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# taz.de -- Lance Armstrong wird 50: Der Typ macht einfach weiter
> Der gefallene Radprofi mit der spektakulären Dopinghistorie hat sich
> wieder berappelt. Heute betätigt er sich als Podcaster und Unternehmer.
Bild: Mit dem Mountainbike durch Costa Rica: Lance Armstrong im Jahr 2018
Kein Bild schien die deprimierende Aussichtslosigkeit seiner Situation
besser zu illustrieren, als dieser Schnappschuss aus der dunklen Zeit: Der
große Lance Armstrong wirkte ganz klein in seinem Haus, er hockte auf einem
riesigen Sofa, und an der Wand hingen die Gelben Trikots seiner Toursiege
wie in einem Schrein, der jede Spiritualität verloren hatte. Hätte
Armstrong damals gewusst, was ihm noch alles blühen sollte, er hätte sich
wohl auf diesem monströsen Möbel zur ewigen Ruhe gebettet. Aber nein, er
stand auf und machte weiter. Denn er ist Lance, Amen. Er rang sich
Geständnisse und Millionenzahlungen ab, und doch blieb unklar, ob seine zur
Schau gestellte Reue nur Simulation war.
Es liegt nahe, ihm bei der Dopingbeichte eine Strategie zu unterstellen, zu
sehr brodelte in ihm ein Magmasee aus Trotz und einem beleidigten
Gerechtigkeitsgefühl. Dass er meint, seine Karriere sei auf dem Amboss der
öffentlichen Meinung zusammengedroschen worden, zeigt ein Like, den er
einem Text von Anne Applebaum, eine der amerikanischen Intellektuellen,
gegeben hat. Es ist eine Abrechnung mit den Inquisitionsgerichten in
sozialen Medien.
[1][Applebaum schreibt in The Atlantic]: „Im Gegensatz (zum gängigen
Rechtssystem; d. Red.) begünstigt die moderne Online-Öffentlichkeit, ein
Ort schneller Schlussfolgerungen, starrer ideologischer Prismen und
Argumente von 280 Zeichen, weder Nuancen noch Mehrdeutigkeiten. Dennoch
dominieren die Werte dieser Online-Sphäre viele amerikanische
Kulturinstitutionen: Universitäten, Zeitungen, Stiftungen, Museen. Den
öffentlichen Forderungen nach rascher Vergeltung folgend, verhängen sie
manchmal das Äquivalent von lebenslangen scharlachroten Buchstaben über
Menschen, denen nichts vorgeworfen wird, was auch nur im Entferntesten
einem Verbrechen ähnelt.“
Ist Lance Armstrong ein Verbrecher? Das kann man so sehen. Er hat klare
Regeln gebrochen, er hat gelogen, eine mafiöse Gegenwirklichkeit
geschaffen, noch junge und unbedarfte Kollegen in sein System des Betrugs
hineingezogen und als Patron über die Einhaltung des Schweigegelübdes
gewacht. Wie er alle narrte, das war großes Kino – was die Verleger und
auch die Hollywoodproduzenten natürlich schnell erkannten.
## Kaskade der Demütigungen
Genauso wie Lance Armstrong kein durchschnittlicher Radfahrer war, so war
er auch kein kleiner Schurke, sondern ein großer. Das Gewissen ist bei
solchen Exemplaren oft nur ein Hohlraum zur Befüllung mit heißer Luft, und
deswegen machte der Superradler nach einer Kaskade der Demütigungen, die
auf ihn einprasselte (oder abperlte?), einfach weiter. Fuhr Rennen, lief
Marathons und schuf neue Lance-Welten, in denen er sich und sein Ego
unterbrachte.
Seit einiger Zeit gibt es frische Bilder von Lance Armstrong,
Schnappschüsse aus der neuen Zeit. Sie zeigen ihn als Model für seine
eigene [2][Bekleidungs- und Eventmarke Wedu]. Der Texaner zeigt seine
strammen Waden her und hält seinen mittlerweile ergrauten Kopf in die
Kamera; auf einem seiner T-Shirts steht „Suffer“, Leiden, auf einem anderen
„Forward Never Straight“. Was sind schon Schmerzen im Augenblick, wenn sie,
tapfer erduldet, zu ewigem Ruhm gerinnen; das war immer sein Credo. Seit
ein paar Jahren läuft diese neue Unternehmung. Armstrong ist groß als
Podcaster eingestiegen mit „TheMove“ und „The Forward“. Die traditionel…
Radrundfahrten beplaudert er aktuell, auch mit seinem ehemaligen
Kollegen George Hincapie oder seinem früheren Teamchef Johan Bruyneel.
Er verdient wieder gutes Geld, und die Branchenportale vermelden Zuwächse.
Armstrong ist ein Stehaufmännchen. US-Amerikaner lieben ohnehin das
nimmermüde Auf und Ab in den Karrieren von Unbeugsamen: „Ever tried, ever
failed, no matter, try again, fail again, fail better“, sagte einst Samuel
Beckett und traf damit den Nervus vagus der amerikanischen Schafferkaste.
Am Samstag wird Lance Armstrong nun 50 Jahre alt. Über den runden
Geburtstag dachte er schon im Juni in seinem typischen Dauerkampfmodus
nach: „Ich bin jetzt 50 Jahre alt. Und 49 Jahre lang dachte ich, nur
Weicheier geben auf. Ich werde also niemals aufgeben“, sagte er in einem
Podcast-Gespräch mit der Unternehmerin Molly Bloom. Dann habe er, sagte
Armstrong, „aufgeben“ in Google eingetippt, „und da stand nichts von
Weicheiern, sondern dass es darum geht, auf ein anderes Erfahrungslevel zu
kommen“.
In einer kapitalisierten Gesellschaft ist eine der größten
Sportbetrügereien auch nur ein Marketingtool. Ein Mehrwert. Lance Armstrong
hat das verstanden. Sein „Suffer“-Leibchen kostet übrigens 28 Dollar.
18 Sep 2021
## LINKS
[1] https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2021/10/new-puritans-mob-justi…
[2] https://access.wedu.team/shop/
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Doping im Spitzensport
Lance Armstrong
Radsport
Doping
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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