| # taz.de -- UN-Geberkonferenz in Genf: Es geht nicht mit, nicht ohne Taliban | |
| > Die UN prangern die Menschenrechtsverletzungen der Taliban an. | |
| > Gleichzeitig sammeln sie Geld, um Menschen vor dem Verhungern zu retten. | |
| Bild: Spricht von einem Quantensprung in der Afghanistan-Hilfe: UN-Generalsekre… | |
| Genf taz | Michelle Bachelet nahm kein Blatt vor den Mund, als sie zum | |
| Auftakt der Sitzung des Menschenrechtsrats in Genf auf die Taliban zu | |
| sprechen kam. Ihr lägen glaubwürdige Berichte vor, nach denen die Taliban | |
| sowohl Unterstützer der gestürzten Regierung als auch frühere Soldaten | |
| ermordet oder mit unbekanntem Ziel verschleppt hätten. | |
| Die [1][Taliban] gingen von Haus zu Haus und suchten nach ihren Gegnern, | |
| durchsuchten Büros von Nichtregierungsorganisationen und verweigerten | |
| Frauen und Mädchen ihre Rechte. Damit machte die UN-Hochkommissarin für | |
| Menschenrechte deutlich, was von den Versprechen der Taliban, | |
| Menschenrechte zu respektieren, zu halten ist: nichts. | |
| Das weiß auch Bundesaußenminister Heiko Maas, der im Menschenrechtsrat | |
| erklärte, die Einhaltung grundlegender Menschenrechte werde der Maßstab | |
| einer Zusammenarbeit mit der Taliban-Regierung sein. Kaum zwei Stunden | |
| später allerdings kündigte Maas an, Deutschland wolle seine humanitäre | |
| Hilfe in Afghanistan und den Nachbarstaaten um weitere 500 Millionen Euro | |
| aufstocken. | |
| Wie genau dieser Betrag in der Region verteilt wird, ließ Maas ebenso offen | |
| wie den Zeitraum – und damit auch, wie viel deutsches Geld in den | |
| Hilfsaufruf fließt, den die UN-Nothilfekoordination als Grundlage des | |
| hochrangigen Gipfeltreffens am Montagnachmittag veröffentlicht hatte. | |
| Demnach werden bis zum Jahresende mehr als 515 Millionen Euro benötigt, um | |
| die dringendsten Bedürfnisse der Afghaninnen und Afghanen zu decken. | |
| ## Mehr als eine Milliarde US-Dollar zugesagt | |
| Am Abend zog UN-Generalsekretär [2][António Guterres] eine erste Bilanz: Es | |
| seien mehr als eine Milliarde US-Dollar zugesagt worden, wofür genau, sei | |
| allerdings unmöglich zu sagen. Dennoch zeige das Ergebnis, wie groß die | |
| internationale Unterstützung sei. „Das ist ein Quantensprung.“ | |
| Wie groß die Not ist, beschrieb im Vorfeld Anthea Webb vom | |
| Welternährungsprogramm, die in den vergangenen Wochen eine telefonische | |
| Umfrage in Afghanistan organisiert hatte. „Viele Familien stehen am Rand | |
| absoluter Verzweiflung“, erklärte Webb – wohl ein Gefühl, das sie selbst | |
| kennt. „Wir betteln und borgen im wahrsten Sinn des Wortes, damit unsere | |
| Nahrungsmittelvorräte im Oktober nicht aufgebraucht sind.“ Die Zeit drängt, | |
| zusätzlich zum Zusammenbruch der Wirtschaft kommt bald der Winter, der | |
| Lieferungen in viele Landesteile unmöglich macht. Ohne Vorsorge droht eine | |
| Katastrophe. | |
| Der Bürgerkrieg der Taliban hat tiefe Spuren im Land hinterlassen, wie | |
| Peter Maurer sagt. Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten | |
| Kreuz ist gerade von einer Reise durch Afghanistan zurückgekehrt. Auf | |
| seiner Fahrt von Kabul nach Lashkar Gah und Kandahar habe er am Straßenrand | |
| frisch ausgehobene Gräber und zerstörte Häuser gesehen, das Ausmaß der Not | |
| sei offensichtlich. | |
| „Die gesundheitliche Grundversorgung steht am Rand des Zusammenbruchs, es | |
| gibt kein Frischwasser und die Nahrungsmittelpreise sind ins Unermessliche | |
| gestiegen.“ Maurer fordert eine außergewöhnliche Anstrengung der | |
| internationalen Gemeinschaft und warnt zugleich, diese mit Auflagen für die | |
| Taliban zu versehen: „Humanitäre Hilfe darf weder von politischen Faktoren | |
| noch von Menschenrechten oder irgendwelchen anderen Bedingungen abhängig | |
| gemacht werden.“ | |
| ## Neutralität der Helfer in Gefahr | |
| Maurer sieht die unbedingte Neutralität der Helfer in Gefahr, die in den | |
| vergangenen 30 Jahren die Versorgung der afghanischen Bevölkerung selbst in | |
| dunkelsten Zeiten ermöglicht hat. Und er hofft darauf, dass die Wahrung | |
| dieser Neutralität das verlorengegangene Vertrauen in der Bevölkerung | |
| wieder aufbaut. | |
| Auf das mit dem überstürzten Abzug des Westens verlorene Vertrauen spielt | |
| wohl auch Guterres an, wenn er in Genf erklärt, die internationale | |
| Gemeinschaft müsse nicht nur tun, was sie könne, sondern auch, was sie den | |
| Bürgern Afghanistans schulde. Dazu gehört für Guterres auch, dass die | |
| Lebensgrundlagen von Afghaninnen und Afghanen geschützt werden. Der | |
| Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte könne nur gewahrt werden, wenn der | |
| Zusammenbruch der afghanischen Wirtschaft verhindert werden könne. | |
| Mit den Taliban sind die Vereinten Nationen bereits im Gespräch. | |
| UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths, der ebenfalls an der | |
| Geberkonferenz teilnimmt, hat in Kabul Zusicherungen eingeholt, die den | |
| Helfern sichere und ungehinderte Arbeit garantieren sollen. Guterres | |
| schloss am Montag Gespräche mit den Taliban nicht grundsätzlich aus. | |
| Maas unterstützte in Genf diese „klare Linie“: mehr humanitäre Hilfe ohne | |
| Vorbedingung, aber politische Anerkennung nur, wenn die Taliban | |
| Mindeststandards wie Menschen- und Frauenrechte, eine Absage an den | |
| internationalen Terrorismus sowie eine inklusive Regierung garantierten. | |
| Dann wäre nach Maas’ Einschätzung auch Entwicklungshilfe unter einem | |
| Taliban-Regime denkbar. Schließlich gehe niemand davon aus, dass die Hilfe | |
| am Hindukusch nur kurzfristig gebraucht werde. „Das ist auf lange Zeit | |
| angelegt, nicht nur auf vier Monate oder vier Jahre.“ | |
| 13 Sep 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marc Engelhardt | |
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