# taz.de -- Grenzregion zu Belrarus: Unsere Toten | |
> Vier Geflüchtete sind an der Grenze zwischen Polen und Belarus gestorben. | |
> Die geringe Beachtung zeigt: Wir haben uns an die Grausamkeiten gewöhnt. | |
Bild: 20. September, Gedenken in Warschau: eine Kerze für die Geflüchteten, d… | |
Wir leben ihn, den Traum von Sebastian Kurz. „Es ist nachvollziehbar, dass | |
viele Politiker Angst vor hässlichen Bildern bei der Grenzsicherung haben“, | |
sagte der österreichische Bundeskanzler 2016 gegenüber der Welt. Das | |
schönste Gesicht des radikalisierten Rechtskonservatismus machte auch klar, | |
dass Angst nicht von Brutalität abhalten sollte: „Es wird nicht ohne | |
hässliche Bilder gehen.“ | |
Wir werden uns an die Grausamkeit an den Grenzen der EU gewöhnen, das war | |
die Botschaft. Dieses „Wir“ lässt sich wohl als jene weißen Menschen | |
definieren, denen es ganz gut geht in der EU. Ich zähle dazu. Wir haben | |
Brutalitäten aller Art geschehen lassen. | |
In dieser Woche sind vier Menschen an der [1][Grenze zwischen Belarus und | |
Polen gestorben – darunter eine Irakerin]. Die Frau war mit ihrem Mann und | |
ihren drei Kindern bereits auf polnischer Seite angekommen. Die Familie | |
wollte ihre Sachen in einem Dorf trocknen und sich aufwärmen. Polnische | |
Grenzschützer jagten sie wieder Richtung Belarus, hinaus in die Kälte. Die | |
Frau soll dabei gefallen sein, oder sie wurde gestoßen. Sie starb. Ihr Mann | |
und ihre Kinder haben das gesehen. Die Reaktion in den deutschen Medien auf | |
diesen Tod war mau, die in Politik und Öffentlichkeit auch. | |
Vielleicht, das wäre die für „uns“ freundliche Erklärung, lag das daran, | |
dass es dieses Mal keine hässlichen Bilder gab. Polen hat über die | |
Woiwodschaften an der belarussischen Grenze [2][seit Anfang September einen | |
Ausnahmezustand] verhängt. Journalist:innen können von dort nur | |
eingeschränkt berichten und dürfen in einigen Regionen gar nicht arbeiten. | |
Vielleicht haben „wir“ uns aber auch wirklich verändert, seitdem im August | |
2015 [3][71 tote Menschen in einem Lastwagen in Österreich] gefunden | |
wurden, seit der Körper [4][des zweijährigen Alan Kurdi] im September 2015 | |
an der türkischen Küste angespült wurde. Seitdem europäische Behörden | |
Menschen auf dem Mittelmeer ertrinken lassen. Vielleicht kommt so eine | |
innere Kälte mit der Zeit, wenn Grausamkeit wieder und wieder passiert und | |
die Ohnmacht in ihrem Angesicht unerträglich wird. Es sind dennoch unsere | |
Toten, auch die irakische Frau und die drei anderen Geflüchteten an der | |
Grenze zu Belarus. | |
Unnütze Tränen sind keine Option. Wenn wir innerlich schon kühl werden, | |
können wir kühl berichterstatten, protestieren, Geld geben, und am Sonntag | |
wählen. Tun wir, was möglich ist, damit Politiker:innen wieder Angst | |
kriegen vor dieser Art der Grenzsicherung. | |
25 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
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