# taz.de -- Transfeindliche Professorin tritt zurück: Nicht das Ende der Debat… | |
> Die Schriften der Philosophin Kathleen Stock schüren Vorurteile gegen | |
> trans Menschen. Doch sie als Feindin zu stilisieren, ist sinnlos. | |
Bild: Kein Stock-Foto: Das Ende von Kathleen Stock an der University of Sussex … | |
Diese Woche hat der Rücktritt einer britischen Philosophieprofessorin für | |
heftige Diskussionen gesorgt. Kathleen Stock hatte ihren Lehrstuhl an der | |
University of Sussex aufgegeben, mit der Begründung, sie könne die | |
Anfeindungen gegen sich nicht mehr ertragen. Stock gilt aufgrund ihrer | |
Ansichten zur Geschlechteridentität von trans Menschen als kontroverse | |
akademische Figur. Als die Philosophin im Januar die Auszeichnung „Officer | |
of the Order of the British Empire“ (OBE) verliehen wurde, kritisierten 600 | |
Kolleg*innen aus Stocks Disziplin diese Entscheidung [1][in einem | |
offenen Brief] scharf. | |
Weil Stock in ihren Schriften wiederholt das Konzept einer von der Anatomie | |
unabhängigen „Genderidentität“ zurückgewiesen hat und darauf besteht, tr… | |
Frauen als „Männer“ zu bezeichnen, werfen ihr viele, unter anderem die | |
genannten Unterzeichner*innen des offenen Briefs, transphobe Rhetorik | |
vor. Stock weist dies zurück und spricht von [2][„mittelalterlichen | |
Methoden“], sie aus dem Diskurs zu verdrängen. Nach ihrem Rücktritt zeigen | |
sich viele entsetzt. | |
Sogar die Gleichstellungsbeauftragte der britischen Regierung, Kemi | |
Badenoch, äußerte sich zum Fall: Niemand solle „Mobbing und Belästigung am | |
Arbeitsplatz“ ausgesetzt sein. Mehrfach hatte es Petitionen und Aufrufe | |
gegeben, Kathleen Stock von ihrem Posten zu entfernen, zuletzt von der | |
Unigewerkschaft UCU. Die Leitung der Universität Sussex hatte solche | |
Forderungen stets zurück- und auf Stocks akademische Freiheit verwiesen. | |
Den Rücktritt Stocks [3][kommentiert die Universität mit Bedauern]. | |
Kathleen Stock beschreibt eine Stimmung auf dem Campus, in der sie tägliche | |
Anfeindungen erlebt habe. Kolleg*innen hätten die Studierenden gegen sie | |
aufgestachelt. Stock spricht online von jahrelangem „Mobbing“ und einer | |
„schwierigen Zeit“ für sie. Im Oktober berichteten Medien, dass Stock von | |
der Polizei nahegelegt worden sein soll, zu Hause Überwachungskameras zu | |
installieren. Zu den Einzelheiten konnte die taz Stock nicht befragen, | |
Anfragen über die Universität und über Stocks Verlag blieben bis | |
Redaktionsschluss unbeantwortet. | |
## Weil sie selbst eine Bedrohung darstellt | |
Warum wird eine Philosophin für das, was sie über Geschlecht sagt, bedroht? | |
Die Antwort ist: Weil sie für viele selbst eine Bedrohung darstellt. Das | |
rechtfertigt nichts. Aber es kann helfen zu verstehen. | |
Stock gehört zu einer Forschungsrichtung, die als Grundlage für Geschlecht | |
allein die Geschlechtsorgane bei Geburt gelten lässt. Diese Denkrichtung | |
wird lauter, je mehr sich trans Menschen mit ihren Forderungen nach Rechten | |
und Teilhabe Gehör verschaffen. Stock bezeichnet Frauen mit einer | |
traditionell medizinisch „weiblichen“ Anatomie als „natürliche“ Frauen. | |
[4][Trans Frauen hingegen als „Männer“]. Spricht also trans Frauen das | |
Frausein ab. | |
Aus Stocks Sicht ist das eine wissenschaftliche Sicht, die neben anderen | |
stehen bleiben können soll. Es handelt sich aber zugleich um eine | |
wissenschaftlich-fein formulierte Variante des schmerzhaften und | |
erniedrigenden Anwurfs, dem trans Personen immer wieder ausgesetzt sind: | |
„Du bist keine echte Frau“ oder „du bist kein echter Mann“. | |
Im offenen Brief schreiben ihre Kritiker*innen: „Wir behaupten keineswegs, | |
dass es nicht tiefe und wichtige Fragen zu Sex und Gender gibt oder dass | |
Philosoph*innen ihnen nicht nachgehen sollten.“ Aber fahren fort: | |
„Unsere Sorge ist vielmehr, dass einige – offenbar einschließlich der | |
britischen Regierung – dazu neigen, transphobe Angstmacherei mit wertvoller | |
Wissenschaft und Angriffe auf bereits ausgegrenzte Menschen mit mutigen | |
Übungen der freien Meinungsäußerung zu verwechseln.“ | |
## Potenzial zum transfeindlichen Knaller | |
Trans Menschen fordern ein, über ihr Geschlecht selbst bestimmen zu dürfen | |
– von der Frage, mit welchem Namen und welchen Pronomen sie anzusprechen | |
sind, über den behördlichen Geschlechtseintrag bis hin zu möglichen | |
körperlichen Veränderungen, sofern gewünscht. Und warum auch nicht? | |
Immerhin müssen sie allein mit diesem Geschlecht leben. Neuere Gesetze, die | |
mehr Selbstbestimmung garantieren, beziehen sich daher auf die | |
„Geschlechtsidentität“. Das ist das Geschlecht der Person, wie es von ihr | |
selbst erlebt wird. Zentral bei Stock ist, dass sie das Konzept | |
„Genderidentität“ ablehnt und „biologisches Geschlecht“ über alles st… | |
Genderindentität theoretisch zu hinterfragen, ist dabei unproblematisch. | |
Wie viele genderwissenschaftliche Konzepte wird sie irgendwann sicher | |
ohnehin abgelöst durch ein neues. Stock jedoch denkt nicht weiter, sondern | |
zurück. Zu einem platten Biologismus der zwei Geschlechter. Und der ist | |
überholt, denn LGBTI-Menschen existieren ja nun mal. Sich von „Penis = | |
Mann, Vagina = Frau“ zu lösen, ist keine Spielerei, sondern Beschreibung | |
der Welt. | |
Zudem hat Stocks Werk das Potenzial zum populärwissenschaftlichen und | |
transfeindlichen Knaller und ist dazu geeignet, Feindseligkeiten gegen | |
trans Menschen zu bestätigen. Diese führen zu doppelter Diskriminerung von | |
trans Personen – etwa trans Frauen, denen Zugang zu Frauenhäusern | |
verweigert wird, obwohl sie besonders häufig von sexualisierter Gewalt | |
betroffen sind. Oder trans Männer, die sich rechtfertigen müssen, keinen | |
„Verrat am Frausein“ begangen zu haben. Ohnehin müssen trans Menschen | |
ständig um die Mitgliedskarte für eine queerfeministische Bewegung kämpfen, | |
deren Teil sie immer gewesen sind. | |
## Gleichstellen und normalisieren | |
Ist irgendetwas davon Grund genug, dass sich Stock zu Hause nicht mehr | |
sicher fühlen sollte? Gleiches mit Gleichem vergelten, ist in keinem Fall | |
ein guter Ansatz für eine soziale Bewegung, selbst wenn man annähme, dass | |
Stock entscheidend zur Verschlechterung des Lebens von trans Personen | |
beiträgt. So absolut ist aber Stocks Einfluss nicht, auch wenn sie | |
zweifellos beiträgt zur transfeindlichen Stimmung. | |
Menschen mit Positionen wie die von Stock als absolute Feinde zu | |
stilisieren, ist sinnlos. Die sozialen Bewegungen laufen Gefahr, sich zu | |
verkämpfen an immer neuen Endgegner*innen. Die Forderung, | |
„Geschlechtsidentität“ unbedingt zu respektieren, ist nachvollziehbar, | |
aber führt politisch ins Leere – im Gegensatz zu Forderungen nach | |
Gleichheit, Sicherheit und Teilhabe von trans Menschen. | |
Vor nicht allzu langer Zeit noch arbeiteten sich homosexuelle Menschen | |
ebenfalls dauernd an einer lästigen Frage ab: ob Homosexuellsein eine | |
„Wahl“ ist oder angeboren sei. Zu einer Klärung kam es nie, stattdessen | |
wurden Fortschritte bei der Gleichstellung erkämpft und Homosexualität ein | |
bisschen mehr normalisiert. Die Antwort auf die Frage ist heute ziemlich | |
egal geworden, weil sie politisch nicht mehr gebraucht wird. Sie ist | |
höchstens noch Special Interest. Wenn ebenso endlich Verbesserungen für | |
trans Menschen erstritten sind, gilt das vielleicht demnächst auch für die | |
Veröffentlichungen von Kathleen Stock. | |
6 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://sites.google.com/view/trans-phil-letter/ | |
[2] https://www.theguardian.com/education/2021/nov/03/kathleen-stock-says-she-q… | |
[3] http://www.sussex.ac.uk/staff/newsandevents/?id=56597 | |
[4] https://kathleenstock.com/res-publica-event-on-failures-of-liberal-feminism/ | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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