# taz.de -- Intensivmediziner über Lage in Kliniken: „Oftmals am Limit“ | |
> In den Krankenhäusern liegen immer mehr Covid-Patient:innen. Der | |
> Hamburger Klinikdirektor Stefan Kluge erwartet, dass die Zahl noch | |
> steigt. | |
Bild: Medizinisches Personal bei der Versorgung einer an Covid-19 erkrankten Pe… | |
taz: Herr Kluge, die [1][Corona-Neuinfektionen] sind hoch, Ihre | |
Kolleg:innen warnen vor einer drohenden Überlastung der Krankenhäuser. | |
Wie macht sich die aktuelle Lage im UKE bemerkbar? | |
Stefan Kluge: Es ist wie in der Vergangenheit auch: Den Anstieg der | |
Infektionen merken wir in den Kliniken erst verzögert. Die Personen, die | |
positiv getestet werden, kommen erst etwa zehn Tage später ins Krankenhaus, | |
weil sie erst dann entsprechend krank werden. Insofern erwarte ich in | |
Hamburg und den Bundesländern, in denen die Inzidenzen weiter hochgehen, in | |
den nächsten Wochen auch [2][ansteigende Patient:innenzahlen]. | |
Nun haben wir aber auch die Impfungen, die Menschen sehr gut vor Ansteckung | |
und schwerer Erkrankung schützen. | |
Obwohl mittlerweile viele Menschen geimpft sind, gibt es nach wie vor eine | |
Korrelation zwischen hohen Infektionszahlen und der Krankenhausbelegung, | |
weil das Infektionsgeschehen diffus ist. | |
Inwiefern? | |
Wir wissen, dass sich zurzeit [3][insbesondere Kinder, Jugendliche und | |
junge Erwachsene infizieren], und die werden sehr selten schwer krank. Aber | |
es wird häufig ausgeblendet, dass kein Kind alleine wohnt, sondern da | |
Eltern, Großeltern und andere Kontakte sind. Wenn ein Kind positiv ist, | |
dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich auch die Familie und das Umfeld | |
infiziert, gerade bei der sehr ansteckenden Deltavariante, sehr hoch. Und | |
wenn darunter ein ungeimpfter, 70-jähriger Großvater ist, dann haben wir | |
ein Problem. | |
Was für Patient:innen behandeln Sie denn gerade? | |
Wir behandeln auf der Intensivstation überwiegend ungeimpfte Patienten mit | |
Risikofaktoren wie höheres Lebensalter, Übergewicht, | |
Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Das Alter geht von 25 bis 75 | |
Jahre. Viele haben eine Sprachbarriere. | |
Glauben Sie also, dass die Impfkampagne noch nicht alle Menschen erreicht | |
hat? | |
Ja, das sehe ich so. Wir haben bei uns immer mal einzelne Impfgegner auf | |
der Intensivstation liegen, die anderen, die nicht geimpft sind, würde ich | |
als Impfzauderer bezeichnen. Diese Menschen sind nicht abgeholt, nicht | |
ausreichend informiert worden. Und wenn ich durch Hamburg fahre und gucke, | |
wo ich mich impfen lassen kann, dann sehe ich nicht genug Angebote. | |
[4][Bremen mit höherer Impfquote] hat hier anscheinend mehr Menschen | |
erreicht. | |
Nach Angaben der [5][Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- | |
und Notfallmedizin (Divi)] stehen rund 4.000 Intensivbetten weniger zur | |
Verfügung als noch Anfang des Jahres. Warum ist das so und macht sich das | |
auch bei Ihnen bemerkbar? | |
Das macht sich in ganz Deutschland bemerkbar und auch hier bei uns. Durch | |
den deutschlandweiten Mangel an Pflegekräften hatten wir auch schon vor der | |
Pandemie gesperrte Intensivbetten. Die Belastungen der Pandemie haben | |
zusätzlich für einen [6][Pflexit] gesorgt: Viele Pflegende haben ihre | |
Arbeitszeit reduziert oder sich nach anderen Berufen umgesehen. Das sorgt | |
dafür, dass wir weniger Betten betreiben können. | |
Im vergangenen Jahr wurde ein System entwickelt, wonach | |
[7][Patient:innen verteilt werden können]. Gilt das weiterhin? | |
Wir haben in Hamburg immer auch Patient:innen aus Niedersachsen und | |
Schleswig-Holstein behandelt und das ist auch jetzt so. Und es wird auch | |
auf uns zukommen, dass Patient:innen innerhalb von Deutschland verlegt | |
werden müssen. Aber das Ganze ist ein unheimlicher organisatorischer | |
Aufwand. Es ist auch für Patient:innen nicht angenehm, Hunderte | |
Kilometer transportiert zu werden. Auf dem Papier klingt das alles gut, | |
aber es ist eher eine Notlösung. Ich gehe davon aus, dass auf Sicht auch | |
eine Diskussion einsetzen wird, inwiefern welches Bundesland | |
Patient:innen aufnehmen kann. Die Krankenhäuser arbeiten oftmals am | |
Limit. | |
In der Vergangenheit mussten auch Operationen verschoben werden, droht das | |
nun wieder? | |
Erste Kliniken in Bayern oder Thüringen haben bereits damit angefangen. Die | |
Patient:innen, die nach einer Operation auf einer Intensivstation liegen, | |
haben in der Regel keine Hüftprothese. Das sind Menschen nach großen | |
Herzoperationen, nach Tumoroperationen oder Transplantationen. Und diese | |
Patient:innen können nicht monatelang auf eine Operation warten. Meine | |
Sorge ist im Moment, dass andere Patient:innen – Notfallpatient:innen, | |
aber auch die, die relativ kurzfristig operiert werden sollten – unter der | |
Coronasituation leiden werden. Im Moment ist das bei uns noch nicht so, | |
aber wenn ich mir die Zahlen anschaue, gehe ich davon aus, dass auch in | |
Hamburg in den kommenden Wochen OPs verschoben werden. | |
Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung denn notwendig, damit die Überlastung | |
der Kliniken verhindert wird? | |
Wir haben alle Maßnahmen an der Hand: die Impfungen, das [8][Masketragen], | |
den Abstand, das Testen. Es muss darum gehen, diese Dinge | |
aufrechtzuerhalten. Aber die Impfquoten sind noch nicht ausreichend, wir | |
haben zu wenige mobile mehrsprachige Impfteams und es wird überall | |
suggeriert, dass wir die Masken nicht mehr brauchen. Dann das [9][Ende der | |
epidemischen Lage von nationaler Tragweite] … | |
Das halten Sie für keine gute Idee? | |
Es wird suggeriert, wir hätten alles im Griff und müssen uns keine Sorgen | |
mehr machen. Stattdessen hätte man sagen müssen: Jetzt kommt der Herbst und | |
der Winter, wir brauchen die Maskenpflicht in vielen Situationen und müssen | |
besonders vorsichtig sein. Viele Menschen sind auch einfach verwirrt. Ich | |
muss auch gestehen, wenn ich von Hamburg nach Niedersachsen fahre, weiß ich | |
ad hoc auch nicht, wie dort die Regeln sind. Wir hätten vor der vierten | |
Welle einheitliche bundesweite Regeln gebraucht. Diese Unterstützung haben | |
wir nicht bekommen und das ist extrem schade. | |
4 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Marthe Ruddat | |
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