# taz.de -- Dokumentarfilmer zur Wahl in Bulgarien: „Wir sind doch nicht im K… | |
> Christo Bakalski beklagt die Hasssprache im Wahlkampf. Dass wieder keine | |
> Regierung zustande kommt und dann weiter gewählt wird, hält er für | |
> möglich. | |
Bild: Immer noch Anhänger*in von Bojko Borissow: Eine Wahlhelferin in Sofia be… | |
taz: Herr Bakalski, Stellen Sie sich vor, Sie würden jetzt einen | |
Dokumentarfilm über die aktuelle Situation in Bulgarien machen. Welches | |
wäre der Plot? | |
Christo Bakalski: Ich würde versuchen, einen interessanten Polit-Thriller | |
zu machen. Der Titel: Die Eier legende Wollmilchsau. Damit ist die nächste | |
Regierung gemeint. Frei nach dem Motto: Von allem ein bisschen. Aber es | |
muss ja auch ein wenig lustig sein. | |
Könnten Sie die Eier legende Wollmilchsau etwas genauer erklären? | |
Sollten „Demokratisches Bulgarien“, „So ein Volk gibt es“ und „Mafia | |
raus!“, also die drei Protestparteien, diesmal die Wahlen gewinnen und mehr | |
als 121 Mandate im Parlament bekommen, dann müssen sie regieren. Klappt das | |
nicht, wird es noch interessanter. Dann müssten die drei auf die | |
Unterstützung der alten Parteien zurückgreifen. Doch sie wollen weder die | |
Unterstützung der langjährigen Regierungspartei GERB noch die der | |
Sozialisten. Wie das wohl funktionieren könnte, wenn diese drei Parteien | |
trotzdem versuchen würden, das Land vorwärts zu bringen, das würde ich mir | |
für meinen Dokumentarfilm anschauen. | |
Die drei Protestparteien repräsentieren ja ein breites politisches | |
Spektrum, sie sind total unterschiedlich. Wie sollen sie überhaupt | |
miteinander klar kommen? | |
In Deutschland wäre so eine Konstellation nicht möglich, aber in Bulgarien | |
sind die Politiker vielleicht zu größeren Kompromissen bereit. Im besten | |
Fall würde das bedeuten, dass es ein paar sehr kompetente Minister von | |
Demokratisches Bulgarien geben könnte. Zum Beispiel für Wirtschaft, | |
Finanzen und Kultur. Denn die haben gute Leute. Bei der populistischen | |
Partei „So ein Volk gibt es“ des Showmasters Slawi Trifonow ist das eher | |
unklar. Da weiß niemand, was kommen könnte. Das gilt auch für die Partei | |
„Gangster raus“. Die Leute sagen im Spaß, deren Politik sei: Eure Gangster | |
raus, unsere Gangster rein! Deshalb bleibt vor allem die Frage, wie | |
Demokratisches Bulgarien in so einer Koalition erfolgreich regieren könnte. | |
Sollte es diese Regierung dennoch geben, wird sie sehr wackelig sein. | |
Soviel ist sicher. | |
Und dann? | |
Gibt es wieder Neuwahlen. Vor allem die Vertreter von Demokratisches | |
Bulgarien kalkulieren das ein. Sie hoffen, dass sie von Wahl zu Wahl | |
stärker werden und dann eine gewisse Stabilität im Land einkehrt. Aber | |
ehrlich gesagt: Für Demokratisches Bulgarien würde ich mir wünschen, dass | |
die Partei, wie seinerzeit die Grünen in Deutschland, den Weg durch die | |
Institutionen geht. Das heißt, dass sie nachhaltig arbeitet und nicht | |
unbedingt mit jedem sofort eine Regierung bilden will. | |
Kommen wir noch einmal zur Partei „So ein Volk gibt es“ von [1][Slawi | |
Trifonow] zurück, die im April zweitstärkste Kraft wurde. Er selbst scheint | |
keine politische Verantwortung übernehmen zu wollen, auch die politischen | |
Vorstellungen bleiben nebulös …. | |
Genau das ist das Problem. Die Partei äußert sich nicht, sie gibt wenig | |
Interviews und hat kein richtiges Programm. Trifonow selbst ist ziemlich | |
autoritär. Außerdem scheint er gesundheitliche Probleme zu haben. Er hält | |
sich im Hintergrund und versucht, andere Leute für sich arbeiten zu lassen. | |
Ich verspreche mir nicht viel von ihm. Aber einflussreiche bulgarische | |
Geschäftsleute, die schon. | |
Laut Prognosen könnte er bei der Wahl am Sonntag noch zulegen. Wie erklären | |
Sie das? | |
Das ist hundertprozentiger Populismus und der kommt an. Trifonow holt seine | |
Stimmen in den Plattenbauten an der Peripherie der Städte. Angesprochen | |
fühlen sich vor allem auch junge Leute, die für ihr Leben überhaupt keine | |
Perspektive sehen. Das ist Trifonows Wählerschaft. Gleichzeitig zieht er | |
auch den Sozialisten viele Stimmen ab. | |
Könnten Sie diesen Aspekt etwas genauer erläutern? | |
Einflussreiche Teile der bulgarischen Sozialistischen Partei haben mit dem | |
Gedanken gespielt, mit GERB eine Koalition einzugehen, nach deutschem | |
Vorbild. Aber die Parteichefin lehnt das strikt ab. Sie hat einige | |
Mitglieder hinausgeworfen und dadurch die Partei gespalten. Das sind genau | |
die Leute, die sich jetzt Trifonow zuwenden. | |
Die Rechtsextremen, die bei der letzten Wahlen im April an der | |
Vierprozenthürde gescheitert sind, haben sich jetzt zusammengeschlossen. | |
Wie beurteilen Sie deren Chancen? | |
Nicht gut. Die Menschen haben von den Rechten die Schnauze voll, weil sie | |
bis April mit an der Regierung waren und sich bereichert haben. | |
Im Wahlkampf wird ja rhetorisch mit harten Bandagen gekämpft. Als sich | |
Borissow mit Trifonow einer öffentlichen Debatte stellen wollte, sagte der, | |
er rede nicht mit Terroristen …. | |
Wir stoßen in diesen Tagen sehr häufig auf Hasssprache, sowohl in den | |
Medien als auch auch bei einigen Politikern. Meist sind diese Angriffe | |
gegen die GERB gerichtet. Beamte, die die GERB eingesetzt hatte, wurden | |
Maikäfer genannt. Jetzt hat jemand gefordert, man müsse sie als Kakerlaken | |
bezeichnen. Und Kakerlaken kann man bekanntermaßen zertreten. Das alles ist | |
nicht gut für die politische Kultur. Wir sind doch nicht im Krieg. | |
Apropos: Schnauze voll, eine schamlose Bereicherung der Mächtigen, die | |
weiter geht. Wie ist denn jetzt generell die Stimmung im Land? | |
Die Menschen sind müde, weil die GERB-Regierung so lange an der Macht war. | |
Die Nation ist in ihrem Denken und Handeln sehr gespalten. Aber es entsteht | |
etwas Neues, aber was genau das ist, ist schwer zu beschreiben. Eins jedoch | |
ist deutlich zu spüren: Die Menschen haben wirklich den Wunsch, sich zum | |
Besseren zu wandeln und nach festen Regeln in einem normalen Land zu leben. | |
Die Bulgaren denken immer, nur bei ihnen sei alles schlecht, in anderen | |
Ländern jedoch alles besser. Sie sehen sich selbst zu kritisch. | |
Obwohl derzeit immer mehr Korruptionsfälle und andere Skandale der | |
GERB-Regierung unter Borissow bekannt werden, hält die Europäische | |
Volkspartei in Brüssel dem Ex-Regierungschef immer noch die Stange. | |
Unlängst hat EVP-Chef Manfred Weber Borissow noch einmal der Unterstützung | |
der Partei versichert. Was denken Sie darüber? | |
[2][Borissow] ist mit der Zeit ein sehr guter Außenpolitiker, ein gewiefter | |
Taktiker geworden. Er schafft es, die unterschiedlichen Interessen der EU, | |
der USA, Russlands und der Türkei auf dem Balkan auszubalancieren. Er ist | |
noch nicht wegzudenken, seine Partei ist immer noch die stärkste. Und die | |
GERB ist pro-europäisch. Wir müssen den Außenpolitiker Bojko vom | |
Innenpolitiker Bojko trennen. Was die Bulgaren ärgert, ist vor allem die | |
Vetternwirtschaft, die zu den letztjährigen Protesten und auch dem | |
Wahlergebnis vom April geführt hat. | |
Aber diskreditiert die Unterstützung für Borissow aus Brüssel nicht die EU? | |
Natürlich ist ein großer Teil der Bulgaren von der EU enttäuscht. Die | |
Ankündigung, im Herbst eine EU-Abordnung zu einer Überprüfung nach | |
Bulgarien zu schicken, sehen viele hier aber sehr positiv. Die Bulgaren | |
trauen der EU immer noch mehr zu als sich selbst. | |
Gehen Sie am kommenden Sonntag wählen? | |
Auf jeden Fall. Ich habe bisher keine einzige Wahl verpasst. | |
11 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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