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# taz.de -- Die Wahrheit: Hungern mit Hafer
> Natürlich gilt es, Adipositas und Diabetes abzuwehren. Doch muss man dazu
> ausgerechnet eine Diät aus der Hölle heraufbeschwören?
Ich bin 179 Zentimeter groß und wiege 90 Kilo. Plusminus. Das Gewicht
variiert leicht. Die Größe auch. Erstens ist man abends ja einen Zentimeter
kleiner – und zweitens bin ich in meinem Personalausweis einen Zentimeter
größer. Ich dachte damals: Selbst schuld, Schweinesystem, wenn du nicht
misst, sondern nur fragst. Dann wachse ich eben mal spontan auf das
deutsche Offiziers-Gardemaß. Seit Jahren rechne ich damit, dass ein
Uniformierter am Flughafen doch mal den Zollstock zückt und ich wegen
Hochstapelei abgeführt werde.
Laut des Body-Mass-Index-Rechners meiner Krankenkasse bin ich so oder so
übergewichtig. In allen für mich realistischen Gewichts-Größe-Relationen.
Wenn auch nur „leicht“. Die WHO nennt es „Prä-Adipositas“, also
Vor-Fettsucht. Danke dafür. Aber was soll’s?! Als Kind und Jugendlicher war
ich ein bedenklich dürrer Spackel, jetzt bin ich eben etwas mopsiger.
Leider kam nun ein weiteres „Prä“ dazu. Bei einer Untersuchung stellte man
fest, dass mein Blutzuckerwert erhöht ist: „Prä-Diabetes“. Das heißt,
daraus könnte eine Typ-2-Diabetes werden mit allem Pipapo: Insulinspritzen,
Fußabfallen, Blindwerden, Impotenz. Wie man merkt, halte ich nichts davon,
Gefahren zu bagatellisieren.
Der erfreulich entspannte Rat meiner Ärztin war: Zucker, Weißmehl, Nudeln
reduzieren und dann in zwei Monaten noch mal messen. Aber damit hatte sie
mein Panikpotenzial unterschätzt. Augenblicklich begab ich mich auf die
Suche nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten. Ich stieß auf eine mehrtägige
„Haferkur“, die schon 1902 entwickelt wurde, dann durch die Erfindung der
Insulintherapie in Vergessenheit geriet, nun aber zu neuen Ehren gelangt
und aktuellen Studien zufolge bei vielen Menschen den Blutzuckerspiegel
deutlich senken soll.
Das Problem ist: Man schiebt ständig Kohldampf – und man stirbt dabei an
Langeweile: Dreimal am Tag isst man eine Portion Haferschleim, gekocht aus
75 Gramm Haferflocken und einem halben Liter Wasser. Punkt. In enthemmt
hedonistischen Rezeptvarianten darf man mal 25 Gramm Obst – also eine
Apfelspalte – oder 50 Gramm Gemüse – eine halbe Tomate – dazu tun.
Der erste Tag war die Hölle. Tag zwei und drei waren besser. Vielleicht so
auszehrend und quälend öde wie eine Rede von Armin Laschet oder so
deprimierend stumpfsinnig wie eine Bühnenansage von Nena. Tag vier war
wieder die Hölle.
Aber ich hab’s geschafft. Ob mein Zuckerspiegel gesunken ist, weiß ich
nicht. Der wird ja erst Ende August wieder gemessen. Aber meine alten
36er-Jeans passen wieder. Das spart Geld. Meine 38er fielen nämlich gerade
alle auseinander.
Laut BMI-Index-Rechner der Barmer läge mein Normalgewicht übrigens zwischen
60 und 80 Kilo. In die Nähe von 60 Kilo käme ich allerdings auch mit einer
Dauerhaferkur nicht, höchstens mit einem zweimonatigen finalen
Hungerstreik. Vermutlich wäre dann auch mein Blutzucker aus der
prä-diabetischen Zone raus. So oder so: Die Barmer hat immer recht.
28 Jul 2021
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Adipositas
Diabetes
Gesundheit
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