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# taz.de -- Absturz aus der Champions League: Niedergang einer Fußballhauptsta…
> Olympique Marseille gewann 1993 das erste Finale der Champions League.
> Doch der Klub hat den Anschluss an die nationale Spitze verloren.
Bild: Glorreiche Zeiten für Olympique Marseiille: Bernard Casoni und Rudi Völ…
Marseille taz | „Ruuuudi“ hätten sie damals im Stadion gerufen, erinnert
sich der Rentner Pascal lächelnd, während er die Partie Olympique Marseille
(OM) gegen Straßburg vor dem Fernseher verfolgt – übertragen aus dem
coronabedingt verwaisten Stade Vélodrome. Damals, Ende der 1980er-, Anfang
der 1990er-Jahre, im stets prallgefüllten Stade Vélodrome hat Olympique
Marseille mit den Deutschen Rudi Völler, Karl-Heinz Förster und Klaus
Allofs den europäischen Fußball aufgemischt. 1993 hat das Team die
Champions League gewonnen. Es war die erste Auflage des gerade neu
geschaffenen Wettbewerbs.
Wenn am Samstag der FC Chelsea und Manchester City in Porto den 29.
Champions-League-Titel ausspielen, bleibt den Marseillais wie Pascal nur
noch die Erinnerung an diese längst vergangene [1][Glanzzeit ihres Vereins,
die 1993] im Olympiastadion von München ihren Höhepunkt erreichte. „Es kann
nicht sein, dass Marseille nicht jedes Jahr um die Champions-League-Plätze
mitspielt“, schrieb der Vereinspräsident von 1993, [2][Jean-Pierre Bernès,
kürzlich im Fachmagazin France Football]. Schließlich sei Marseille mit all
der Leidenschaft für den Klub die Hauptstadt des französischen Fußballs.
Spätestens in der Saison 2020/21 dürfte allerdings selbst den
optimistischsten OM-Anhängern bewusst sein, dass ihr Verein nicht mehr zu
den Großen Europas zählt. Erreichte OM 2018 noch das Finale der
zweitklassigen Europa League, schied der Klub in dieser Saison mit drei
Punkten aus neun Spielen sang- und klanglos aus der Champions League aus.
Schlimmer noch: selbst auf nationaler Ebene scheint der Meister von 2010
den Anschluss verloren zu haben. Im Februar im Sechzehntel-Finale des
französischen Pokals dem Viertligisten Canet Roussillon unterlegen, gelingt
der Mannschaft erst am letzten Spieltag der Saison die Qualifikation für
die Europa League.
Diesen letzten Spieltag verfolgt die Ultra-Gruppierung „South Winners 1987“
trotz Ausgangssperre in ihren Räumlichkeiten im dritten Marseiller
Arrondissement – einem Viertel, [3][in dem 55 Prozent der Einwohner unter
der Armutsgrenze leben]. „Diese Saison ist für uns doch gelaufen.
Hoffentlich wird Monaco Meister, der Süden muss vor Paris stehen!“
rechtfertigt Rachid Zeroual, Vize-Präsident der South Winners, warum die
Konferenz und nicht das Spiel von OM geschaut wird.
Ob die Saison anders verlaufen wäre, wenn die Mannschaft auf die
Unterstützung seiner Anhänger hätte zählen können? Womöglich. Als
feststand, dass bis zum Ende der Saison keine Zuschauer in den Stadien
zugelassen sein würden, kommentierte die Regionalzeitung La Provence
sarkastisch, man könne die Saison sofort abbrechen.
Dass sie keinen Zugang zu ihrer Coquille, wie das Stade Vélodrome mit
seinem muschelförmigen Dach genannt wird, hatten, hinderte die Marseiller
Anhänger nicht daran, sich für ihren Verein einzusetzen. Ein Verein, der
nicht mehr ihrer ist. Seit 2017 ist der US-Amerikaner Frank McCourt
Mehrheitseigner des Klubs. Dieser setzte im gleichen Jahr den Geschäftsmann
Jacques-Henri Eyraud als Präsidenten ein.
## Zerrüttetes Verhältnis zu den Fans
Spätestens seit der Verein auf Drängen von Eyraud 2018 der Ultra-Gruppe
„Yankees“ das Dauerkartenkontingent entzog, gilt das Verhältnis zwischen
Anhängern und Klub als zerrüttet. Die Fans machen Eyraud persönlich für den
schleichenden Niedergang von OM verantwortlich, der dazu führte, dass neben
Paris Saint-Germain auch die Konkurrenten aus Lyon, dem neuen Meister Lille
und Monaco nicht nur tabellarisch sondern auch finanziell enteilt sind.
Dem Pariser Eyraud wird vorgeworfen, die Marseiller Identität und
Mentalität nie verstanden zu haben. Im Gegenteil, als dieser behauptete, es
bräuchte weniger Marseillais im Organigramm des Vereins, um diesen
international wettbewerbsfähig zu machen, hielt es die stolzen Marseiller
nicht mehr auf ihren Sofas vor dem Bildschirm.
In der ganzen Stadt waren über Wochen hinweg Banner zu sehen mit
Aufschriften wie: „Eyraud: In Marseille muss man sich den Respekt
verdienen!“. Darüber hinaus riefen die Fans zum Boykott der
Social-Media-Kanäle des Klubs und des Hauptsponsors „Uber Eats“ auf. Am 30.
Januar gipfelte der Protest in einem gewalttätigen Angriff von etwa 300 bis
400 Ultras auf das Trainingszentrum des Klubs, woraufhin das Liga-Spiel
gegen Rennes abgesagt werden musste.
## Eine Stadt steht auf
Der Generalsekretär der South Winners, Hamza Baggour, war an diesem Sturm
auf das Trainingszentrum beteiligt. Und das nicht ohne Konsequenzen: 10
Monate Haftstrafe auf Bewährung hätten sie ihm aufgebrummt. Doch das sei es
ihm wert gewesen, meint er mit einem stolzen Lächeln: „Es war entweder
Eyraud oder wir, die ganze Stadt stand hinter uns, sogar der Bürgermeister.
Gibt es eine andere Stadt, die gemeinsam den Präsidenten rauswirft?“ Und
tatsächlich: kurz nach dem Angriff stellte sich auch Bürgermeister Benoît
Payan auf die Seite der friedlichen Anhänger, indem er twitterte: „Die Fans
sind die Seele des Klubs“ und die Direktion aufforderte, die Wogen zu
glätten.
Nach einer Serie von fünf sieglosen Spielen reichte überdies der
portugiesische Cheftrainer André Villas-Boas seinen Rücktritt ein. Unter
diesem immensen Druck sah sich der Eigentümer McCourt im Februar gezwungen,
den Präsidenten Eyraud durch den erst 34-jährigen Spanier Pablo Longoria,
der immerhin als ausgewiesener Kenner des Transfermarkts gilt, zu ersetzen.
Mit der Installation des Argentiniers Jorge Sampaoli als neuen Cheftrainer
im März erhoffte sich die Klubführung, neues Feuer innerhalb der Mannschaft
zu entfachen, die im Gegensatz zum Vereinsmotto „Droit au but“ (Direkt aufs
Tor) oft träge und ängstlich agierte.
Ob es ihm und der Mannschaft gelingt, sich in der nächsten Saison wieder in
die Herzen der Fans zu spielen? Ganz unwahrscheinlich ist das nicht.
„Sampaoli ist verrückt, so wie wir, und Longoria ist ein connaisseur du
ballon (Ballkenner) im Gegensatz zu Eyraud, der war Disneyland“ behauptet
Rachid. Im persönlichen Gespräch habe er, der einflussreiche Fan-Vertreter,
Longoria „verklickert, dass man, um OM zu führen, Ahnung vom Fußball haben,
die richtigen Spieler holen muss, sonst bist du schnell wieder weg.“
Rachid muss wissen, wovon er spricht, schließlich war er 1993 in München
dabei: „Richtige Spieler haben wir damals noch angefeuert, wie Rudi Völler,
den Fuchs im Strafraum.“
29 May 2021
## LINKS
[1] /Freispruch-fuer-Ex-Minister-Tapie/!5606036
[2] https://news.in-24.com/sports/soccer/8227.html
[3] /EMtaz-Zidanes-Geburtsort-Marseille/!5314224
## AUTOREN
Lennart Kinck
## TAGS
Fußball
Champions League
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French Open
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