Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Vor dem Coronagipfel in Berlin: Die Pflicht der Regierenden
> Ein Impfpflicht will die Politik vermeiden. Dafür ist sie verpflichtet,
> unpopuläre Entscheidungen zu treffen, wenn es nicht anders geht.
Bild: Impfen to go: Impfstation bei Ikea in Berlin-Lichtenberg
Es gibt Probleme, die komplex und schwer zu lösen sind. Das aktuelle
deutsche Coronaproblem gehört nicht dazu. Es ist ganz einfach: Die Zahl der
doppelt geimpften Erwachsenen in Deutschland ist zu niedrig, um die
rollende vierte Welle und ihre Folgen abzufangen. Daher muss die Impfquote
der über 18-Jährigen weiter erhöht werden – aber stattdessen haben
Politiker Impfungen für Teenager und Auffrischungen für Hochbetagte
empfohlen.
Zugleich wird der Impfwiderstand geadelt, indem [1][der
öffentlich-rechtliche Rundfunk ungefiltert absurde Vorbehalte wiedergibt] –
und indem ein Teil der Politik die Verweigerung zum Freiheitsrecht erhebt.
Aber was heißt hier Freiheit? Bedeutet Freiheit, sich dem wieder wachsenden
Risiko einer Ansteckung auszusetzen und damit allen anderen eine nächste
Maßnahmenwelle zuzumuten, inklusive Schulschließungen? Liegt Freiheit
darin, Impfstoffe, die in vielen anderen Ländern fehlen, ungenutzt im
Kühlschrank verfallen zu lassen? Bedeutet es Freiheit, lieber Behauptungen
über Genveränderungen oder Pharmakomplotte zu glauben, anstatt sich über
die Fakten zu informieren?
Über den Begriff der Freiheit kann man immer diskutieren, aber vermutlich
sollte man angesichts der Lage doch besser jenes heiße Eisen ins Spiel
bringen, das kein Politiker derzeit anfasst. Man wundert sich, warum. Eine
Impfpflicht zu diskutieren und sogar zu beschließen, war vor knapp zwei
Jahren immerhin möglich, in einer weniger schlimmen Lage: Es ging um Kinder
und um die Masern. Allerdings stand damals auch keine Bundestagswahl kurz
bevor.
## Gemeinschaftsschutz durch Impfen
Jetzt aber ist die Situation deutlich ernster. Covid-19 betrifft alle und
kann in jedem Alter zu Folgeschäden und zum Tod führen. Gegen Corona lässt
man sich zudem vornehmlich impfen, um sich selbst zu schützen. Geimpfte
können nicht mehr schwer erkranken. Das Risiko, andere zu infizieren, sinkt
jedoch nicht auf null. Das bedeutet keinesfalls, dass es keinen
Gemeinschaftsschutz gibt. Sondern, dass der Gemeinschaftsschutz nur
erreicht wird, wenn sich sehr viele Menschen impfen lassen. Im besten Fall:
Alle, für die es medizinisch möglich und nachweislich sicher ist. Also die
Erwachsenen.
Daran führt kein Weg vorbei, wenn die Politik ihre vollmundigen Versprechen
von offenen Schulen und Nie-Wieder-Lockdown im Ansatz halten möchte. Dass
schnell gemachte Antigentests eine Verbreitung des Virus nicht verhindern,
dürfte inzwischen übrigens klar sein. Solche Tests bieten bei hoher
Inzidenz und gerade etwa in schlecht belüfteten Schulräumen keinen
Gesundheitsschutz.
Wenn das Wort [2][Impfpflicht] deshalb schon nicht fällt, sollte man im
Minimum von der Pflicht der Regierenden sprechen. Der Pflicht zum Beispiel,
auch noch kurz vor einer Wahl unpopuläre Entscheidungen zu treffen, wenn
sie nötig sind – um die Impfkampagne zu reanimieren; um die Menschen zu
schützen, für die man Verantwortung übernommen hat. Tatsächlich aber
schließen im August bereits viele Impfzentren wieder. Kommt ja keiner mehr.
Kann man nichts machen. Oder doch?
Man kann – oder könnte. Angefangen mit den niedrigschwelligen
Impfangeboten, von denen Robert Habeck spricht, mit Zugangsbeschränkungen
und dem Ende von kostenlosen Tests für Ungeimpfte, wie Winfried Kretschmann
fordert – bis hin zur Impfpflicht, wenn alles andere zusammen keinen Erfolg
verspricht.
In der Realität aber stellt sich die Frage, ob [3][ein Kanzlerkandidat],
der von Freiheit und Wohlstand spricht, menschliche Gesundheit und sogar
Menschenleben zu opfern bereit ist, damit Wahlberechtigte ungeimpft ins
Restaurant dürfen – um am Wahltag dann das gewünschte Kreuzchen zu machen.
Womöglich kommt der Moment der Besinnung aber noch, in der Ministerrunde
mit der Kanzlerin am Dienstag. Man kann sich leicht ausrechnen, wie aus dem
einfachen bald wieder ein komplexes Problem wird. Schon jetzt ist die
Hälfte der Menschen, die wegen Covid-19 ins Krankenhaus müssen, jünger als
65 Jahre. Ihre Zahl wird zunehmen, das Alter sinken.
Dagegen alles zu tun, was in der Macht der Regierenden steht, nicht
zuletzt, um den nächsten Lockdown zu verhindern, ist erste und wichtigste
Pflicht. Das bedeutet, dass die zu beschließenden Maßnahmen zur Erhöhung
der Impfquote entweder so gut sind, dass sie das Ziel auch ohne Impfpflicht
erreichen. Oder dass die Impfpflicht doch noch auf den Tisch kommt.
Die Freiheit der Menschen in diesem Land bleibt derweil die, sich impfen
lassen zu können. Für sich selbst – und die Freiheit aller anderen.
10 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-impfung-aengste-zweifel-100.…
[2] /Rechtsexperte-ueber-Impfpflicht/!5787809
[3] /Aktuelle-Nachrichten-in-der-Coronakrise/!5792412
## AUTOREN
Kathrin Zinkant
## TAGS
Impfung
Schwerpunkt Coronavirus
GNS
Schwerpunkt Coronavirus
Impfung
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
## ARTIKEL ZUM THEMA
Falsche Impfquote: Marodes Meldewesen
Niemand sollte sich von einer augenscheinlich hohen Impfquote täuschen
lassen. Für genaue Zahlen täte ein verbessertes Meldewesen not.
Lange Impfnächte in Berlin: Impfen mit DJ
Geimpft wird nachts mit Musik und ohne Vorzeigen eines Ausweises: Die
langen Impfnächte in Berlin stoßen auf Begeisterung.
Nach der Bund-Länder-Runde zu Corona: Jugendliche sind die Verlierer
Für Jugendliche gelten die gleichen Einschränkungen wie für Erwachsene, die
sich nicht impfen lassen wollen – das ist ungerecht.
Corona-Schnelltests nicht mehr gratis: Viel Freiheit, wenig Zwang
Ab Oktober werden Coronatests kostenpflichtig. Es ist der falsche Weg, um
Ansteckungen zu verhindern – und liefert „Querdenkern“ Argumente.
Impfstoffhersteller mit Milliardenplus: Biontech drängt auf dritte Dosis
Das Mainzer Unternehmen fährt Milliardengewinne ein. Und fragt sich: Besser
in der EU auffrischen oder in Afrika impfen?
Aktuelle Nachrichten in der Coronakrise: Diskussion um Impfprivilegien
Vor der Bund-Länder-Konferenz am Dienstag wird weiter gestritten, ob
Geimpfte mehr Freiheiten bekommen sollen. Deutschland gibt derweil
Impfstoff an andere Staaten.
Freie Wähler umwerben Impfgegner: Aiwangers Ruhm ist Söders Dilemma
Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler in Bayern, präsentiert sich als
Impfskeptiker. Reicht es mit dieser Strategie am Ende gar für den
Bundestag?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.