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# taz.de -- Verbandschefin über Alleinerziehende: „Sie fallen durchs Raster�…
> Die Pandemie trifft vor allem Alleinerziehende. Daniela Jaspers, die sich
> mit ihrem Verband für Einelternfamilien einsetzt, beklagt eine
> strukturelle Benachteiligung.
Bild: Alleinerziehende Mutter mit zwei Töchtern
taz: Frau Jaspers, Ihr Verband hat [1][wegen der Pandemie] eine
Krisenhotline für Alleinerziehende eingerichtet. Was berichten Ihnen die
Menschen?
Daniela Jaspers: Die Probleme sind meist davon abhängig, welche
Pandemieregeln gerade gelten. Klar, zunächst ging es viel um den
plötzlichen Wegfall der Kinderbetreuung und oft des gesamten Netzwerks.
Thema sind außerdem die enorme Mehrfachbelastung durch Homeoffice und
[2][Homeschooling] oder die Verlagerung der Arbeit in sehr frühe Morgen-
oder sehr späte Abendstunden, um den Anforderungen gerecht zu werden. Dazu
kommt immer die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren und damit einhergehend
große finanzielle Sorgen. Bei Alleinerziehenden geht es ganz schnell um
existenzielle Probleme.
Woher kommt das?
In vielen Fällen gibt es keine Puffer. Und ein Gehalt muss reichen.
Alleinerziehende arbeiten sowieso meistens Teilzeit und sind die
gesellschaftliche Gruppe, die am meisten von Armut bedroht ist.
Lohnersatzleistungen, die dann auch noch zu spät gezahlt werden, reißen
schnell ein enormes Loch in die Haushaltskasse. In der Pandemie kommen nun
große Unsicherheiten durch schnell wechselnde Regeln dazu, die
Alleinerziehende kaum berücksichtigen.
Woran machen Sie das fest?
An ganz alltäglichen Dingen: Wenn Sie nur allein in einen Supermarkt oder
in die Arztpraxis dürfen, was machen Sie dann solange mit Ihrem Kind? Das
können Sie ja nicht einfach zu Hause lassen. Oder: Was passiert, wenn Sie
in Quarantäne müssen oder sogar krank werden? Anfangs wurden
Alleinerziehende sogar in der Notbetreuung der Kita abgelehnt, weil unklar
war, ob nur diejenigen mit alleinigem Sorgerecht auch alleinerziehend sind.
Aber das ist natürlich Quatsch.
Warum?
Wenn Personen Verantwortung für Minderjährige übernehmen, allein sind und
arbeiten müssen, muss klar sein, dass das Kind in die Notbetreuung darf. Da
ist auch egal, ob die Mutter im Homeoffice arbeitet oder in Präsenz. Mit
Kind ist Homeoffice nicht möglich. Auch das Wechselmodell hilft nicht: Man
muss ja an den Tagen arbeiten und die Existenz sichern, an denen man das
Kind hat.
Wie wirkt sich [3][die Tatsache, alleinerziehend zu sein], in der Pandemie
psychisch aus?
Bei 67 Prozent der Alleinerziehenden hat die psychische Belastung seit
Beginn der Pandemie sehr stark zugenommen. Das zeigt sich zum Beispiel an
Erschöpfung und Burnoutgefährdung. Alleinerziehende sind derzeit viel
stärker belastet als Eltern in Paarfamilien. Die Sorgen um Beruf, Betreuung
und Haushalt sind immens. Und dahinter, das muss man sehen, stehen immer
die Kinder.
Reichen die staatlichen Hilfen?
Sie reichen nicht. Den Kinderbonus hat zum Beispiel nicht nur die Person
bekommen, die die Betreuung tatsächlich stemmt, sondern auch der andere
Elternteil, egal ob und wieviel Betreuung da stattgefunden hat. Wenn das
Einkommen sowieso gering ist, decken Lohnersatzleistungen, die keine 100
Prozent sind, den Bedarf außerdem nicht ab.
Auch die Kinderkrankentage sind nicht gut durchdacht. Sie können
Zwölfjährige nicht einfach allein zu Hause lassen. [4][Alleinerziehende
fallen an vielen Stellen einfach durchs Raster], ihre Situation wird viel
zu wenig mitgedacht. Aber jedes fünfte Kind wächst in einer
Einelternfamilie auf. Diese Lebensform gehört zu unserer Gesellschaft, und
die Politik muss sie endlich in den Blick nehmen.
Was würde das in Pandemiezeiten bedeuten?
Staatliche Zahlungen sollten zeitnah passieren. Kinderbetreuung muss
Alleinerziehenden offen stehen. Die Regelsätze müssen aufgestockt werden,
und Geräte fürs Homeschooling müssen bezuschusst werden. Der Lohnausgleich
für Geringverdienende muss bei 100 Prozent liegen. Teilzeit muss flexibel
möglich sein, der Kündigungsschutz muss gelten, und Kinderkrankentage
müssen bis zu einem Alter von 14 Jahren genommen werden können.
Und jenseits der Pandemie?
Die Lebensbedingungen von Alleinerziehenden müssen stärker in den Fokus
rücken. Es ist zum Beispiel extrem ungerecht, dass das Kindergeld mit dem
Unterhaltsvorschuss verrechnet wird. Wenn das Kindergeld erhöht wird, gehen
außerdem Alleinerziehende leer aus, die Hartz IV beziehen. Wir brauchen
deshalb dringend eine Kindergrundsicherung.
Außerdem werden Alleinerziehende immer noch wie Singles besteuert, nicht
wie Familien. Aber sie sind auch Familien, nur ohne Trauschein. Und
natürlich muss endlich das Ehegattensplitting abgeschafft werden. Ein
bisschen was ist immerhin schon passiert: Der steuerliche Grundfreibetrag
für Alleinerziehende wurde dauerhaft verdoppelt. Das ist ein guter Anfang,
aber trotzdem noch lange nicht gerecht.
17 Aug 2021
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## AUTOREN
Patricia Hecht
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