# taz.de -- Prozessbeginn gegen Aung San Suu Kyi: In der Sackgasse | |
> Die Militärs haben sie kaltgestellt. Die Welt ist von ihr enttäuscht. Nur | |
> die Bevölkerung Myanmars steht noch zu der | |
> Friedensnobelpreisträgerin. | |
Sie wird einen eleganten langen Longyi, den traditionellen Wickelrock, | |
tragen und eine schicke Bluse. Sie wird kerzengerade auf dem Stuhl sitzen, | |
ohne sich anzulehnen, so wie ihre strenge Mutter ihr es vorgeschrieben und | |
wie sie es ihr ganzes Leben befolgt hat. | |
Doch etwas wird anders sein an diesem Montag in Naypyidaw, der Hauptstadt | |
von Myanmar, dem früheren Birma. Aung San Suu Kyi wird in einem | |
Gerichtssaal als Angeklagte Platz nehmen und hinter ihr wird eine | |
Polizistin stehen. Dieser Prozess gegen die Lady, wie ihre Anhänger sie | |
respektvoll nennen, ist einmalig in Asiens Geschichte. Noch nie mussten | |
sich eine Staatsrätin und Außenministerin, ein Staatspräsident und viele | |
andere Regierungsmitglieder gleichzeitig für etwas verantworten, was die | |
meisten Politiker in der Welt für völlig legal halten: Wahlen zu gewinnen. | |
Genau das haben Aung San Suu Kyi und ihre Mitstreiter im November 2020 | |
getan. Ihre National League for Democracy (NLD) [1][besiegte die Partei der | |
Militärs] mit großer Mehrheit. Die NLD gewann sogar Wahlkreise, in denen | |
vor allem Beamte und Soldaten wohnen und in denen die Partei der Armee, die | |
Unionspartei für Solidarität und Entwicklung (USPD), nach allen vorher | |
angestellten Voraussagen hätte siegen müssen. Die Generäle fühlten sich | |
gedemütigt. Myanmars Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing sah plötzlich sein | |
größtes Ziel gefährdet, sich selbst zum Präsidenten wählen zu lassen. | |
Am 1. Februar dieses Jahres [2][putschte die Armee] und setzte Aung San Suu | |
Kyi und andere hohe NLD-Funktionäre fest. Die Begründung: Bei den Wahlen | |
sei betrogen worden. Einen Beleg dafür hat das Militär bislang nicht | |
präsentiert. | |
## Unter Hausarrest – nicht zum ersten Mal | |
Und so landete Aung San Suu Kyi da, wo sie bereits 15 Jahre ihres Lebens | |
verbracht hat: im Hausarrest. Dieses Mal jedoch war sie nicht in ihrer | |
Villa am Inya-See in Yangon eingesperrt, sondern in ihrem Haus in einem | |
Außenbezirk der neuen Hauptstadt Naypyidaw. | |
Inzwischen haben die Militärs sie offenbar verlegt. „Ihre Anwälte sagen, | |
sie wisse selbst nicht, wo sie sei“, sagt ein Journalist in Yangon. | |
Kaum jemand zweifelt in Myanmar daran, dass sich die Militärs die Vorwürfe | |
gegen Aung San Suu Kyi und die NLD-Mitstreiter aus den Fingern gesogen | |
haben. Es sind mittlerweile sieben Anklagepunkte, von denen fünf Anfang | |
dieser Woche auf der Tagesordnung im Gerichtssaal von Naypyidaw stehen: So | |
soll sie während des Wahlkampfs gegen die Coronavorschriften verstoßen und | |
illegal zwei Sprechfunkgeräte besessen haben. Außerdem habe sie | |
verbotenerweise 600.000 Dollar und mehrere Kilo Gold angenommen. | |
Schwerwiegender dürfte ein Vorwurf sein, über den die Junta in der früheren | |
Hauptstadt Yangon verhandeln will: Aung San Suu Kyi habe zum Aufruhr | |
aufgerufen. Die Generäle stützen sich dabei auf ein 98 Jahre altes Gesetz | |
aus britischen Kolonialtagen, das internationale Juristen schon damals | |
kritisierten. | |
Bis Ende Juni müssen die Prozesse nach den Vorschriften abgeschlossen sein. | |
Aber was bedeuten für die Militärs schon Regeln? Aung San Suu Kyi durfte | |
ihre Anwälte bislang nur zweimal für jeweils 30 Minuten sehen. Eine | |
politische Botschaft wurde danach nicht bekannt. Sie wünsche „den Menschen | |
gute Gesundheit“, berichtete ihre Anwältin Daw Min Min Soe vage. | |
## Aung San Suu Kyi soll von der Bildfläche verschwinden | |
Mit dem Prozess gegen die 75-jährige Aung San Suu Kyi verfolgen die | |
Militärs vor allem ein Ziel: sie bis zu ihrem Tod von der politischen Bühne | |
zu verbannen und sich selbst auf Dauer Macht und Pfründen zu sichern. Wenn | |
sie von der Bildfläche verschwände, werde auch die lästige NLD in sich | |
zusammenfallen, hoffen die Militärs. | |
Denn die Politikerin hat über die Jahre beharrlich an ihrer Absicht | |
festgehalten, die Armee möglichst bald zurück in ihre Kasernen zu schicken. | |
Das aber würde bedeuten, den Generälen die politische und wirtschaftliche | |
Macht zu nehmen und eine echte zivile Regierung zu schaffen. | |
Bislang nämlich haben sich die Militärs in Myanmar per Verfassung drei | |
Schlüsselministerien (Verteidigung, Inneres, Grenzschutz) reserviert und | |
festgelegt, dass sie im Parlament stets 25 Prozent aller Abgeordneten | |
stellen. Das macht es der NLD unmöglich, die Verfassung zu ändern, denn | |
dafür ist eine Dreiviertelmehrheit plus eine Stimme notwendig. Ein | |
Verfassungsartikel hatte Aung San Suu Kyi schon nach ihrem Wahlsieg von | |
2015 daran gehindert, Präsidentin zu werden, weil ihre zwei Söhne britische | |
Staatsbürger sind. | |
Auf die Machtübernahme durch die Militärs nach den Wahlen vom November 2020 | |
[3][reagierte die Bevölkerung] schockiert, rebellisch – und friedlich: | |
Frauen, Männer und Kinder schlugen auf Kochtöpfe und Bratpfannen. Beamte | |
ließen die Akten liegen, Krankenschwestern und Ärzte Skalpell und | |
Verbandszeug und demonstrierten in der Öffentlichkeit. | |
Vor allem junge Leute wollen die in den zivileren Zeiten unter Aung San Suu | |
Kyi neu gewonnene Meinungs-, Berufs- und Reisefreiheit nicht aufgeben. Sie | |
wehren sich und riskieren, auf der Straße erschossen zu oder nachts von | |
Greiferkommandos abgeholt zu werden. | |
Denn die Militärs reagieren [4][brutal]: Rund 850 Menschen, so wird | |
geschätzt, kamen bislang im Kugelhagel der Soldaten oder in den | |
Gefängniszellen ums Leben. | |
Doch auch in der Armee gibt es Widerstand. Zahlreiche Soldaten sind | |
desertiert und haben sich der Opposition angeschlossen. Allerdings sind es | |
bislang zu wenig, um die Junta ins Wanken zu bringen. | |
„Hoffen wir auf das Beste – und seien wir auf das Schlimmste vorbereitet.“ | |
So lautet das Lebensmotto von Aung San Suu Kyi. | |
Für ihr Ziel, die Militärs in die Kasernen zurückzubringen und eine zivile | |
Regierung zu schaffen, hat die Politikerin und Friedensnobelpreisträgerin | |
von 1991 vieles geopfert – auch ihren guten Ruf als „Ikone der Freiheit“. | |
Ihre „gigantische moralische Statur“, die einst der südafrikanische | |
Friedensnobelpreisträger [5][Desmond Tutu] pries, ist in den Augen vieler, | |
die sie lange bewundert haben, mittlerweile verkümmert. | |
Was die Weltöffentlichkeit schockierte, war, dass die Politikerin offenbar | |
in der Hoffnung, die Militärs für sich zu gewinnen, deren Spiel spielte. | |
Als Soldaten die Dörfer der muslimischen Minderheit der [6][Rohingya] im | |
Jahr 2017 an der Grenze zu Bangladesch niederbrannten, Frauen | |
vergewaltigten, Männer erschossen und über 700.000 Menschen vertrieben, | |
warteten viele Menschen vergeblich auf ein kritisches oder mitfühlendes | |
Wort von Aung San Suu Kyi. | |
Stattdessen schwieg sie. Dann verteidigte sie sich so: Sie selbst habe den | |
ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan nach Myanmar geholt, um Vorschläge | |
zu machen, wie die dramatische soziale Lage der Rohingyas zu lösen sei. | |
Doch just zu dieser Zeit hätte die Guerillagruppe [7][Arakan Rohingya | |
Salvation Army] (Arsa) Polizeiposten überfallen. Die Rebellen unter den | |
Rohingya seien also für die Gewalt selbst verantwortlich. | |
Vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag stritt Aung San Suu Kyi im | |
Jahr 2019 den Vorwurf des Genozids ab: Die Aktionen der Militärs seien | |
„legitime Aktionen gegen Terroristen“ gewesen. | |
Allerdings, räumte sie ein, sei es nicht auszuschließen, dass einzelne | |
Aktionen des Militärs „unverhältnismäßig“ gewesen seien und humanitäres | |
Völkerrecht verletzt hätten. Aber: „Von Völkermord kann keine Rede sein.“ | |
Mit dieser Haltung erntete sie weltweit Verständnislosigkeit im besten, | |
Enttäuschung und Zorn im schlimmsten Fall. | |
## Ihr Schweigen hat sie daheim zur Heldin gemacht | |
Ganz anders zu Hause in Myanmar: Hier hat ihr das Schweigen nie geschadet, | |
im Gegenteil. Sie wurde gefeiert als Heldin, die internationalem Druck | |
standhält, und damit noch populärer. | |
Zahlreiche Bürger im überwiegend buddhistischen Myanmar verachten die | |
Rohingyas oder hassen sie sogar. Militärs und buddhistische Mönche hetzen | |
nicht nur gegen sie, sondern gegen Muslime allgemein. Diese wollten, so | |
behaupten die Scharfmacher, die Buddhisten vertreiben, den Buddhismus | |
zerstören und aus Myanmar einen islamischen Staat formen. | |
Aung San Suu Kyi spielte mit in diesem Konzert des birmanischen | |
Nationalismus – wohl nicht aus Überzeugung, sondern aus politischem Kalkül: | |
Sie wollte die Stimmen der Nationalisten für ihre NLD gewinnen. Als die | |
Bürger Myanmars 2015 frei wählen durften, sorgte die Politikerin dafür, | |
dass es in den Reihen der NLD keinen einzigen muslimischen Kandidaten gab, | |
um die Wahlchancen zu erhöhen. Sie selbst allerdings hatte stets enge | |
muslimische Berater, etwa den Chef des muslimischen Krankenhauses in Yangon | |
oder den Juristen Ko Ni, der 2017 in aller Öffentlichkeit erschossen wurde. | |
Die Bilanz der ersten zivilen Regierung seit 1962 sieht nicht sonderlich | |
rosig aus. Weil ihr das Präsidentenamt versperrt war, hatte sich Aung San | |
Suu Kyi zur Staatsrätin ernannt, das Präsidentenbüro und das | |
Außenministerium übernommen und sich so zur De-facto-Regierungschefin | |
gemacht. Viele Posten besetzte sie mit Parteifreunden, die, so sagen es | |
Kritiker, nicht immer ihrer Aufgabe gewachsen waren. Womöglich spielte auch | |
eine Rolle, dass Aung San Suu Kyi, wie viele ihrer Generation, nach | |
Jahrzehnten von Diktatur und Spitzelwesen wenigen Menschen vertraut. | |
Sogar politische Gegner gestehen ihr zu: Aung San Suu Kyi und die NLD | |
bekamen es mit einer schwerfälligen Verwaltung zu tun, die auf autoritäre | |
Militärs ausgerichtet war und deren Beamte sich nicht selten selbst | |
bedienten. | |
Immerhin veränderte sich die Atmosphäre im Land während ihrer | |
Regierungszeit deutlich, es war eine Periode der Hoffnung. Die Verwaltung | |
entließ Hunderte politischer Gefangener und strich eine Reihe von Gesetzen, | |
die das Militär genutzt hatte, um Oppositionelle hinter Gitter zu bringen. | |
Sie kämpfte gegen Bürokratie und krumme Geschäfte. Sie schloss einige | |
Ministerien, stärkte die Rechte der Antikorruptionsbehörde und trennte das | |
mächtige und einflussreiche Hauptverwaltungsamt mit 36.000 Beamten von dem | |
der Armee unterstehenden Innenministerium. | |
„Sie hat die Korruption bekämpft und versucht, eine transparente und | |
effektive Regierung zu schaffen“, sagt ein prominenter Journalist in | |
Yangon, dessen Name angesichts der Repression der Militärs nicht genannt | |
werden kann. So seien Regierungsaufträge nicht mehr unter den Kumpeln aus | |
Wirtschaft und Militär verschoben, sondern öffentlich ausgeschrieben | |
worden. | |
Aung San Suu Kyi selbst hält sich zugute, erfolgreich Malaria, HIV-Aids und | |
Tuberkulose bekämpft zu haben. Während der Covid-19-Pandemie rief sie die | |
Menschen dazu auf, Masken zu nähen, Geld zu sammeln und sich als | |
freiwillige Helfer zu melden. | |
Doch ihr großer Plan, den Bürgerkrieg im Land zu stoppen und mit den | |
zahlreichen nationalen Minderheiten einen gemeinsamen Bundesstaat zu | |
schaffen, geriet ins Stocken, die Unterhändler rannten sich fest. Derzeit | |
zieht die Armee wieder gegen Soldaten der Chin und der Karen zu Felde. | |
Dörfer brennen, Tausende Menschen fliehen durch den Dschungel. | |
Auch die Wirtschaft entwickelte sich nicht so wie erhofft. Die | |
ausländischen Investitionen verringerten sich mit den Jahren, weil | |
Bürokratie und immer noch verbreitete Korruption Geschäftsleute | |
abschreckte. Das Bruttosozialprodukt dürfte nach Schätzung der Asiatischen | |
Entwicklungsbank wegen der Covid-19-Pandemie in diesem Jahr gar um 9,5 | |
Prozent schrumpfen. | |
Hat die Politikerin sich in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt? | |
„Die Geschichte der Aung San Suu Kyi ist auch eine Geschichte von uns. | |
Vielleicht hat sie sich nicht geändert. Vielleicht blieb sie immer gleich, | |
und wir haben bloß ihr gesamtes Wesen nicht gekannt“, sagt der frühere | |
US-Botschafter in Myanmar, Derek Mitchell, über sie und das Bild, das sich | |
die Welt von ihr machte. | |
Vor unpopulären Entscheidungen hatte sich die Lady jedenfalls nie | |
gefürchtet: Als sie in den 1990er und 2000er Jahren noch im Hausarrest saß, | |
sprach sie sich zum Entsetzen vieler Parteifreunde strikt für | |
internationale Wirtschaftssanktionen gegen das Militärregime aus, obwohl | |
ein Boykott Tausende von Arbeitsplätzen ihrer Landsleute gefährdete. | |
Und als sich 2012 Anwohner gegen ein umstrittenes Projekt, die | |
Letpadaung-Kupfermine, wehrten, unter anderem, weil ihr Land beschlagnahmt | |
worden war, ergriff Aung San Suu Kyi mitnichten Partei für die Dörfler. | |
Internationale Verträge, in diesem Fall zwischen einem chinesischen und | |
einem birmanischen Militärunternehmen, seien einzuhalten, belehrte sie die | |
verblüfften Demonstranten. | |
## Eine furchtlose Familie | |
Die Furchtlosigkeit, sich unbeliebt zu machen, liegt in der Familie. „Ich | |
tue das alles für meinen Vater“, beteuerte sie einst. General Aung San, der | |
später als Nationalheld und Gründervater des unabhängigen Staates Birma | |
gefeiert wurde, hatte sich 1940 mit den Japanern gegen die britischen | |
Kolonialherren verbündet. Obwohl die Japaner in China kurz zuvor | |
Hunderttausende Menschen massakriert hatten, zog er ihre Uniform an, | |
heftete sich einen Orden des japanischen Kaisers an die Brust, hängte sich | |
ein Samuraischwert an den Gürtel und zog mit ihnen in die damalige | |
Hauptstadt Rangun ein. Erst später ging er mit seinen Soldaten von der | |
Fahne und schloss sich den Briten an, mit denen er schließlich die | |
Unabhängigkeit des Landes aushandelte. | |
Sie habe sich immer als Politikerin verstanden und nicht als | |
Menschenrechtsaktivistin, beteuerte Aung San Suu Kyi immer wieder. So recht | |
glauben mochten es ihre Bewunderer im Ausland ihr nie – bis sie 2015 in die | |
Regierung einrückte und sie sich wie eine Politikerin verhielt: berechnend, | |
lavierend, taktierend – und die es sogar duldete, wenn Journalisten wegen | |
ihrer Berichterstattung der Prozess gemacht wurde. | |
Aung San Suu Kyi hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie – ganz die | |
Tochter ihres Vaters – den Militärs nahestand, auch wenn sie sich eine | |
zivile und demokratische Regierung wünschte. Bis zur Ermordung ihres Vaters | |
im Jahr 1947 waren es in ihrem Elternhaus stets Soldaten, die mit ihr | |
spielten. Die Generäle, die Aung San Suu Kyi nun kaltstellen, hat sie noch | |
2018 als „ziemlich süß“ bezeichnet. | |
Dies ist nur schwer nachzuvollziehen. Denn die Armee Myanmars, die | |
Tatmadaw, ist eine üble Truppe, die brutal gegen nationale Minderheiten zu | |
Felde zieht, sich mit Drogenhändlern verbündet und nach Aussagen vieler | |
Experten zutiefst korrupt ist. | |
Die meisten Soldaten sind auf absoluten Gehorsam gedrillt und fest davon | |
überzeugt, dass nur sie die Unabhängigkeit des Landes vor ausländischen | |
Invasoren retten können. „Soldaten töten Menschen in dem Glauben, dass sie | |
die Nation vor ausländischer Intervention schützen“, sagte ein abtrünniger | |
Hauptmann der New York Times im April. | |
Damit nicht genug. Viele Generäle glauben fest an übermächtige Kräfte. Die | |
Entscheidung, die Hauptstadt im Jahr 2005 von einem Tag auf den anderen von | |
Rangun nach Naypyidaw ins Landesinnere zu verlegen, etwa fiel, weil ein | |
Wahrsager dem damaligen Machthaber Than Shwe prophezeit hatte, sein Stern | |
werde sinken, wenn er sich nicht flugs aus Yangon davonmache. | |
## Vor den Scherbenhaufen ihres Lebens | |
Nun steht Aung San Suu Kyi vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens. Das Kalkül, | |
diese Truppe unter Kontrolle zu bekommen, ist nicht aufgegangen. Alle | |
Opfer, alle Härte gegen sich selbst, scheinen vergebens. Im Jahr 1999 war | |
sie nicht zu ihrem sterbenden Mann nach England gefahren, weil sie | |
fürchtete, die Militärs würden sie nicht mehr ins Land lassen. | |
Fast 15 Jahren saß Aung San Suu Kyi in ihrer Villa am Inya-See in Rangun im | |
Hausarrest und lehnte es ab, Pakete und Briefe ihrer Familie zu empfangen, | |
weil sie sich nicht der Gnade ihrer Wärter ausliefern wollte. Sie verpasste | |
zu sehen, wie ihre Kinder aufwuchsen. Als sie im Jahr 2003 im Gefängnis | |
saß, lehnte sie den Besuch ihres Sohnes Alexander ab, weil sie so behandelt | |
werden wollte wie alle anderen Gefangenen. | |
Einige Getreue, die ihr 2015 davon abrieten, sich auf eine Regierung mit | |
den Militärs einzulassen, fühlen sich nun bestätigt. Damals hatten sie der | |
strengen Buddhistin empfohlen, durch die Welt zu reisen, Geld für Schulen | |
und Krankenhäuser in ihrer Heimat zu sammeln und um Investoren zu werben. | |
War es das? Endet die Geschichte der Aung San Suu Kyi so tragisch wie die | |
ihres Vaters, der 1947 von dem Killerkommando eines Rivalen erschossen | |
wurde? | |
Die Militärs mögen sie mit dubiosen Gerichtsurteilen aus dem politischen | |
Alltag verbannen. Aber sie haben offenkundig die Hartnäckigkeit und den | |
Ideenreichtum der Bürger Myanmars unterschätzt, und auch deren | |
Entschlossenheit, sich zu wehren. Ein Journalist in Yangon ist fest davon | |
überzeugt: „Min Aung Hlaing und seine Generäle werden von den eigenen | |
Leuten beseitigt werden.“ | |
Fragt sich nur: Wann? Die Zeit läuft der Lady davon. Und ein ähnlich | |
charismatischer und durchsetzungsfähiger Nachfolger ist nicht in Sicht. | |
Dafür hat die eigenwillige Aung San Suu Kyi selbst gesorgt. Überrascht | |
dürfte sie über ihr Schicksal jedenfalls nicht sein, getreu ihrem Motto: | |
„Seien wir auf das Schlimmste vorbereitet.“ | |
13 Jun 2021 | |
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Andreas Lorenz | |
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