# taz.de -- Die Freiheit nach dem Anschlag: „Viele Opfer mögen mich nicht“ | |
> Vanessa Münstermann war Ziel eines Säureanschlags ihres Ex-Freundes. In | |
> der taz spricht sie darüber, wie das ihr Leben verändert hat. | |
Bild: Vanessa Münstermann trägt die Spuren der Gewalt offen | |
Mit dem Säureanschlag hat mein Ex-Freund mir das Leben gerettet in dem | |
Sinne, dass es mir vorher ja schon nicht gut ging. Was aber niemand gesehen | |
hat. Schönen Menschen darf es nicht schlecht gehen, sie haben ja alles. | |
Depressionen, Suizidgedanken – da wurde ich abgefangen mit: „Mach mal einen | |
Wellness-Tag“. | |
Da ich gelernte Kosmetikerin bin, war Schönheit immer etwas, was mich | |
interessiert hat. Aber ich bin eine Kosmetikerin, die lieber einen Pilz-Fuß | |
behandeln möchte oder eine Akne ausreinigt. Das hat man auch nicht | |
wahrgenommen, weil man ein junges schönes Mädchen eben in den | |
Verkaufsbereich stellt. Deshalb kann ich Daniel, meinem Ex-Freund, danken, | |
dafür, dass er mir die äußere Schönheit genommen hat. Jetzt kann ich so | |
sein, wie ich bin und werde auch so wahrgenommen. | |
Ich bin aus dem Koma mit den alten Suizidgedanken aufgewacht. Dann habe ich | |
den ganzen Schwall von „Du schaffst das, wir glauben an dich“ bekommen, | |
dadurch sind diese ganzen Minderwertigkeitskomplexe und Suizidgedanken | |
verschwunden. Weil ich von der Außenwelt die Liebe, die ich immer gesucht | |
habe, dann auch bekommen habe. | |
Da hat mir ein Neunjähriger fünf Euro gespendet und zu seiner Mutter | |
gesagt: „Mama, ich will mir von meinem Taschengeld keine Süßigkeiten mehr | |
kaufen, sondern das der Frau geben, der der böse Mann das angetan hat.“ Und | |
dann soll ich aufgeben? Niemals. Das ist alles ein bisschen Trotz, ich habe | |
ein sehr trotziges Kind in mir. Ich habe meinen Mittelfinger gehoben und | |
gesagt: „Nee, Daniel, du hast es nicht geschafft.“ Und bin in die Medien | |
gegangen, ganz früh, um zu zeigen: Ich gebe nicht auf. | |
Daniel hat mal etwas im Gericht gesagt, das habe ich damals nicht | |
verstanden: „Ich wollte ihren wahren Charakter nach außen kehren.“ Er | |
wollte mich hässlich machen. Aber eigentlich hat er gar nicht so unrecht. | |
Er hat gezeigt, was ich bin. Ob die Verbrennungen schön oder hässlich sind, | |
das kann sich ja jeder selber auf die Kappe schreiben, aber ich konnte | |
mich so zeigen, wie ich bin. | |
Wahrscheinlich habe ich diese bösen Gefühle nach außen gekehrt, | |
wahrscheinlich sehen Suizidgedanken hässlich aus. Das ist für mich eine | |
Chance, endlich zu sein, wer ich bin. Ich brauche jetzt kein Make-up mehr | |
auflegen, um zu sagen: Die Welt ist in Ordnung. Die Welt ist nicht in | |
Ordnung und das ist okay. Ich bin jetzt so frei, bei Lidl an der Kasse zu | |
weinen, weil ich traurig bin. | |
Das ist wahrscheinlich auch Selbstschutz, so zu denken, aber egal, wie ich | |
mich jetzt schminke: Wie eine zweite J. Lo werde ich nicht mehr aussehen. | |
Gewollt und nicht gekonnt – deswegen habe ich auch kein richtiges Auge. Als | |
ich vor meinem Okularisten saß, habe ich geheult und gesagt: „Das Auge | |
kommt nur raus, wenn ich keine normale Prothetik kriege.“ Hätte ich einen | |
Autounfall gehabt und nur mein Auge verloren, wäre ich die Letzte, die mit | |
so einem Auge rumrennen würde. Da muss man abwägen. | |
Das Tattoo auf die vernarbte Haut machen zu lassen, war gefährlich. Es ist | |
das Zeichen für Schwefelsäure, weil die Leute immer glauben, ich bin | |
verbrannt. Nein, ich bin Säureopfer. Feuer und Brand sind schon | |
Arschlöcher, die greifen die Knochen an. Aber Säure wirkt nach. Ich glaube, | |
mein Professor hat die Augen verdreht, als er das gesehen hat. | |
## Das Augenlicht genommen | |
Ich bin energielos dahingehend, jemandem zu gefallen, der Norm der | |
Gesellschaft zu entsprechen. Die Frage, die mir am häufigsten gestellt wird | |
ist: Ist es nicht das Ziel, in die Gesellschaft zurückzugehen? Es geht auch | |
um Arbeit und da sage ich: Natürlich, aber dann möchte ich in die Kosmetik | |
zurück. Das Problem ist nur, dass Daniel mir auf einer Seite das Augenlicht | |
genommen hat. Ich darf keine Zange, kein Skalpell mehr anfassen. | |
Das ist die bittere Pille, mit der ich zu kämpfen habe und weshalb ich in | |
Therapie bin – dieses Genommene, dieser Rattenschwanz, von dem Richter | |
Rosenbusch im Prozess gesprochen hat, was ich damals nicht verstanden habe: | |
Ich habe Schwankschwindelprobleme, gegen die ich dreimal täglich ein | |
Medikament nehme. Gestern habe ich mich mal wieder getraut, mit meiner | |
Tochter schaukeln zu gehen, und musste mich übergeben, weil mein Kopf das | |
nicht mehr mitmacht. | |
Da muss eine Durchblutungsstörung gewesen sein, dadurch, dass das halbe | |
Gesicht weg ist. Ich gondel von Ärzten zu Ärzten und das ist das, was | |
schmerzt: dieses nicht ausgelassen am Leben teilzunehmen. Nachts diese | |
Ängste zu haben. In der Wohnung musste mein Mann eine Zwischentür einbauen, | |
weil ich große Räume nicht mehr ab kann. | |
Und das ist nicht sichtbar. Auch in den Medien bekomme ich keinen Raum | |
dafür. „Du bist die starke Frau“ – es ist bestimmt stark, aber es ist au… | |
ein ganz schöner Akt. Ich bin 32, das ist eigentlich kein Leben, das eine | |
32-Jährige führen sollte. Die sollte sich gerade ihr Business aufgebaut | |
haben, weil sie mitten im Leben steht, Chancen kriegen und nicht kraftlos | |
um 20 Uhr ins Bett gehen. Das sollten die Leute auch sehen. | |
## Wer schützt mich dann? Keiner. | |
Und was passiert, wenn Daniel in sieben Jahren rauskommt, wer schützt mich | |
dann? Keiner. Ideen, was ich dann machen kann – den Menschen muss ich noch | |
kennenlernen, der dazu mehr sagt als: Du musst abwarten, vielleicht kommt | |
er gar nicht. Ich werde ja vom „Weißen Ring“ angeschrieben mit der Frage: | |
Wir haben hier einen Stalking-Fall, wie verhalten wir uns? Da ist die | |
Machtlosigkeit sehr groß. Und natürlich habe ich keine Antwort – sonst | |
würde ich ja nicht so aussehen wie ich aussehe. | |
Die Idee, den Verein „AusGezeichnet“ zu gründen, kam mir schon auf der | |
Intensivstation. Das hat sich daraus entwickelt, dass ich Spenden erhalten | |
habe, und die wollte ich in die Gesellschaft zurückgeben. Auf der | |
Intensivstation dachte ich, ich bin die Einzige, die so verätzt worden ist, | |
ich bin die Einzige, die so aussieht – ich möchte mich nicht so alleine | |
fühlen. Ich hatte mein Buch in den Krankenhäusern ausgelegt, auf den ersten | |
Seiten standen meine Kontaktdaten. Die Leute haben mich dann über Instagram | |
und Facebook gefunden. | |
Jetzt wird der Verein aufgelöst. Es waren eher wenig Säure- und | |
Verbrennungsopfer. Ich habe gemerkt, dass es eher Femizide sind, ich habe | |
meinen Schwerpunkt verkannt. Im Endeffekt bin ich eine Frau, die durch die | |
Gewalttat eines Mannes geprägt worden ist. Mit Geldern kann ich niemandem | |
mehr helfen, aber ich glaube, dass ich das auch gar nicht mehr muss. Die | |
Wunschvorstellung ist: Man mietet ein Café für zwei Stunden an, ich sitze | |
da und die Leute, die mich treffen wollen, Verbrennungsopfer, Leute, die | |
anders aussehen, Leute, die ihre Narben innen tragen, die können mit mir | |
reden. Ich möchte greifbar sein. | |
Ich war bei sieben Psychiatern, drei wollten Freunde sein, die anderen | |
Mutter oder Vater. Ich will keine Therapeuten anprangern, ich habe jetzt | |
einen guten, aber den muss man erst finden. Und dann sitzt ein Schönling | |
oder eine Schönheit vor dir und sagt: Ach, das Aussehen ist gar nicht so | |
schlimm – da fühlst du dich doch komplett verarscht. | |
Wenn ich da sitze, ist da jemand, die genau weiß, wie es sich anfühlt, wenn | |
dein Ohr amputiert worden ist und sagt: „Ja, es ist scheiße und bei den | |
Schmerzen hast du ins Bett gekackt.“ Ich benutze dann auch Fäkalwörter, am | |
Anfang habe ich versucht, mich zu verstellen, weil die Medien das immer | |
rausschneiden müssen, heute mach ich das nicht mehr. Man soll das gute | |
Opfer sein, bis ich gesagt habe: Ich bin aber nur Opfer. | |
Ich gehe an den Lebenswillen ran. Was hat ein Verbrannter, der scheiße | |
aussieht, denn für Fragen: Werde ich noch geliebt? Werde ich noch | |
angefasst? Kann ich Kinder haben? Das sind Dinge, die ich beantworte, und | |
ich ecke an, weil ich sie nicht beschönige. Es gibt viele unter den Opfern, | |
die nur Opfer sein wollen und ich kann kein Opfer retten, niemanden, der | |
sich in seiner Rolle wohl fühlt. Mein Ziel ist, dass der Mensch wieder | |
bedingungslos leben und lieben kann. Wir müssen nach vorne leben. | |
## Ein Kind zeigt mit dem Finger und lacht | |
Bei uns gegenüber ist eine Schule, da sind immer Kinder. Eines steht vor | |
mir, zeigt mit dem Finger und lacht mich aus. Die Lehrerin fragt: „Das | |
macht man nicht. Warum lachst du?“ – „Sie hat rote Haare.“ Wie wundervo… | |
sind Kinder bitte. Und wovor hast du Angst – das sind die eigenen Dämonen. | |
Ich weiß, was das für Überwindung kostet, ich habe bis heute Angst. | |
Mein erstes Wort, als ich aus dem Koma erwacht bin, war „Danke“ den | |
Schwestern gegenüber. Das erwarte ich von den Opfern. Du hast dich zu | |
bedanken, dass sie deinen Hintern abgewischt haben. Das wird zwar von der | |
Krankenkasse bezahlt, trotzdem kannst du dankbar sein. Wäre es dir in einem | |
anderen Land passiert, wärst du vielleicht auf der Straße geblieben. | |
Ich weiß, viele Opfer mögen mich nicht, aber das ist nicht mein Problem. | |
Sie mögen mich nicht, weil ich sie angreife. Das verstehe ich – aber ohne | |
Kritik geht es nicht. Opfer ist für mich ein rein neutraler Begriff. Was | |
die Medien daraus machen, ist ihnen überlassen. Was wollen sie ihren Lesern | |
geben: einen hoffnungsvollen Fall oder anecken und die meisten klicks | |
generieren. | |
Ich habe mir auch „two face“ tätowiert, aber da geht es nicht nur um mein | |
Gesicht. Ich kann meine Situation rational und emotional sehen. Die | |
rationale Seite: Ich lebe in Deutschland, ich bin nicht gestorben, alles | |
gut. Ich habe zwar nur eine minimale Rente, aber mein Mann verdient gut. | |
Die emotionale Sicht: Ich muss alle zwei Jahre meine Erwerbsminderungsrente | |
durchboxen, da muss ich bestätigen, dass mein Auge immer noch nicht | |
nachgewachsen ist, dass das Ohr immer noch fehlt. Auf dem Arbeitsmarkt bin | |
ich nichts mehr wert, ich habe noch fünf große Operationen vor mir, da wird | |
mich keiner einstellen. | |
Mein Mann verdient gut – aber warum muss ich mich wieder von einem Mann | |
abhängig machen? | |
Den ganzen Schwerpunkt zur „Macht der Opfer“ lesen Sie in der Nordausgabe | |
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10 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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