# taz.de -- Berliner Kiezhausmeister: Ruckzuck, erledigt | |
> Sieben Kiezhausmeister sorgen dafür, dass die Straßen und Parks von | |
> Friedrichshain-Kreuzberg ein wenig aufgeräumter sind. Ingo Becker ist | |
> einer davon. | |
Bild: Kiezhausmeister Ingo Becker im Görlitzer Park | |
BERLIN taz | Über den Mariannenplatz fegt der Wind. Unwillig streicht sich | |
Ingo Becker die Strähnen zurück, die sich aus seinem Pferdeschwanz gelöst | |
haben. Es stört ihn, wenn ihm die Haare bei der Arbeit ins Gesicht wehen. | |
Becker ist Kiezhausmeister in [1][Friedrichshain-Kreuzberg]. Dass er den | |
Müll von anderen Leuten wegräumt, stört den 51-Jährigen hingegen gar nicht. | |
Wie geschaffen sei der Job für ihn, sagt der Mann und lacht: „Ich bin ein | |
Draußen-Typ.“ | |
Sieben Kiezhausmeister hat der Bezirk im Juli eingestellt. Vorbild ist | |
Neukölln, dort gibt es seit 2019 fünf Kiezhausmeister, eine Frau ist | |
darunter. Die Projekte sind bei freien Trägern angesiedelt und werden aus | |
Landesmitteln finanziert. 250.000 Euro hat Friedrichshain-Kreuzberg für das | |
Kiezhausmeisterprojekt erhalten. Allerdings laufen die Mittel am 31. | |
Dezember 2021 aus. | |
Ende Oktober hat die taz Ingo Becker ein paar Stunden auf seiner Tour | |
begleitet. Sein Revier ist das östliche Kreuzberg, Endpunkt ist der | |
S-Bahnhof Warschauer Straße. Wir treffen uns am Feuerwehrbrunnen am | |
Mariannenplatz. Becker kommt mit seinem E-Bike. Jeder Kiezhausmeister hat | |
ein E-Bike mit einem Lastenanhänger. Von der Bohrmaschine über Leiter, | |
Eimer, Handschuhen und Müllsäcken gibt es in der Kiste fast alles. | |
Vier Meter lang ist das gesamte Gefährt. Becker hat Holzlatten mitgebracht. | |
An den Bänken am Mariannenplatz fehlen Sitzleisten. Auf dem Boden breitet | |
er eine Schutzfolie aus, schiebt sich darauf unter eine der Bänke und | |
montiert die fehlende Latte mithilfe seines Akkuschraubers. „Wieder eine | |
Bank gerettet“, sagt er fröhlich. | |
## Keinen festen Aufgabenkatalog | |
Das Logo auf seiner blauen Fleecejacke weist Becker als Mitarbeiter des | |
Bezirksamts aus. Die Kiezhausmeister unterstehen dem Grünflächenamt. Auch | |
der Viktoriapark und der Volkspark Friedrichshain gehören zu den Revieren. | |
Im Winter geht ihre Schicht von 9.30 Uhr bis 18 Uhr. | |
Im Sommer verschiebt sich die Arbeitszeit auf den Nachmittag und Abend. | |
Einen festen Aufgabenkatalog gibt es nicht, aber Tourenpläne, damit das | |
Grünflächenamt weiß, wo die einzelnen gerade sind. | |
Kleine Reparaturen führt Becker selbst aus, größere Schäden dokumentiert er | |
auf einer App. Die Meldungen schickt er direkt ans Ordnungsamt. So gehe die | |
Bearbeitung schneller, sagt Becker. Beim Sperrmüll klappe es am besten. | |
„Das Ordnungsamt meldet meine Anzeige an die BSR weiter, die kommt dann und | |
holt ihn ab. Nicht gleich am selben Tag, aber er verschwindet.“ | |
Mit seinem Schuh tippt Becker auf die mit Teer gefüllten Löcher am | |
Feuerwehrbrunnen. Auch die hatte er gemeldet. Rings um den Brunnen seien | |
die Kleinpflastersteine ausgebuddelt gewesen, erzählt er. „Richtige | |
Stolperfallen waren das.“ Die Teerfüllung habe dann eine Firma gemacht. | |
Eine Ausbesserung mit Pflastersteinen wäre schöner gewesen, gibt Becker zu. | |
„Aber jetzt ist das wenigstens nicht mehr gefährlich.“ | |
Inzwischen hat sich die Pressesprecherin des Bezirksamts Sara Lühmann zu | |
uns gesellt. Mit einem Spachtel kratzt Becker Aufkleber von einem | |
grünumrandeten Schild ab, das den Park am Mariannenplatz als Grünanlage | |
ausweist. „Trau dich, Nein zu sagen“ steht auf dem Sticker, der auf | |
sexuellen Missbrauch aufmerksam machen will. „Guter Spruch“, sagt Becker, | |
„aber nicht hier an diesem Schild.“ | |
## Laternen demoliert | |
Weiter geht es mit Rad und Anhänger durch den Park. Gefühlt an jeder | |
dritten Laterne fehlt die Eisenklappe über der Stromzufuhr. Die Kabel sind | |
abgeklemmt und hängen lose im Schacht der Laternen, genau auf der Höhe von | |
Kinderhänden. Becker macht Fotos und sichert die Öffnungen mit Klebe- und | |
Flatterband. Schon vor drei Wochen hat er den Schaden an zwei Laternen dem | |
Ordnungsamt gemeldet. | |
Passiert ist bis zu unserer Rundtour nichts. Ärgert ihn das nicht? Becker | |
überlegt einen Moment. „Vielleicht hatten die ja Wichtigeres zu tun“, sagt | |
er dann. „Obwohl, das ist ja wichtig“, murmelt er, „aber das wird schon�… | |
Mit der Pressesprecherin sinnen wir darüber nach, warum Leute Stromkästen | |
von Laternen aufbrechen. Sind das Pärchen, denen es im Park zu hell ist? | |
Oder Obdachlose, die ihr Handy aufladen wollen? Geht das technisch | |
überhaupt? | |
Wie er seinen Arbeitstag gestaltet, beschreibt Becker so: „Du musst nur | |
gucken.“ Auch wenn er privat unterwegs sei, könne er inzwischen kaum noch | |
davon absehen, beständig nach Müll und reparaturbedürftigen Dingen | |
Ausschau zu halten. | |
Von Hause aus ist Becker gebürtiger Lichtenberger und gelernter Dachdecker. | |
15 Jahre hat er in dem Job gearbeitet. Gleich nach der Wende ist er zu | |
einer Firma nach Zehlendorf rüber, „die haben mich mit Kusshand genommen“. | |
Danach ist er 14 Jahre lang als Blitzschutzmonteur auf Kirchendächer | |
geklettert, gefolgt von einer zweijährigen Auszeit, in der er mit dem | |
Wohnmobil durch die Welt gereist ist. | |
Und dann hat er sich um die Stelle für den Kiezhausmeister beworben. Die | |
einzige Bedingung war, dass man einen handwerklichen Beruf ausgeübt haben | |
musste und fit ist. Bezahlt wird nach Tariflohn. „Du bist immer an der | |
frischen Luft und das Geld stimmt“, es klingt fast so, als sei Becker in | |
seinem Traumjob angekommen. | |
Der Wendekreis des Fahrradanhängers ist riesig, aber Becker hat den Bogen | |
raus. Kurz vor der St.-Thomas-Kirche liegt ein dunkler Haufen im Gras. Es | |
handelt sich um sechs zugeknotete schwarze Plastikhandschuhe. In den | |
Fingern wabert eine Flüssigkeit, es stinkt nach Petroleum. Neben dem Haufen | |
liegt ein 12er-Pack unverbrauchter Grillanzünder. | |
## Mollis im Park | |
Auf den ersten Blick ist klar, dass es sich bei dem Ensemble um Mollis | |
handelt. „Hundertprozentig war damit was geplant“, sagt Becker. „Mehr | |
Kreuzberg geht nicht“, kommentiert die Pressesprecherin: Die Köpenicker | |
Straße ist gleich um die Ecke, wenige Tage ist es her, dass die Polizei | |
dort den Köpi-Wagenplatz geräumt hat. | |
Becker entsorgt Handschuhe und Anzünder in einem Müllsack. Es ist eine | |
Sisyphos-Aufgabe. Wo er gestern mit seiner Greifzange Müll eingesammelt und | |
den schwarzen Sack für die BSR bereitgestellt hat, liegt am nächsten Tag | |
neuer. Warum macht er das? „Die Leute wollen sich doch wohl fühlen.“ | |
Weiter geht es zum [2][Görlitzer Park]. In der Grünanlage ist an diesem | |
Mittwoch alles wie gehabt. Frauen sitzen auf dem Hügel und unterhalten | |
sich. Dealer hängen auf Bänken ab, mit einem Zwinkern andeutend, dass man | |
bei ihnen was kaufen kann. In den ersten Tagen hätten sie das auch bei ihm | |
versucht, erzählt Becker. „Aber jetzt wissen alle, dass ich zur Parktruppe | |
gehöre.“ Man grüße sich gegenseitig und fertig. | |
Ein Funkwagen der Polizei fährt im Schritttempo vorbei. In dem Bauwagen am | |
Pamukkalebrunnen, Stützpunkt der Parkläufer, lädt Becker die Akkus seiner | |
Bohrmaschine auf. Aus dem Bauwagen holt er zwei Portemonnaies – Diebesgut. | |
Am Vortag hat er sie im Gebüsch aufgelesen. In dem einem sind noch die | |
Papiere. Becker wird die Fundstücke ins Bezirksamt bringen. | |
Wenn er selbst im Görlitzer Park unterwegs sei, achte er immer darauf, dass | |
sein Hänger verschlossen ist, erzählt er. Einmal sei er nur kurz im | |
Streetworker-Projekt Gangway gewesen, um nach einem defekten Geschirrspüler | |
zu sehen, da habe sich draußen schon jemand an seinem Hänger zu schaffen | |
gemacht. | |
## Unklar, wie es weitergeht | |
Wie es mit dem Kiezhausmeisterprojekt weitergeht, ist unklar. Das Projekt | |
ist nur bis zum Ende des Jahres gesichert. Man könnte es als schlechtes | |
Vorzeichen deuten: Um in den Baumärkten bargeldlos Material einkaufen zu | |
können, haben die Kiezhausmeister vom Bezirk Einkaufsgutscheine bekommen. | |
Kürzlich erging der Hinweis, die Gutscheine nur noch sparsam einzusetzen, | |
das Geld sei knapp. | |
Nicht nur aus persönlichen Gründen würde er eine Einstellung des Projekts | |
bedauern, sagt Becker. Die Frage ist nur: Würde es denn jemand anderem als | |
ihm selbst auffallen? Becker ist sich da nicht so sicher. Fakt aber sei, | |
das manche Reparaturen dann deutlich länger dauern würden, weil erst | |
Formulare geschrieben werden müssten. „Bei uns Kiezhausmeistern ist das | |
doch so: Ruckzuck, erledigt“. | |
Zwei Tage nach der Tour schreibt Pressesprecherin Lühmann der taz, dass der | |
Bezirk das Kiezhausmeisterprojekt gern weiterführen würde. Für das erste | |
Quartal 2022 gebe es inzwischen einen Finanzierungsplan. Für den Rest des | |
Jahres bräuchte man aber Mittel vom Land.“ | |
9 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Gruene-in-Friedrichshain-Kreuzberg/!5809018 | |
[2] /Drogenhandel-in-Berlin/!5709507 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
## TAGS | |
Friedrichshain-Kreuzberg | |
Görlitzer Park | |
Neukölln | |
Friedrichshain-Kreuzberg | |
Schwerpunkt Wahlen in Berlin | |
Koalitionsgespräche | |
Schwerpunkt Syrer*innen in Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kiezhausmeister in Berlin: Alle gucken auf Carla | |
Die Bilanz des Kiezhausmeister-Projekts in Friedrichshain-Kreuzberg ist | |
durchweg positiv. Die Finanzierung ist nur bis Jahresende gesichert. | |
Grüne in Friedrichshain-Kreuzberg: „Initiativen sollen uns treiben“ | |
Clara Herrmann soll die neue grüne Bürgermeisterin für | |
Friedrichshain-Kreuzberg werden. Sie will mehr Kiezblocks und | |
„Pakettermine“ in Bürgerämtern. | |
Abgang von Verkehrssenatorin Günther: Und wer kommt jetzt? | |
Regine Günther hatte es als Berlins Verkehrs- und Klimasenatorin nicht | |
leicht. Und die optimale Nachfolgerin steht nicht zur Verfügung. | |
Berliner Refugee-Bewegung: Respekt für den Oranienplatz | |
Schon einmal hat die Flüchtlingsaktivistin Napuli Langa eine Platane auf | |
dem Oranienplatz besetzt. Seit Freitag sitzt sie wieder auf dem Baum. |