Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Das weiße Pferd & der Rolls-Royce
> Nordirland leert sich an diesem Tag traditionell – zumindest zur Hälfte.
> Die katholische Bevölkerung nämlich sieht zu, dass sie Land gewinnt.
Nordirland ist ziemlich leer in diesen Tagen. Die katholische Hälfte der
Bevölkerung hat sich aus dem Staub gemacht, weil die protestantische Hälfte
jedes Jahr am 12. Juli durchdreht. Es ist der größte Feiertag in ihrem
Kalender, denn heute vor 331 Jahren hat Wilhelm III. von Oranien seinen
katholischen Widersacher und Schwiegervater Jakob II. in der Schlacht am
Boyne besiegt und so die protestantische Thronfolge in Großbritannien
gesichert.
Der Tag wird gefeiert, als ob die Schlacht erst gestern gewesen wäre. Der
nach Wilhelm benannte streng antikatholische Oranier-Orden veranstaltet
3.000 Paraden im Jahr, die meisten rund um den 12. Juli. Jugendliche
sammeln Wochen vorher Paletten, Reifen und sonstiges Brennmaterial und
bauen riesige Scheiterhaufen.
Einmal wollte ich mir das aus der Nähe ansehen. In der Sandy Row, einem
protestantisch-loyalistischen Arbeiterviertel, hatten sie aus den Paletten
eine „katholische Kirche“ gebaut. Am 12. Juli zündeten sie das Bauwerk
unter dem Jubel der Zuschauer an. Danach wollte ich ein Bier in der
Broadway Bar in der Sandy Row Ecke Donegall Road trinken, aber die Wirtin
flüsterte mir zu: „Ich klappe jetzt den Tresen hoch. Dann gehst du zum
Hinterausgang und rennst, so schnell du kannst.“ Wegen meines
verständnislosen Gesichtsausdrucks fügte sie hinzu: „Die beiden Typen an
der Eingangstür beobachten dich. Sie wissen, dass du keiner von uns bist.“
Nirgendwo wird der Oranier-Tag begeisterter gefeiert als in der Sandy Row.
Angeblich ist Wilhelm III. auf seinem Weg zur Schlacht am Boyne auf einem
weißen Pferd durch diese Straße geritten. 276 Jahre später fuhr Königin
Elisabeth II. in einem weißen Rolls-Royce durch die Sandy Row. 12.000
Menschen drängelten sich am Straßenrand. Nachdem der Wagen in die Great
Victoria Street eingebogen war, schleuderte der 17-jährige Lehrling John
Morgan einen Ziegelstein von einem hohen Baugerüst auf die Kühlerhaube, die
schwer beschädigt wurde. Die Polizei schnappte und vermöbelte ihn, ein
Gericht verurteilte ihn zu vier Jahren Gefängnis.
## Dichter David
Nicht alle Anwohner der Sandy Row sind übrigens begeistert, wenn neben
ihren Häusern die Scheiterhaufen lodern. Ein Oranier namens David meinte
dazu in einem Radio-Interview, die Leute sollten sich nicht so anstellen,
sondern ihren gesunden Menschenverstand einschalten: „Die Freudenfeuer
waren lange vor den Häusern da. Warum bauen sie ihre Häuser so dicht neben
die Freudenfeuer?“ David hingegen ist nicht mehr ganz so dicht.
Dass Oranier ziemliche Einfaltspinsel sind, bewies auch John Taylor, der
sich inzwischen Lord Kilclooney nennen darf. Er bemängelte, dass kein
spanischer Fußballer vor dem Europameisterschaftsspiel gegen Italien
vorvergangene Woche bei der Nationalhymne mitgesungen habe. Man wies ihn
diskret darauf hin, dass die spanische Marcha Real keinen Text habe.
12 Jul 2021
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Nordirland
Queen Elizabeth II.
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
Kolumne Die Wahrheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: O’zapft is!
Die 500 Tage der absoluten Entbehrung sind zu Ende. Jubel im trunksüchtigen
Irland: Die Kneipen machen wieder auf.
Die Wahrheit: Als Blair mit Adams unterm Baum lag
Was die Akteneinsicht von Regierungsunterlagen des Jahres 1997 zeigen: Tony
Blair hatte noch viel weniger Ein- und Durchblick als gedacht.
Die Wahrheit: Cuthbert, das Raupenplagiat
Der Kampf der britischen Supermarktketten um eine Zuckerbombe, die sich
wohl nie in einen Schmetterling verwandeln wird.
Die Wahrheit: Parfümiert beim Vertrauensarzt
Altwerden hat seine Vorteile: Man darf allerlei lustige Untersuchungen an
sich vornehmen lassen und lernt seltsame Vokabeln.
Die Wahrheit: In Irland gilt der 29. Impfplan
Seltsame Corona-Maßnahmen gibt es nicht nur hierzulande. Auch in Irland
blüht der ganze bürokratische Wahnsinn, nicht erst seit Delta.
Die Wahrheit: Eine Leiche auf Wanderschaft
Am vorigen Mittwoch wurde wieder der Bloomsday begangen. Im nächsten Jahr
wollen einige Dubliner Stadträte James Joyce heim auf die Insel holen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.