo mittig blinkt ein | |
| Rentier. | |
| „Was willst du essen?“, frage ich meine Begleitung und versuche, sie nicht | |
| aus den Augen zu verlieren. Trotz oder gerade wegen der hohen Inzidenzen | |
| ist der Markt an diesem Sonntag gut besucht. Vermutlich haben alle dieselbe | |
| Sorge wie wir – dass er ab nächster Woche geschlossen wird. | |
| Meine Begleitung, gleichzeitig mein Tanzpartner, sieht sich etwas | |
| unbeholfen um. Er ist Brasilianer und kam vor drei Jahren nach Deutschland. | |
| Unsere Konversation verläuft auf Englisch, und wenn wir mal nicht am Tanzen | |
| sind, bereiten wir uns gegenseitig kulinarische Spezialitäten des eigenen | |
| Heimatlandes zu. Nun stehen wir nebeneinander und essen deutschen | |
| Kartoffelpuffer. | |
| „Ziemlich sicher, dass ich das zum ersten Mal esse“, sagt er und schmiert | |
| sich Apfelmus auf seinen Puffer. „Is sehr lecker.“ Schon während des Essens | |
| will er wissen, wie man das Gericht zubereitet. Ich habe keine Ahnung, denn | |
| ich koche nie deutsch. | |
| Beiläufig erzählt er mir, dass es auch sein erstes Mal sei, einen | |
| Weihnachtsmarkt zu besuchen. Ich schaue irritiert von meinem Teller auf, | |
| doch er isst ungerührt weiter. | |
| „Ich hab’s einfach nie verstanden. Warum sollte man zum Weihnachtsmarkt | |
| gehen, um überteuerten Glühwein zu trinken? Kann man doch auch zuhause | |
| zubereiten.“ | |
| ## Weihnachtsstimmung?! | |
| Mir fallen keine Argumente ein, als dass so ein Markt eine | |
| Weihnachtsstimmung hergibt. Gleichzeitig wundere ich mich dass wir hier | |
| sind, denn der Besuch war seine Idee. | |
| „Und wie findest du's?“, frage ich. Er pustet in seinen Glühwein und gibt | |
| zu, dass es ihm gefällt – und dass er den Hype um Weihnachtsmärkte | |
| nachvollziehen kann. Nicht, weil der Glühwein besonders würzig ist, aber | |
| weil die Atmosphäre schön ist. Kinder hüpfen aufgeregt auf Trampolinen rum, | |
| Freunde teilen sich Crêpes. Fehlt nur noch die Musik. | |
| Auf dem Heimweg beichte ich, dass ich es nicht schlimm finde, einmal im | |
| Jahr Last Christmas zu hören. Mein Tanzpartner lacht und erklärt mir, dass | |
| es eine Bachata Version davon gibt. Wenn wir also das nächste Mal unsere | |
| Schritte üben, verspricht er mir, wird unsere Musik auch etwas | |
| Weihnachtsstimmung hergeben. | |
| 11 Dec 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Shoko Bethke | |
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