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# taz.de -- Kräfteverschiebung im Handball: Der Norden ist eingeholt
> Weder die SG Flensburg-Handewitt noch der THW Kiel stehen derzeit an der
> Spitze der Handballbundesliga der Männer. Das ist ungewohnt, aber
> logisch.
Bild: Trifft wieder: Flensburgs Lasse Svan, hier im Juni 2021
Hamburg taz | Die Abwesenheit eines Linkshänders im Rückraum kann die ganze
Architektur eines Handballspiels verändern. Wochenlang versuchte sich die
SG Flensburg-Handewitt mit einem fachfremden Spieler auf dieser Position –
alle Profis, die mit der linken Hand werfen und passen können, waren
verletzt. Die Folgen sind in einem fein austarierten Spiel wie Handball
schwerwiegend: Spielt ein Rechtshänder die Linkshänder-Rolle im Rückraum,
ist nicht nur sein Wurfkorridor Richtung Tor verengt. Auch der Pass zum
Rechtsaußen ist für ihn technisch kompliziert – und ungewohnt.
In der Folge verhungert der Rechtsaußen regelrecht. Und die gegnerische
Abwehr wusste bislang immer, dass von der rechten Flensburger
Angriffs-Abteilung kaum Gefahr drohte. Sie verschob entsprechend zur
anderen Seite, machte dort die Räume eng, unterband das Kreisläuferspiel:
Das gesamte Spiel der SG geriet ins Stocken, wurde ausrechenbar. So
gewannen die Flensburger zum Saisonstart in allen Wettbewerben nur eines
von sieben Spielen. „Wir sind aktuell nicht wettbewerbsfähig“, stöhnte
Trainer Maik Machulla.
Doch seit dem 19. Oktober blüht die Hoffnung wieder, der Saison doch noch
etwas Positives abgewinnen zu können: An diesem Tag kam der Linkshänder
Teitur Einarsson zur SG. Ein klassischer Notkauf. Um nicht alle Ziele
abzuschreiben, holte Flensburg den Isländer aus der dänischen Liga. Und
sofort änderte sich die Statik des Spiels. Einarsson ist kein
Weltklasse-Akteur. Aber er hat Wucht aus dem Rückraum – und bezieht
Rechtsaußen Lasse Svan ins Spiel ein.
Am Samstag, beim 31:26-Sieg gegen die Rhein-Neckar Löwen, warf Svan fünf
Tore. Das gesamte Flensburger Spiel ist nun wieder breiter angelegt; die
Einbeziehung aller ist eine traditionelle Stärke der SG. Auch die
eingeplanten Halbrechten Magnus Rød und Franz Semper sind nach ihren
Verletzungen zurück oder werden es bald sein. „Wir sind auf dem richtigen
Weg“, sagte Machulla nach dem zweiten Sieg mit fünf Toren Vorsprung gegen
einen renommierten Kontrahenten aus der Liga – erst am Mittwoch hatte die
SG den Füchsen Berlin die erste Saisonniederlage beigefügt.
## Flensburgs Kader war zu klein
Die befleckte Weste hat sich der Verein allerdings selbst zuzuschreiben.
Das Aus im DHB-Pokal und der schwache Start in die Champions League sind
auch deswegen malheurt, weil der Kader einfach zu klein war, mit dem
Flensburg in die Saison ging. Allen war klar, dass eines mangels Ersatz
nicht passieren durfte: dass Magnus Rød ausfällt. Das geschah dann Anfang
September. Die SG begann zu straucheln.
Plötzlich waren nur noch elf spielfähige Profis da. Hektisch füllten
Machulla und Manager Dierk Schmäschke den Kader auf; aus dem Nachwuchs
(Oscar von Oettingen), mit Spielern anderer Klubs (Julius Meyer-Siebert),
oder Reaktivierten aus dem Ruhestand (Michael Müller). Während dessen
gewann der souveräne Tabellenführer SC Magdeburg Spiel um Spiel. Dieser
hatte den Kader für die aktuelle Spielzeit extra auf 17 Profis aufgestockt.
Das zahlt sich gerade aus. Beim deutlichen Sieg in Berlin am Samstag durfte
sich Spielmacher Philipp Weber volle 60 Minuten ausruhen.
Flensburg hat inzwischen sechs Minuspunkte gesammelt, längst sind andere
die Favoriten. Und auch andere als der THW Kiel: Der [1][Meister der Jahre
2020 und 2021] kämpft diese Serie mit ähnlichen und doch anderen
Widrigkeiten. Viele Akteure sind nach der langen Coronasaison und
Olympischen Spielen im Anschluss müde.
Während bei Flensburg Spielmacher Jim Gottfridsson das galaktische Niveau
der Vorsaison verpasst, mangelt es dem Kieler Sander Sagosen an Energie für
seine kraftraubende Spielweise. Bei der Heimniederlage gegen den SC
Magdeburg Ende Oktober gewann der SCM in typischer THW-Manier: nicht
nachlassen und am Ende die zwei, drei besseren Aktionen haben.
Im Spitzenspiel fehlten Sagosen und Steffen Weinhold nach Impfdurchbrüchen.
Eigentlich kann der breit besetzte Kieler Kader solche Ausfälle auffangen.
An diesem Nachmittag nicht – Magdeburg hatte personell die besseren
Alternativen.
THW-Trainer Filip Jicha will stets das Letzte aus seinen Spielern
herausholen. Im Training, und in den Partien sowieso. Als strenger Chef mit
großen Erwartungen ist er kein Spielerversteher. Doch aus müden Profis
lässt sich manchmal nichts mehr herauspressen. Die Beine waren wie gelähmt,
als Kiel sensationell deutlich beim Aufsteiger Lübbecke verlor. Und von der
mentalen Stärke des THW war auch nichts übrig. Anders am aktuellen
Spieltag: Am Sonntag siegten die Kieler deutlich gegen Hannover-Burgdorf.
Bei der Niederlage gegen Lübbecke und auch bei manchem erzitterten Sieg gab
es zudem erste Anzeichen, dass in Kiel der nächste Umbruch bevorsteht. Die
Kern-Spieler Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler, Steffen Weinhold und Domagoj
Duvnjak haben das vierte Lebensjahrzehnt erreicht und Hunderte von harten
Kämpfen in den Knochen. Viel Arbeit also für Geschäftsführer Viktor
Szilagyi.
Zumal die erdachte Hauptfigur des THW der zwanziger Jahre dem Verein den
Rücken kehrt: 2023 wird Sander Sagosen nach Trondheim zurückkehren und dort
für Kolstad Handball spielen. Das war ein harter Schlag für die Kieler
Planungen. Zumal sich die Frage stellt, ob die Macher hinter dem
ehrgeizigen Projekt in Mittelnorwegen nicht versuchen werden, Sagosen
bereits für die nächste Saison loszueisen. Die Unruhe in der Mannschaft
soll durch den sich abzeichnenden Sagosen-Abgang jedenfalls beträchtlich
sein.
## Starke Organisationen
Auch die SG leidet unter dem Kolstad-Projekt. Magnus Rød, Sagosens guter
Freund, zieht es 2023 ebenfalls nach Hause. Der Verlust des Linkshänders
wiegt ähnlich schwer, ist Rød doch auch ein hervorragender Abwehrspieler.
Weil er verletzt war, als die Gerüchte aufkamen, und Flensburg ohnehin
genug Sorgen hatte, wurde das Thema in Flensburg allerdings nicht so groß.
Verletzungen, müde Spieler, die Folgen des millionenschweren Projekts in
Trondheim, Corona, hausgemachte Fehler und dazu eine Liga, die immer
ausgeglichener wird: Es gibt viele Gründe, warum THW und SG die Liga nicht
mehr so dominieren wie in den Jahren zuvor. Beide Organisationen sind
allerdings stark genug, das auszuhalten. In Kiel ist Filip Jicha
unangetastet. In Flensburg verlängerte Maik Machulla seinen Vertrag. Und
dass [2][Magdeburg die Schwächen der Nordklubs ausnutzt], ist im Sinne der
Spannung und Unterhaltung nur zu begrüßen.
15 Nov 2021
## LINKS
[1] /THW-Kiel-wird-hauchduenn-Handball-Meister/!5778899
[2] /Handball-Revolution-in-Magdeburg/!5811072
## AUTOREN
Frank Heike
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