# taz.de -- Antiziganismus in Berlin: Die Vielfalt der Diskriminierungen | |
> Die Dokumentationsstelle Antiziganismus hat einen Bericht über die Jahre | |
> 2019 und 2020 vorgelegt. Dessen Fazit: Corona hat die Lage noch | |
> verschärft. | |
Bild: Vermeintliche Solidarität: Roma-Fahne vor dem Rathaus Neukölln | |
Der Berliner Jugendverband von Rom*nja und Nicht-Rom*nja Amaro Foro e. V. | |
hat am Dienstag eine Dokumentation antiziganistischer Vorfälle in den | |
Jahren 2019 und 2020 vorgestellt. Die Vorfälle, die sich sowohl auf | |
individueller wie institutioneller Ebene ereignen, werden seit 2014 von der | |
Dokumentationsstelle Antiziganismus (DOSTA) gesammelt, die der Verein im | |
Jahr 2014 eingerichtet hat. | |
Um eine klassische Dokumentation handelt es sich dabei allerdings nicht: Im | |
Gegensatz zu vorangegangenen Jahren sparen die AutorInnen Fallzahlen aus | |
und beschränken sich darauf, Schwerpunktthemen wie den Kontakt zu | |
Leistungs- und Ordnungsbehörden, den Zugang zu Bildung, Wohnraum und | |
medizinischer Versorgung sowie die Situation im öffentlichen Raum zu | |
skizzieren – in Bezug auf das Jahr 2020 auch im Corona-Kontext. | |
Weil es bei antiziganistischen Handlungen eine hohe Dunkelziffer gebe und | |
die Meldungen coronapandemiebedingt noch einmal zurückgegangen seien, hält | |
die DOSTA „quantitative Erhebungen“ für „nur begrenzt sinnvoll“. | |
Auf Nachfrage teilte Amaro Foro mit, es seien in den beiden untersuchten | |
Jahren über 200 Vorfälle gemeldet worden, „davon fast die Hälfte in | |
Leistungsbehörden“ wie dem Jobcenter. In den 7 Jahren seit Beginn der | |
Dokumentation seien damit über 900 Vorfälle zusammengekommen. | |
„Menschen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Roma-Hintergrund“ – so die | |
Definition der Betroffenen-Gruppe durch die DOSTA – seien in Deutschland | |
von vielfältigen Stigmatisierungen betroffen. | |
„Auf diese ohnehin äußerst prekäre Situation hat die Corona-Pandemie wie | |
ein Brandbeschleuniger gewirkt und zu öffentlichen Diffamierungen ebenso | |
wie existenzbedrohlichen Lebenslagen geführt“, sagte Georgi Ivanov, | |
Vorstandsmitglied von Amaro Foro. | |
## „Von Bildung de facto ausgeschlossen“ | |
Mariela Nikolova, ebenfalls Vorstandsmitglied, betonte, die Klient*innen | |
von Amaro Foro befänden sich „ohnehin in äußerst prekären Lebenslagen“ … | |
seien „dadurch auch von den Folgen der Pandemie in gravierendem Maße | |
betroffen“. Sie hätten überproportional häufig ihre Arbeit verloren, der | |
Zugang zu sozialen Leistungen sei gleichzeitig „noch stärker erschwert“ | |
worden. Menschen in prekären Wohnverhältnissen seien „zur Zeit des | |
Homeschoolings auch vom Zugang zu Bildung über Monate de facto | |
ausgeschlossen“ gewesen. | |
Besonderes Augenmerk legt die Dokumentation auf den Fall mehrerer | |
Wohnhäuser in Neukölln, die Mitte Juli 2020 vom Gesundheitsamt Neukölln für | |
zwei Wochen unter Quarantäne gestellt wurden. | |
Die Maßnahme betraf 369 Haushalte, positiv auf Corona getestet worden waren | |
zum Zeitpunkt der Entscheidung 57 Personen. Ein Häuserblock in der Harzer | |
Straße, wo viele Rom*nja wohnen, sei auch identifizierbar gewesen und | |
daraufhin von Medien beobachtet worden. Die Dokumentation spricht von | |
„rassistischen und antiziganistischen Anfeindungen seitens des | |
Gesundheitsamts, Politiker*innen, Journalist*innen und sozialen | |
Medien“. | |
## Keine wirksame Strategie | |
Der Neuköllner Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) habe betont, die | |
Betroffenen stammten aus einer „bildungsfernen Community“ und seien nicht | |
kooperativ. „Fakt ist“, so die AutorInnen der Dokumentation, „dass der | |
Bezirk für die Betroffenen keine wirksame Informationsstrategie | |
bereitgestellt hatte.“ Ein Bericht des Robert-Koch-Instituts über das | |
Vorgehen des Gesundheitsamt, der dieses positiv bewerte, verwende | |
fälschlicherweise die Begriffe “Roma-stämmig“ und “rumänisch-stämmig�… | |
Synonyme. | |
Welche weitergehenden konkreten Diskriminierungen die BewohnerInnen | |
aufgrund dieser Stigmatisierung erlebten – dieser Frage geht der Bericht | |
nicht nach. | |
Stattdessen beschränkt er sich auf eine allgemeine Einordnung: „In der | |
Covid-19-Pandemie dürfen politische Entscheidungsträger*innen, | |
Meinungsführer*innen und öffentliche Sprecher*innen niemals die | |
Zeit des kollektiven Notstands nutzen, um rassistische und diffamierende | |
Rhetorik zu normalisieren.“ | |
27 Jul 2021 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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