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# taz.de -- Missbrauch im US-Turnsport: Der Wert eines Mädchens
> Das FBI soll Vorwürfen von US-Turnerinnen um Simone Biles nicht
> nachgegangen sein. Im US-Senat wird von Vertuschung gesprochen.
Bild: Simone Biles bei ihrer Aussage vor dem Justizsausschuss des US-Senats
Man muss sich das ungefähr wie die „Stars on Ice“ vorstellen – nur ohne
Eis. Einige der größten Namen des Turnsports gehen auf Tournee,
präsentieren sich ohne Wettbewerbsdruck ihren Fans, und davon gibt es in
den USA reichlich. Die Turnerinnen, [1][allen voran Simone Biles], sind die
größten Stars der olympischen Sommersportarten. Am Dienstag startete die
„Gold Over America Tour starring Simone Biles“ in Tucson. Die Stadt in
Arizona war die erste von 35, in denen sich bis Anfang November neben
Biles weitere US-Medaillengewinnerinnen wie Jade Carey, die Siegerin von
Tokio am Boden, oder MyKayla Skinner, die Silbermedaillengewinnerin im
Sprung, den Anhängern zeigen.
Business as usual, eigentlich. Nach den Spielen soll der Ruhm noch etwas
versilbert werden. Und doch ist diesmal alles anders: Organisator der Tour
ist nicht etwa wie in früheren Jahren der Turnverband USA Gymnastics,
sondern die 24-jährige Biles selbst – zusammen mit zwei unabhängigen
Produktionsfirmen.
Dass USA Gymnastics nicht involviert ist, war Biles’ Bedingung für die
Teilnahme. Kein Wunder: Schließlich ist sie die lauteste Kritikerin des
Verbands für dessen Umgang [2][mit dem Missbrauchsskandal um den
langjährigen Team-Arzt Larry Nassar]. „Um das ganz klar zu sagen“, so die
vierfache Olympiasiegerin, die selbst von Nassar sexuell missbraucht worden
war, kürzlich: „Ich mache Larry Nassar verantwortlich. Ich mache aber auch
ein ganzes System verantwortlich, das seinen Missbrauch ermöglicht hat. Die
Narben dieses schrecklichen Missbrauchs werden nie verheilen.“
## Grausames System
Noch immer fordert Biles eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle. Der
2017 verurteilte Nassar sitzt zwar wegen des jahrzehntelangen Missbrauchs
von mehr als 250 Frauen und Mädchen längst im Gefängnis, aber das System,
das dieses grauenhafte Verbrechen nicht verhindert hat, ist immer noch
nicht aufgearbeitet.
Dass der Skandal dabei nicht auf den Turnverband beschränkt ist, sondern
weitere Kreise zieht, wurde unlängst bei einer bei einer Anhörung im
Justizausschuss des US-Senats deutlich. Dort erhoben Biles und die
ehemaligen Turnerinnen Aly Raisman, McKayla Maroney und Maggie Nichols
schwere Vorwürfe nicht nur gegen den US-Turnverband, sondern auch gegen das
Olympische und das Paralympische Komitee der USA sowie das FBI.
Den Hinweisen der Sportlerinnen auf den Missbrauch, so der Vorwurf, sei
nicht adäquat nachgegangen worden. Eine Einschätzung, zu der auch das
US-Justizministerium in einem 119-seitigen Bericht, der bei der Anhörung
vorgestellt wurde, gekommen ist. Nassar konnte noch über ein Jahr länger
sein Unwesen treiben, weil das FBI die Hinweise nicht mit der „nötigen
Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit“ untersucht habe. Bei der Anhörung sagte
eine immer wieder mit den Tränen kämpfende Biles: „Es fühlt sich an, als
hätte das FBI weggeschaut.“
Die dreifache Olympiasiegerin Raisman berichtete, es habe 14 Monate
gedauert, bis sie nach ihrer Anzeige von FBI-Agenten kontaktiert wurde. In
dieser Zeit konnte Nassar weiter Turnerinnen missbrauchen, das haben
Dutzende Betroffene bezeugt. Einige Senatoren gingen sogar so weit, dem FBI
Vertuschung zu unterstellen. „Es wurden Unterlagen bearbeitet und die
Medien belogen, um die eigenen Pflichtverletzungen zu verschleiern“,
stellte der demokratische Senator Dick Durbin fest.
FBI-Chef Christopher Way, erst seit 2017, also nach dem Bekanntwerden des
Skandals, im Amt, entschuldigte sich für die „fundamentalen Fehler“, die
seine Behörde begangen habe. Der Bericht identifizierte vor allem zwei
verantwortliche FBI-Agenten, von denen einer vor zwei Wochen entlassen
wurde
Das aber, so die Turnerinnen, kann nicht das Ende sein. „Ich kämpfe immer
noch dafür, die einfachsten Antworten zu bekommen und dass endlich
Verantwortung übernommen wird“, sagte Raisman. „In den letzten Jahren ist
es schmerzhaft offensichtlich geworden, dass der Umgang mit dem Missbrauch
entscheidend dazu beiträgt, wie die Überlebenden ihn verarbeiten können.“
Und Simone Biles stellte die provokative Frage: „Wie viel ist ein kleines
Mädchen wert?“
21 Sep 2021
## LINKS
[1] /Groesste-Turnerin-aller-Zeiten/!5787507
[2] /Sexuelle-Gewalt-im-US-Sport/!5694139
## AUTOREN
Thomas Winkler
## TAGS
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Fußball
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
sexueller Missbrauch
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