# taz.de -- Führender bei der Tour de France: Jung, mutig, schnell | |
> Der slowenische Radprofi Tadej Pogacar trägt das Gelbe Trikot bei der | |
> Tour de France. Mit seiner Risikolust steht er für eine neue Generation. | |
Bild: Schnell und in Gelb: Tadej Pogacar auf einer Pyrenäenstraße | |
Tadej Pogacar prägt diese Tour de France. Der junge Slowene verdankt dies | |
aber nicht der erdrückenden Übermacht seines Teams UAE Team Emirates, | |
sondern seiner individuellen Überlegenheit und seinem Mut zur Offensive. | |
Brüder im Geiste fand er in den Tourdebütanten [1][Mathieu van der Poel] | |
und Jonas Vingegaard. | |
Die Tour de France mag vorentschieden sein. Mit mehr als fünf Minuten | |
Vorsprung geht Pogacar in die dritte Woche dieser Frankreichrundfahrt. | |
Nicht einmal Chris Froome war so überlegen wie Pogacar jetzt. Nur [2][Lance | |
Armstrong] hatte in den Nullerjahren einen ähnlichen Vorsprung. In den | |
vergangenen Jahren aber war es immer knapper zugegangen: 2020 führte Primoz | |
Roglic zu Beginn der letzten Tourwoche mit nur 40 Sekunden vor dem späteren | |
Sieger Pogacar. 2019 lag Julian Alaphilippe mit 1:35 vor Geraint Thomas. | |
Der spätere Sieger Egan Bernal folgte eine knappe halbe Minute später. | |
Aus dem Zahlenwerk auf Langeweile zu schließen, ist aber völlig fehl am | |
Platz. Denn Pogacar holte seinen Vorsprung im Attackemodus heraus. In der | |
Eiseskälte der Alpen, als vielen Profis allein beim Schalten die Finger | |
einzufrieren drohten, fuhr er sich mit einer Soloattacke über mehr als 30 | |
Kilometer warm. 3:20 Minuten Vorsprung hatte er am Ende. Lohn war das Gelbe | |
Trikot, das ihm seitdem niemand streitig macht. | |
Seine Vormachtstellung unterstrich er am Folgetag mit einem kürzeren | |
Soloritt zum Skiort Tignes. Seitdem musste er nur einen einzigen | |
Gegenschlag einstecken: Am Mont Ventoux fuhr ihm Jonas Vingegaard davon. | |
Der Däne, vor vier Jahren noch Teilzeitarbeiter in einer Fischfabrik, ließ | |
auf dem Berg den Slowenen so stehen, wie der sonst die anderen stehen ließ. | |
„Am Ventoux bin ich an mein Limit gekommen, ich musste sogar über mein | |
Limit gehen“, gab Pogacar am zweiten Ruhetag der Tour zu. | |
Das war die eine Schlüsselszene dieser Tour, bislang. Sie zeigte: Pogacar | |
ist durch mutige Attacken durchaus zu erschüttern. Die zweite | |
Schlüsselszene spielte sich am Anfang der 8. Etappe ab, lange vor dem | |
formidablen Angriff des Slowenen. Da sah man ihn in ein Gespräch mit | |
Mathieu van der Poel vertieft. | |
## Krönungsabsprache über das Gelbe Trikot | |
Der Niederländer, Enkel des in Frankreich ungemein beliebten Raymond | |
Poulidor, trug da noch Gelb. Er hatte es mit einer famosen Doppelattacke | |
auf der Mûr-de-Bretagne erobert und mit einem in letzter Minute | |
angelieferten Satz aerodynamischer Laufräder im Zeitfahren sowie der | |
Beteiligung an einer Massenflucht verteidigt. Van der Poel war die prägende | |
Figur der ersten Tourwoche. | |
In diesem Gespräch zu Beginn der 8. Etappe soll van der Poel zu Pogacar | |
gesagt haben: „Sollte ich heute das Gelbe Trikot verlieren, wäre es mir am | |
liebsten, wenn du es bekämst.“ So erzählte es Pogacar jedenfalls später. | |
Es war eine Art Krönungsabsprache zwischen zweien, die den Angriff suchen, | |
die das Spektakel wollen. Die Mentalität dieser beiden Leitfiguren hat sich | |
auch auf das gesamte Peloton übertragen. Noch nie war es so schwer wie in | |
diesem Jahr, in eine Fluchtgruppe zu kommen. „Ich trete Wattzahlen, mit | |
denen ich früher das Peloton kaputt fuhr. Hier fahre ich einer Gruppe von | |
70 Mann in 100 Metern Abstand hinterher“, klagte Thomas de Gendt, | |
Ausreißerkönig der letzten Jahre. | |
„Mit 36 Jahren kann man eben nicht mehr zulegen“, spottete Matt White, | |
Teamchef von BikeExchange, aber der Australier sah ebenfalls ein generell | |
höheres Niveau im Feld als noch im letzten Jahr. „Das liegt ganz klar an | |
den vielen jungen Fahrern, die ins Feld kommen. Sie sind stark, gut | |
ausgebildet und sie haben keinen Respekt“, meint er. | |
Die mangelnde Ehrfurcht habe einerseits erhöhtes Sturzrisiko zur Folge, | |
betont White. Andererseits wird durch all die Jagden das Tempo extrem hoch. | |
Mit einem Schnitt von mehr als 41 km/h wird sogar Kurs auf die | |
Allzeitbestleistung des Siegers von 2005, Lance Armstrong, genommen. Der | |
wurde später disqualifiziert, seine Zeit ist aber eine Benchmark. | |
Diese Nähe zu Armstrong sorgt für Skepsis. Als „Pogastrong“ bezeichnet | |
schon der Dopinganalytiker Antoine Vayer den Slowenen. Dessen Performance | |
auf der 8. Etappe bleibt im Vergleich mit den Leistungen zur Konkurrenz | |
aber erklärbar. „Pogacar macht es anders als die Tourfavoriten früher“, | |
analysiert White. „Die warteten lange, attackierten erst am letzten Berg. | |
Pogacar greift aber schon am vorletzten Berg an. So kann er größere | |
Abstände herausfahren. Er geht auch tiefer in den roten Bereich hinein, | |
während die anderen sich noch Reserven aufsparen. Pogacar hat einfach Mut!“ | |
Zu schlagen ist er wohl nur im eigenen Stil – ganz so, wie es Vingegaard am | |
Mont Ventoux versuchte. | |
13 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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