# taz.de -- Geflüchtete zwischen Calais und Dover: Tragödie im Ärmelkanal | |
> Seit Dienstagabend wurden über 400 Menschen aus Seenot gerettet, ein Mann | |
> ertrank. Im Winter wird die Route über den Meeresarm noch gefährlicher. | |
Bild: Ein Geflüchteter in Dover, der von Grenzbeamten gerettet wurde | |
Paris taz | Die Nachricht vom Tod eines bisher anonymen Mannes, der während | |
einer Rettungsaktion der französischen Küstenwache [1][im Ärmelkanal] am | |
Mittwoch ums Leben kam, drohte in den vermischten Agenturmeldungen | |
unterzugehen. Zu oft wiederholen sich diese Tragödien, wenn Geflüchtete aus | |
Afghanistan, Somalia und anderen Kriegs- und Krisenherden entweder als | |
blinde Passagiere auf einem Lkw auf der Fähre oder durch den Tunnel oder | |
auf hochseeuntauglichen Booten versuchen, [2][über den Ärmelkanal die | |
britische Küste zu erreichen]. | |
Am Donnerstag teilte die Polizeipräfektur von Dunkerque mit, dass die | |
französische Küstenwache in der Nacht auf Mittwoch mehrere in Seenot | |
geratene Boote mit insgesamt 400 Menschen an Bord retten musste. Einer der | |
Verunglückten sei dabei ertrunken, und mindestens ein anderer werde noch | |
vermisst. | |
Bei dem Toten handle es sich um einen zirka 30 Jahre alten Mann, dessen | |
Namen und Staatsangehörigkeit unbekannt sei. Er habe sich auf einem der mit | |
mehr als 40 Personen hoffnungslos überladenen Boote befunden und sei ins | |
Wasser gefallen. Die Rettungsmannschaften hätten ihn bewusstlos aus dem | |
Meer geholt, ihre Wiederbelebungsversuche seien jedoch erfolglos gewesen. | |
Die Behörden müssen befürchten, dass es nicht das letzte Todesopfer im | |
Ärmelkanal bleibt. Allein am letzten Wochenende haben es laut | |
Medienberichten 800 Menschen riskiert, das Gewässer in Richtung England bei | |
Nacht zu überqueren. Etwa 450 von ihnen soll dies gelungen sein, aber mehr | |
als 300 mussten von der französischen Küstenwache gerettet werden. Nach | |
Angaben der Präfektur versuchten zwischen Januar und Ende August etwa | |
15.400 Migranten die Überfahrt über den Ärmelkanal. Im gesamten Vorjahr | |
waren es 9.500 gewesen, 2018 waren es etwa 600. | |
2016 haben die Behörden das große, bezeichnenderweise „Dschungel“ genannte | |
Flüchlingscamp in Calais dem Erdboden gleichgemacht. Die AnwärterInnen auf | |
eine klandestine Überfahrt müssen nun in Abbruchhäusern oder draußen einen | |
Unterschlupf und Schutz suchen. Die unzumutbaren Lebensbedingen, die | |
häufigen Kontrollen und „Evakuierungen“ von Zeltcamps sollen abschreckend | |
wirken. So soll nach Meinung der Regierung in Paris vermieden werden, dass | |
Calais zu einem Anziehungspunkt für Flüchtlinge und MigrantInnen wird. | |
Mit Menschenrechten hat dies nichts gemein, erklärt Juliette Delaplace vom | |
Hilfswerk Secours catholique: „Die Regierung tut so, als gäbe es keine | |
Alternative zum Dschungel einerseits und zur täglichen Belästigung. Es ist | |
eine Form von intellektueller Trägheit in der Weise, keine wirkliche Lösung | |
zu suchen.“ Seit dem 11. Oktober protestierte der Priester Philippe | |
Demeestère mit zwei weiteren Mitarbeitern des Secours catholique in der | |
Kirche Saint-Pierre von Calais mit einem Hungerstreik gegen die | |
menschenunwürdige Behandlung der Migranten. Der 72-jährige Priester brach | |
am Donnerstag sein Fasten ab. | |
Eine akzeptable Lösung für bis zu 1.500 Menschen, die jeweils rund um | |
Calais auf eine Gelegenheit einer Überfahrt nach Großbritannien warten, ist | |
trotz der drohenden Kälte und der wachsenden Gefahren der Überquerung des | |
Ärmelkanals nicht in Sicht. Im Gegenteil – so erschwert es der | |
Fischereikonflikt zwischen London und Paris nach dem Brexit sowie der | |
einwanderungsfeindliche innenpolitische Druck in Frankreich, den | |
Betroffenen eine menschenwürdige Unterkunft zu bieten – oder sie schlicht | |
weiterreisen zu lassen. | |
5 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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