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# taz.de -- Ein Jahr nach der Explosion in Beirut: Der große Knall und die Gr�…
> Vor einem Jahr explodierten tonnenweise Chemikalien im Hafen von Beirut.
> Für die Katastrophe sollen Korruption und Mafia verantwortlich sein.
Bild: Tracy Naggear (m.) hat ihre kleine Tochter bei der Explosion verloren
Beirut taz | Fünf Tage sollte die eingesetzte Untersuchungskommission
brauchen, um dem libanesischen Kabinett einen ersten Bericht vorzulegen.
Das versprach die Regierung am Tag nach der gigantischen Explosion in
Beirut am 4. August vergangenen Jahres. An jenem Dienstag um 18.08 Uhr
waren Hunderte Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen der libanesischen Hauptstadt
explodiert.
Es waren wohl Schweißarbeiten, die zunächst ein Feuer entfacht hatten.
Feuerwerkskörper in einem Warenhaus gingen hoch, bevor schließlich eine
gewaltige Bombe aus Kerosin und Säure sowie tonnenweise Ammoniumnitrat
explodierten. Ein orange-schwarzer Feuerball stieg auf, die Druckwelle
erschütterte die Küstenstadt.
Die Explosion war stärker als 1986 in Tschernobyl. Die Explosion des
Nuklearreaktors hatte eine Stärke von 10 Tonnen TNT. Die Sprengkraft des
Beiruter Ammoniumnitrats verglichen Expert*innen mit 200 bis 300 Tonnen
TNT. Dabei war nach jüngst bekannt gewordenen [1][Erkenntnissen des FBI]
nur ein Bruchteil des Ammoniumnitrats in die Luft gegangen, das Jahre zuvor
in den Hafen gebracht worden war.
Das FBI geht davon aus, dass von der Gesamtladung lediglich ein Fünftel,
rund 552 Tonnen, explodierten, wie die Nachrichtenagentur Reuters
vergangene Woche berichtete, der ein entsprechender FBI-Bericht vorliegt.
Der Rest muss zuvor entfernt worden oder durch die Explosion im Meer
verschwunden sein.
## Journalist*innen machen Job der Regierung
„Ich werde nicht ruhen, bis wir die Verantwortlichen für das Geschehene zur
Rechenschaft gezogen und die Höchststrafe verhängt haben“, sagte Libanons
damaliger Regierungschef Hassan Diab. Doch noch immer gibt es keinen
Bericht der Untersuchungskommission. Auch zur Rechenschaft gezogen wurde
bislang niemand.
Dank journalistischen Recherchen ist jedoch zumindest bekannt, wie die
Fracht nach Beirut kam: Eine ukrainisch-russische Crew hatte sie im Jahr
2013 auf dem Tanker „Rhosus“ geladen, um sie zu einem Sprengstoffhersteller
in Mosambik zu transportieren. Das Schiff verließ einen Hafen in Georgien,
bevor libanesische Behörden der „Rhosus“ in Beirut wegen Sicherheitsmänge…
die Weiterfahrt untersagten.
Der Kapitän, Boris Prokoshev, gab nach der Explosion der Fracht an, seine
Crew sei 2014 im Libanon festgehalten worden, da der Besitzer der „Rhosus“
die Gebühren nicht zahlte. Als Besitzer nannte Prokoshev einen russischen
Geschäftsmann.
[2][Recherchen des Spiegel] und des Journalist*innennetzwerks
Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) zufolge war der
wahre Besitzer jedoch der zyprische Reeder Charalambos Manoli.
Gerichtsprotokolle zeigen, dass Manoli einen Millionenkredit bei der
tansanischen FBME-Bank aufgenommen hatte, diesen jedoch nicht begleichen
konnte.
## Ein Gefallen für die Hisbollah?
US-Ermittler*innen haben der Bank in der Vergangenheit vorgeworfen, für die
libanesische Partei und Schiitenmiliz Hisbollah als Geldwäscherin fungiert
zu haben. Die Bank sei dafür bekannt gewesen, säumige Schuldner zu
Gefälligkeiten gegenüber Kund*innen zu drängen.
Libanesische Journalist*innen fanden zudem heraus, dass die Ladung des
Schiffes einer in Großbritannien registrierten Firma namens Savaro Ltd
gehörte, hinter der zwei syrische Geschäftsmänner mit Kontakten zur
syrischen Regierung stecken. Das Regime von Baschar al-Assad ist eng mit
der Hisbollah verbandelt. Es ist also durchaus möglich, dass die Fracht gar
nicht für Mosambik bestimmt war – sondern für die Hisbollah.
Die Besatzung harrte elf Monate aus, bevor sie schließlich im September
2014 das Schiff verlassen durfte. Libanesische Behörden beschlagnahmten die
Ladung und brachten sie in Hangar 12 des Hafens. Das Schiff sank 2018;
zumindest Teile der explosiven Fracht lagerten volle sechs Jahre lang
ungesichert auf dem Hafengelände.
Zu der Explosion führte deshalb nicht nur das Werk zwielichtiger
Geschäftsmänner, sondern auch das Versagen libanesischer Behörden:
Reporter*innen der New York Times interviewten Hafen-, Zoll- und
Sicherheitsbeamte sowie Reeder und [3][kamen zu dem Schluss], dass sich
Libanons politische Führung durch Bestechung und Schmuggel bereicherte.
Recherchen libanesischer Journalist*innen ergaben zudem, dass sowohl
Sicherheitsbehörden als auch der Zoll sowie hochrangige Politiker von dem
Material wussten.
## Immun gegen Strafverfolgung
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, die am Dienstag einen
ausführlichen Bericht vorlegte und eine internationale Untersuchung mit
Mandat des UN-Menschenrechtsrats forderte, benannte unter anderem
Ex-Regierungschef Diab, Staatspräsident Michel Aoun, einen ehemaligen
Heereschef sowie mehrere Minister.
Die offiziellen Untersuchungen im Libanon kommen derweil nicht voran. Im
Dezember gelangte zwar Diab ins Visier von Untersuchungsleiter Fadi Sawwan.
Diab war mit seinem Kabinett zwei Tage nach der Explosion zurückgetreten.
Der leitende Ermittler beschuldigte Diab und drei Ex-Minister der
Fahrlässigkeit. Doch eine Woche später wurde die Untersuchung ausgesetzt;
im Februar setzte ein Gericht dann den leitenden Ermittler ab.
Sawwans Nachfolger ist der Richter Tarek Bitar. Letzten Monat forderte
dieser, die Immunität einer Reihe von Politikern und hohen
Sicherheitsbeamten aufzuheben, um eine Strafverfolgung zu ermöglichen –
bisher jedoch ohne Erfolg. Der Parlamentsabgeordnete Hady Hobeiche sagte
daraufhin: „Ich denke, es ist wichtiger herauszufinden, wer das explosive
Material gebracht hat, als wer von seiner Existenz wusste und nichts getan
hat.“ Das Parlament ließ wissen, es brauche mehr Beweise, bevor es die
Immunität dreier Ex-Minister aufhebe.
Mitarbeit: Karim El-Gawhary, Jannis Hagmann
3 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.reuters.com/world/middle-east/fbi-probe-shows-amount-chemicals-…
[2] https://www.spiegel.de/ausland/beirut-was-die-hisbollah-mit-dem-mysterioese…
[3] https://www.nytimes.com/interactive/2020/09/09/world/middleeast/beirut-expl…
## AUTOREN
Julia Neumann
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