| # taz.de -- Die Wahrheit: Eierkochen in der Radlerhose | |
| > Sporthistoriker lässt eine vergessene Radsportart wieder aufleben: das | |
| > Fünf-Minuten-Ei auf einer 300-Kilometer-Tour. Wir waren dabei. | |
| Bild: So sehen Sieger aus: Taco van der Hoorn mit relativ unsichtbarem Ei | |
| Der erste Versuch, ein rohes Ei im Genitalpolster seiner Radlerhose auf dem | |
| Radweg von Hamburg nach Berlin zu transportieren, scheiterte nach nur einer | |
| Stunde an der Elbestaustufe in Geesthacht. Auf der Rampe runter von der | |
| Brücke auf den südlichen Elbuferweg kam Dr. Vitali Geiger, 33, in einer | |
| scharfen Linkskurve ins Straucheln. Ein unbedachtes Bremsmanöver, das | |
| Hinterrad seines Bikes schlitterte auf den Grünstreifen. Der drahtige | |
| Sporthistoriker musste, um einen Sturz zu vermeiden, kurz aus dem Sattel. | |
| Der Rest war ein knisterndes Bersten und eine Hand voll | |
| eierschalendurchsetzten Glibbers, das sich der Bruchpilot anschließend aus | |
| der dotterbekleckerten Hose kramte. | |
| Heute also der zweite Versuch. Wir haben uns morgens um vier Uhr zum | |
| Hamburger Hauptbahnhof gequält, wo Geiger bereits startklar wartet. | |
| „Wie radelt sich’s denn so mit drei Eiern in der Hose?“ – „Wer sagt d… | |
| dass es nur drei sind?“, kontert Geiger nonchalant unsere müde Frage, | |
| stolziert dann eimal betont breitbeinig um sein aufgeständertes Rad. | |
| Tatsächlich weist die Ausbuchtung seiner Shorts vorne ein erstaunliches | |
| Volumen auf. | |
| Grund dafür ist ein Hühnerei der Größe XL, das frisch gekauft („Natürlich | |
| bio!“) und „garantiert roh“ ist, wie der sympathische Wissenschaftler im | |
| dottergelben Trikot versichert. Er öffnet den Saum seiner knielangen | |
| Sporthose, lässt uns einen Blick in ihr jetzt schon warm ausdampfendes | |
| Innenleben werfen, wo wir das braune Oval in einer dafür eigens | |
| ausgesparten Tasche seines Genitalpolsters eingelagert sehen. Und zwar so, | |
| wie Geiger nun geschäftig ausführt, dass sich seine Hoden gleichsam brütend | |
| an das Hühnerei schmiegen. | |
| ## Erstmals 1911 | |
| Und das muss auch so sein. Wie sonst könnte der alerte Sporthistoriker den | |
| Nachweis führen, dass sich ein rohes Ei allein durch die Hitze, die sich | |
| während einer 300-Kilometer-Tagestour in jeder Radlerhose aufstaut, in ein | |
| Fünf-Minuten-Ei verwandelt. | |
| In den Originalregeln dieser im Jahr 1911 erstmals in Deutschland | |
| durchgeführten, nach ihrem Verbot durch die Nationalsozialisten in | |
| Vergessenheit geratenen und erst unlängst von Geiger wieder entdeckten | |
| Radsportdisziplin heißt es: „Die Konsistenz des Dotters ist nach | |
| Zielankunft durch sofortiges Köpfen und Löffeln zu prüfen.“ Wobei das | |
| Eigelb flüssig sein, jedoch nicht mehr tropfen darf, so wird da eine | |
| möglichst genaue Definition versucht; was uns auch dringend nötig zu sein | |
| scheint angesichts der meist viel zu harten Dinger, die sie einem in | |
| Frühstückslokalen als Fünf-Minuten-Eier anzudrehen versuchen. | |
| „Die Sache mit den Hoden erklärt im Übrigen, warum skrotumfreie Menschen | |
| gar nicht erst versuchen sollten, sich auf diese Art ein Ei zu kochen“, | |
| lässt uns Geiger an seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen teilhaben. | |
| „Ohne eigene Eier erreichen Radelnde einfach nicht die erforderlichen | |
| Innenhosentemperaturen von bis zu 70 Grad Celsius und mehr.“ Andererseits | |
| hätten hodenlose Radelnde naturgemäß nicht, was man mit einem zusätzlichen | |
| Ei unterm Hodensack auf jeden Fall hat, nämlich ein gewisses Sitzproblem – | |
| das jedoch, wie Geiger an seinem Renner demonstriert, mit einem hornlosen | |
| Fahrradsattel recht zufriedenstellend zu lösen sei. | |
| ## Gefahr von Fahrtstößen | |
| „Wer außerdem noch über einen einigermaßen langen Piephahn verfügt, | |
| wird diesen so zu legen wissen, dass dadurch Fahrtstöße auf das Ei | |
| absorbiert werden.“ | |
| Er selbst sei dafür allerdings nicht gut genug gebaut, bedauert Geiger | |
| ironisch, zeigt uns zur Verdeutlichung grinsend den kleinen Finger. | |
| Spätestens jetzt ist auch zwischen uns das Ei gebrochen. | |
| Dann geht’s endlich los. Punkt 4.30 Uhr Ortszeit schwingt sich der | |
| Sporthistoriker, der seit dreizehn Semestern an der Uni Bielefeld nach | |
| verschollenen Sportarten forscht, auf den nasenlosen Sattel seines | |
| 27-Gängers und macht sich auf die Strecke Richtung Berlin. Wir versuchen | |
| ihm noch ein Stück mit einem dieser überall herumstehenden – Achtung! | |
| Spitzenwitz! – Ei-Roller zu folgen, werfen aber das viel zu lahme | |
| Scheißding nach nur wenigen Metern entnervt ins nächste Becken des von der | |
| aufgehenden Sommersonne in ein sattes Morgenrot getauchten Hamburger | |
| Hafens. | |
| ## Ei, ei, ei | |
| Nach einem ausgiebigen Frühstück (Rührei mit Speck) und einem fiesen | |
| Kantinenessen (blau gekochte Eier an einer Senfschwitze) nehmen wir zur | |
| Kuchenzeit noch schnell ein kleines Gedeck (Tasse Kaffee, Gläschen | |
| Eierlikör), ehe wir den – Achtung! – ICEi nach Berlin Hauptbahnhof | |
| besteigen. | |
| Über Funk hatte uns Geiger regelmäßig über den pannenfreien Tourverlauf | |
| informiert: „Alles okay. Ei unbeschädigt. Beste Hoseninnentemperaturen. | |
| Ankunft Berlin laut Navi gegen zehn.“ | |
| So stehen wir kurz vor 22 Uhr am Berliner Ortseingangsschild in Staaken. | |
| Kurz nach unserer Ankunft kommt Geiger angestrampelt, steigt vorsichtig, | |
| wenn auch etwas wacklig vom Rad und entnimmt dem Brutkasten seines | |
| Genitalpolsters das tatsächlich leicht dampfende Ei. Zack, schon ist es | |
| geköpft, taucht der Plastiklöffel ins Gelbe – und siehe da: Schön sämig | |
| fließt der Dotter, aber nichts glibbert oder tropft. Man kann sagen: | |
| Fünfminütiger als dieses ist wohl selten ein Ei geraten. Mit etwas Salz | |
| drauf der perfekte Genuss. | |
| Von irgendwoher wird eine Gewinnerfanfare eingespielt, während Dr. Vitali | |
| Geiger die Siegerfaust ballt und freudestrahlend verkündet: „Nächstes Jahr | |
| dann brat ich euch eins auf nur 100 Kilometern!“ Wir sind hundertpro dabei, | |
| darauf kann er sich ein Ei pellen. | |
| 6 Sep 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Fritz Tietz | |
| ## TAGS | |
| Hühnereier | |
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| Radsport | |
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