Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Projekt für verfolgte Studierende: Abenteuerliche Flucht
> Das „Hilde-Domin-Programm“ für im Ausland gefährdete Studierende ist
> gestartet. Ein erster Student aus Myanmar ist in Deutschland angekommen.
Bild: Demonstrieren auf offener Straße ist in Myanmar lebensgefährlich
Die Twitter-Nachricht der Konstanzer Professorin Judith Beyer versprühte
sprichwörtlich die Erleichterung: „Danke jedem, der geholfen hat, diese
Familie in Sicherheit zu bringen.“ Ein Foto zeigte Myanmars
Menschenrechtler Ye Myint Win, genannt Nickey Diamond, mit Ehefrau Julia
und den zwei kleinen Kindern Nora und Kelvin. „Erst als wir in Frankfurt
aus dem Flugzeug stiegen, haben wir uns endlich sicher gefühlt“, schrieb er
dieser Zeitung in einer Mail.
Ye Myint Win kann nun an der Universität Konstanz unter Führung von
Professor Beyer zum Thema „Antimuslimische Hassreden in Myanmar“
promovieren.
Der 28-jährige Familienvater aus dem südostasiatischen Land, das seit dem
blutigen Staatsstreich der Generäle am 1. Februar 2021 nicht weniger als 63
Todesurteile verhängte, über 800 Demonstranten und Kritiker tötete sowie
etwa 5.000 Menschen hinter Gitter steckte, ist der erste Stipendiat des
erst zweieinhalb Monate alten Hilde-Domin-Programms des Auswärtigen Amts
und des Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD).
Das Programm soll gefährdeten Studierenden, Doktoranden und Doktorandinnen
den Weg nach Deutschland ebnen. „Wir müssen sehr diskret sein“, sagt
Christian Hülshörster, der beim DAAD in Bonn das Programm betreut, „es ist
immer schwierig, die Leute aus ihren Heimatländern zu holen.“
## Antwort auf Unterdrückung in Belarus
Benannt nach der in Köln geborenen jüdischen Schriftstellerin Hilde Domin,
entstand das Programm ursprünglich als Antwort auf die [1][politische
Unterdrückung in Belarus], gilt aber weltweit. „Die Chancen auf eine
Nominierung steigen natürlich, wenn jemand bereits über akademische oder
zivilgesellschaftliche Kontakte in Deutschland verfügt“, sagt Hülshörster,
„Kirchen, Menschenrechtsgruppen, Vereine, Stiftungen und Universitäten
können Kandidaten nominieren.“
Das Programm tritt in die Fußstapfen der seit zehn Jahren bestehenden
Philipp-Schwartz-Initiative der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die in
diesem Jahr 25 Stipendien für Studierende und Akademiker in Notlagen
vergibt.
Ye Myint Win war in seiner Heimat für die Menschenrechtsorganisation
Fortify Rights tätig. Er identifizierte die Einheiten der Streitkräfte des
Landes, die 2017 für die brutale [2][Zwangsvertreibung Hunderttausender von
moslemischen Rohingyas] aus der Rakhine-Region ins Nachbarland Bangladesch
verantwortlich waren. Es handelt sich um dieselbe Truppe, die nach dem
Putsch durch [3][besonders brutales Vorgehen] auffiel.
„Wir haben uns nach dem Putsch in Myanmar drei Monate lang im Gebiet der
Karen National Union (KNU) versteckt“, teilte er der taz mit. Die 1947
gegründete Rebellengruppe bekämpft wie ein Dutzend anderer ethnischer
Gruppen seit Jahrzehnten Myanmars Zentralregierung. Über den Rest der
abenteuerlichen Reise von der KNU an die Universität Konstanz wird der
Mantel des Stillschweigens ausgebreitet.
„Wir haben gegenwärtig etwa 40 Nominierungen für unsere vorhandenen 50
Plätze“, sagt Christian Hülshörster, der DAAD-Leiter des Programms in Bonn,
„etwa die Hälfte kommt aus Belarus.“ Die relativ hohe Zahl von Bewerbungen
so kurz nach dem Start des Programms Mitte April verdeutlicht, wie schlecht
es weltweit um die akademische Freiheit steht.
Der „Akademische Freiheitsindex“ – von der Friedrich-Alexander-Universit�…
Erlangen-Nürnberg mitentwickelt – zeigt von Osteuropa angefangen mit den
Ausnahmen von Georgien, Nepal, der Mongolei, Südkorea und Taiwan für die
akademische Freiheit ein düsteres Bild. „Überwachung von Forschung und
Lehre sowie Isolation, Sanktionen, Restriktionen und Selbstzensur nach
Covid-19 haben zugenommen“, sagt das Global Public Policy Institute (GPPI),
das den Akademischen Freiheitsindex herausgibt.
Beim DAAD stellt sich Hülshörster deshalb auf mehr als 50 Bewerber pro Jahr
ein. Bis zum Jahr 2027 stehen dem DAAD derzeit 8,6 Millionen Euro zur
Verfügung. „Wir werden Ende des Jahres prüfen, ob wir beim Auswärtigen Amt
wegen zusätzlichen Mitteln nachfragen“, so Hülshörster.
30 Jun 2021
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Krisenherd-Belarus/!t5719665
[2] /Die-Rohingya-in-Myanmar/!5751183
[3] /Folgen-des-Militaerputsches-in-Myanmar/!5768828
## AUTOREN
Willi Germund
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
Verfolgung
Schwerpunkt Myanmar
Belarus
Studierende
EU-Türkei-Deal
Schwerpunkt Flucht
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Globale Flüchtlingszahlen von UNHCR: Mehr als je zuvor
Ende 2020 waren weltweit 82,4 Millionen Menschen auf der Flucht, mehr als
je zuvor. Die meisten davon im eigenen Land. Besserung ist nicht in Sicht.
Flucht aus Tschetschenien: Endlich sicher, oder?
Wer wie Albika aus Tschetschenien nach Deutschland flieht, lebt in zwei
Welten: Nicht nur weil es zu gefährlich wäre, nach Hause zurückzukehren.
Gescheiterte Familienzusammenführung: Langes Warten aufs Amt
Amanuel Abraha lebt in Deutschland, doch seine Familie hat er seit 7 Jahren
nicht gesehen. Denn wer aus Eritrea kommt, dem fehlen wichtige Papiere.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.