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# taz.de -- Erinnerungen an Bettina Gaus: Mach’s gut
> Unsere langjährige Kollegin und Freundin Bettina Gaus ist gestorben. Sie
> war präzise und klug, schrullig und herzlich. tazlerInnen erinnern sich.
Bild: Bettina Gaus im September 2000
## Ein zweites Zuhause
Vor etwa 22 Jahren begegnete ich Bettina das erste Mal. Ich hatte mich in
der Schule mit ihrer Tochter Nora angefreundet, schnell waren wir
unzertrennlich. Nach der Schule gingen wir oft zu Nora nach Hause, in diese
liebevoll eingerichtete Wohnung, in der so viele Bücher standen und
Zeitungen herumlagen, in der ein Ölgemälde an der Küchenwand hing, auf dem
Bettina über einen Markt in Nairobi läuft, die Handtasche über die rechte
Schulter gehängt. Wir saßen dann meist eine Weile mit Bettina zusammen. Sie
diskutierte mit uns über das, was sie oder uns gerade bewegte, auf
Augenhöhe. Die Lust am Disput, die Ironie – es war eine Welt, die ich nicht
kannte und die mich beeindruckte.
Mit 14 vermittelte Bettina mir das Schülerpraktikum bei der taz. Ich hatte
Zweifel an mir, an meinen Fähigkeiten. Bettina sagte mit ihrer
unbestechlichen Überzeugung: „Du bist doch ein politischer Mensch“. Es war
nur einer von vielen Momenten des Zuspruchs, der Ermunterung, zu vertrauen.
Über die Jahre des Erwachsenwerdens habe ich sie oft um Rat gebeten, in
privaten wie beruflichen Dingen. Bettina und diese Wohnung, ein zweites
Zuhause, waren immer da und werden nun immer fehlen. Nora Belghaus
## Punkt oder Komma?
„Der diskutiert um jedes Komma“, lautet ein unfreundliches Wort unter
Redakteuren über „schwierige“ Autoren. Dabei gibt es in Wirklichkeit nur
sehr wenige Journalisten, die leidenschaftlich über ein Komma diskutieren.
Bettina Gaus gehörte dazu. Und mir war es eine Freude. Als ich 2007 zur taz
kam, arbeitete sie nicht mehr als Redakteurin, sodass die Rollenverteilung
stets so aussah: sie Autorin, ich Redakteur. Dank der Präzision und Eleganz
ihrer Texte hatte ich eigentlich nichts zu tun.
Dennoch fielen mir immer einige Winzigkeiten auf: Punkt oder Komma zwischen
diesen beiden Hauptsätzen, dieses oder jenes Verb, solche Sachen. In
mittellangen Gesprächen konnte ich sie an einer Stelle überzeugen, an der
anderen sie mich, und an der dritten fanden wir, ganz dialektisch, eine
dritte Lösung. Andere Kollegen – hervorragende Journalisten – hätten diese
Änderungen nicht mal bemerkt. Bettina aber freute sich. Sie wollte in jeder
Hinsicht das Beste, keine Winzigkeit weniger. Deniz Yücel
## Immer lustiger
Wir kamen von zwei Planeten. Sie kam vom Planeten Moral, ich vom Planeten
Ironie, und deshalb hielt ich lieber einen Sicherheitsabstand zu Bettina
Gaus. Sie war zu ernst und zu schwer für mich. Wenn es doch sein musste,
weil der zuständige Kollege nicht da war, sprachen wir jedes Mal in zwei
verschiedenen Sprachen aneinander vorbei.
Weil ich aber ein Schnellmerker bin, dauerte es keine zwei Jahrzehnte, bis
ich raffte, dass ich total falsch lag.
Während ich immer ernster wurde, erschien mir Bettina jetzt immer lustiger.
Ich habe niemand sonst kennengelernt, der beim Sprechen über Welt und Leute
neben dem Erkenntnisdrang so einen unbedingten Willen zur Pointe hat – und
die Fähigkeit, Menschenliebe und Spottlust in diesen Pointen auf höchstem
ethischen Unterhaltungsniveau zusammenzubringen.
Kurzum: Wir kamen gar nicht von zwei Planeten. Und falls doch, dann haben
wir uns in der Mitte getroffen. Peter Unfried
## Nerdige Diskussionen
Der republikanische Kandidat gewinnt die Gouverneurswahlen in Virginia. Das
wäre einer dieser Momente gewesen, in denen ich mich auf ein längeres
Telefonat oder einen Chat mit Bettina gefreut hätte. Mit niemanden konnte
man so nerdig über US-Politik diskutieren wie mit ihr. Unsere Wette auf den
Wahlsieg Clinton oder Trump 2016 hatten wir privat abgeschlossen, aber dann
öffentlich gemacht und die Wahlnacht über, in der taz sitzend und immer
wieder auf dem Balkon rauchend, [1][auf taz.de diskutiert].
Dabei war Bettina auch mir viel mehr als nur lustvolle Sparringspartnerin
zum Ausprobieren möglicher Kommentarthesen. Sie war auch vertrauliche
Beraterin in allen Arbeits- und Lebenslagen. Man verzieh ihr deshalb alle
Schrulligkeiten wie ihre konsequente Nichtbenutzung öffentlicher
Verkehrsmittel, wenn sie in ein Taxi stieg, während man selbst im Regen mit
dem Fahrrad nach Hause musste – ein Verkehrsmittel, auf dem man sich
Bettina noch weniger hätte vorstellen können als in der U-Bahn.
Bettina fehlt. Nicht mehr mit ihr reden zu können ist, wie sie womöglich
formuliert hätte, in der Tat nicht akzeptabel. Bernd Pickert
## „Bettina hat gesagt“
Prenzlauer Berg an einem Sommerabend vor vielen Jahren. Eine Kollegin
feiert ihren Abschied von der taz, das Café, das sie dafür gemietet hatte,
ist voll. Bettina steht draußen und raucht, in der Hand ein Glas Weißwein.
Um sie herum ein paar Frauen, wir quatschen, ich frage Bettina: „Und?
Demnächst wieder im Presseclub?“ Sie lacht ihr blechernes Lachen und sagt:
„Klar.“ Ich: „Wie machst du das? Alles wissen, hart argumentieren, scharf
kontern?“
Sie: „Ich weiß gar nicht alles.“ „Sieht aber nicht so aus.“ „Dann mu…
es so aussehen lassen.“ „Wie?“ „Ganz einfach“, sagt sie, macht eine i…
berühmtem Kunstpausen, zieht an der Zigarette und sagt: „Nimm deine drei
wichtigsten Thesen und trag sie immer wieder vor. Egal, ob du danach
gefragt wirst oder nicht.“ Wenn ich seitdem mit anderen darüber spreche,
wie man sich am besten auf Talkrunden vorbereitet, gibt es immer eine, die
sagt: „Bettina hat gesagt …“ Simone Schmollack
## Respekt und Freundschaft
Als ich Bettina Gaus zum ersten Mal duzen musste, weil wir ja nun offiziell
taz-Kollegen waren und man das zwangsläufig so macht in der taz, kam mir
dieses „Du“ nicht leicht über die Lippen. Ich hatte so großen Respekt vor
ihr, dass es mir unpassend erschien.
Der Respekt ist geblieben, auch als über die Jahre zunächst ein kollegiales
und schließlich auch ein freundschaftliches Verhältnis entstanden ist.
Gleich, ob wir zusammen Zigaretten rauchten und Weißweingläser leerten zu
später Stunde oder ich am Freitagmittag [2][ihre Kolumne „Macht“] für die
taz am Wochenende redigierte.
Ein Ritual, das ich schon vermisse, seitdem Bettina zum Spiegel gewechselt
war. Mit konspirativer Hilfe der Layout-Kollegen hatte ich stets den
eigentlichen Zeilenrahmen überdehnt, sodass nur noch ein minimaler Übersatz
bestand. Über den sich Bettina dann trotzdem empörte, bevor wir uns in
einem ausgiebigen redaktionellen Prozess der Kürzung zweier Zeilen
widmeten. Sie nahm ihre Texte ernst und damit sich selbst. Völlig zu Recht
übrigens.
Nein, das „Du“ ist mir dann nicht mehr schwer gefallen. Aber jetzt fehlst
du. Sehr. Martin Reichert
## Ein großes Glück
Wenn wir – zumeist Martin Reichert und ich – nicht selbst im richtigen
Moment daran dachten, Bettina Gaus um die Mitte der Woche herum anzurufen,
um mögliche Themen für ihre Kolumne zu besprechen, dann ereilten uns
mitunter flehende, sehnende oder auch mal panische Mails („Feeeelix
bitte!!!!!“).
Es drängte sie, zu schreiben, sie hatte auch meistens die beste
Kolumnenidee, aber es war ihr ebenso ein Bedürfnis, mit jemandem darüber zu
reden. Dass ich dazu gehörte – allein qua Amt als Wochenend-Ressortleiter
–, war mir ein großes Glück. Alle zwei Wochen mit Bettina Gaus die Lage zu
erörtern – oder zuzuhören, wie sie auf aktuelle Themen und Debatten
blickte, Fragen zu stellen, die sie beantwortete –, das war Weltkunde,
Sprachkunde, Nachhilfe in so vielem und im besten Sinne. Ich bin dankbar
dafür. Und ich vermisse das, auch das stets fröhliche Gesprächsende:
„Mach’s gut, mein Lieber!“ Mach’s gut, Bettina! Felix Zimmermann
5 Nov 2021
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Zum Tod von Daniel Haufler: Der Mann fürs Feine
Er war klug, ohne anzugeben und der beste Leser, den man sich vorstellen
kann. Zum Tod des früheren taz-Redakteurs Daniel Haufler.
Nachruf auf Bettina Gaus: Mit Mut und Meinung
Sie war für die taz Afrika-Korrespondentin, Politische Korrespondentin,
Kolumnistin. Vor allem aber wusste sie, schlaue eigene Gedanken zu
formulieren.
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