| # taz.de -- Rassismus in Deutschland: Wer ist hier giftig? | |
| > Die ARD zeigt einen Film über Rassismus in Deutschland – und bescheinigt | |
| > ausgerechnet einem Schwarzen Fußballer eine „vergiftete“ Sprache. | |
| Bild: Erwin Kostedde während der EM-Qualifikation in Düsseldorf, 1975 | |
| Das Jahr 1990 war das letzte der DDR. Martin Gross hat uns aus diesem Jahr | |
| ein einzigartiges literarisches Dokument hinterlassen. Seine | |
| „Aufzeichnungen aus einem ungültigen Land“ vermerken am 11. Januar 1990: | |
| „Das Opernrestaurant: Als ich ankam, standen zwei ratlose Afrikaner und | |
| eine resolute Kellnerin im Foyer. Offensichtlich gab es keine freien Plätze | |
| mehr. | |
| Dabei sah man bereits von der Tür aus, dass höchstens ein Drittel der | |
| Tische besetzt war. Die Kellnerin erklärte allerdings, dass für die | |
| nächsten Stunden alles reserviert sei. Kaum waren die beiden Afrikaner | |
| außer Sicht, da kam auch schon die Kellnerin zurück, bat mich, ihr zu | |
| folgen, wies mir einen Tisch zu und stellte ohne Verlegenheit das | |
| Reservierungs-Schildchen beiseite. So geht das also.“ | |
| 31 Jahre später erklärt Marco Wanderwitz, sächsischer | |
| CDU-Bundestagsabgeordneter und Ostbeauftragter der Bundesregierung, die | |
| Affinität mancher Ostdeutscher zu rechtsextremem Gedankengut so: „Wir haben | |
| es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert | |
| sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen | |
| sind.“ | |
| Dem widerspricht kurz darauf der Berliner Soziologe Steffen Mau. Die | |
| ostdeutsche sei vielmehr eine „veränderungserschöpfte Gesellschaft“, und | |
| häufig wählten die Jüngeren dort die AfD. Mag sein, dass die Jungen zu jung | |
| für einschlägige Diktaturerfahrungen sind. Aber Gesellschaften basieren wie | |
| Familien nun mal auf Überlieferungen. Die wirksamsten Überlieferungen | |
| werden nonverbal, auf einer emotionalen Ebene weitergegeben. | |
| ## Feines Sensorium für Sprache | |
| Sicher ist, dass der [1][Rassismus] gegenüber Schwarzen Menschen in | |
| Deutschland nicht von DDR-Kellnerinnen erfunden wurde, sondern von den | |
| Imperialisten des Kaiserreichs und ihren Wissenschaftlern. In der | |
| ARD-Mediathek ist seit Kurzem „Schwarz und deutsch“, ein gut recherchierter | |
| Dokumentarfilm des Hessischen Rundfunks, zu sehen, der akribisch die | |
| Geschichte der Afrodeutschen nachzeichnet. Berichtet wird darin etwa vom | |
| ersten ins Deutsche Reich eingebürgerten Afrikaner, der eine Deutsche | |
| heiratete, in Danzig einen Kolonialwarenladen führte und ein angesehener | |
| Bürger der Stadt war. | |
| Diese Doku ist in vieler Hinsicht lehrreich und erschütternd, allerdings an | |
| einer Stelle auf ungewollte Weise. Neben einigen eloquenten, akademisch | |
| gebildeten afrodeutschen Frauen tritt auch der Fußballspieler [2][Erwin | |
| Kostedde] auf, der von seinen Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland | |
| berichtet. Als Kind haben Deutsche auf seine bloße Anwesenheit mit dem | |
| Hitlergruß reagiert, erzählt er unter anderem. Kostedde war ein | |
| talentierter Spieler. Der „Erwin-Shuffle“, ein dreifacher Übersteiger, | |
| ist Geschichte. Als Mittelstürmer bei Kickers Offenbach spielte er erstmals | |
| in der Bundesliga. Mit einem eleganten Schuss aufs Tor von Borussia | |
| Mönchengladbach wurde er zum Torschützen des Jahres 1974. | |
| Die Doku zeigt das schöne Tor und leitet dazu über, dass [3][Kostedde] auch | |
| für die deutsche Nationalmannschaft gespielt hat. Da sagt die Stimme der | |
| Erzählerin unvermittelt aus dem Off: „Aber die rassistischen Rufe der | |
| gegnerischen Fans hören nie auf. Sie haben auch seine eigene Sprache | |
| vergiftet. Triggerwarnung.“ Schnitt auf Kostedde, der nun sagt: | |
| „Bemerkungen, miese, gab’s überall, glauben Sie mir. Sie müssen auch | |
| manchmal ganz schön hart sein in Deutschland.“ Noch ein Schnitt, Kostedde | |
| spricht weiter: „Das war ein Teil, die gerufen haben: ‚Zehn Schwule und ein | |
| N****.‘“ | |
| Erwin Kostedde ist jüngst 75 Jahre alt geworden. In vielen Interviews | |
| erzählte er von seinen Erfahrungen. Etwa, als Bundestrainer Helmut Schön | |
| ihn dazu drängte, öffentlich zu erklären, es gebe keinen Rassismus in | |
| Deutschland. Kostedde: „Das hat mich auch gewundert, warum ich nicht die | |
| Wahrheit erzählen sollte. Rassismus gibt es in jedem Land, auch im Fußball | |
| in Deutschland. Ich habe es auch nicht getan. Ich sage das, was ich fühle | |
| und denke.“ | |
| ## Unfairer Vorwurf | |
| Kostedde ist kein Intellektueller, was er als bescheidener und | |
| selbstkritischer Mensch selbst am besten weiß und auch so formuliert. Aber | |
| er ist ein kluger Kopf mit einem feinen Sensorium für Sprache. Die Münchner | |
| AZ fragte ihn, ob es eine Bezeichnung gebe, die er nicht als | |
| diskriminierend empfinde, „Schwarzer“, „Farbiger“, „Dunkelhäutiger�… | |
| Kostedde: „In meinen Augen braucht man die alle nicht. Für mich sind all | |
| diese Ausdrücke rassistisch.“ | |
| Redet so jemand, dessen Sprache „vergiftet“ ist? Wenn man einen Satz, in | |
| dem Kostedde das N-Wort benutzt, um zu illustrieren, wie brutal und | |
| verletzend mit ihm umgegangen wurde, nicht in einem Beitrag haben will, | |
| soll man ihn nicht senden. Wenn man sich aber dafür entscheidet, ihn doch | |
| zu senden, ist es dann fair, Kostedde für nicht ganz zurechnungsfähig zu | |
| erklären? Eben das sagt uns diese Bemerkung über die „Vergiftung“ seiner | |
| Sprache. | |
| Im Fußball gibt es für ein Foul die rote Karte. | |
| 5 Jun 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /KI-statt-Parlamentariernnen/!5771686 | |
| [2] /Doku-ueber-schwarze-Fussballprofis/!5761076 | |
| [3] /Anti-Rassismus-Gesten-im-Fussball/!5767944 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Initiative Schwarze Menschen in Deutschland | |
| Kolumne Der rote Faden | |
| Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Italienfeindlichkeit in Deutschland: Weltmeister der Ressentiments | |
| Bei der WM 2006 hielten sich viele Deutsche einen gesunden Patriotismus | |
| zugute. Doch ohne Rassimus kam er nicht aus, wie unser Autor erinnert. | |
| Ost-CDU vor der Sachsen-Anhalt-Wahl: Mehr Wanderwitz wagen! | |
| Die ostdeutsche CDU hat bei der Bekämpfung von AfD und Rechtsextremismus | |
| eine Schlüsselfunktion. Ihre liberalen Kräfte müssen gestärkt werden. | |
| Anti-Rassismus-Gesten im Fußball: Gründe zum Niederknien | |
| Der deutsche Profifußball zeigt sich gern solidarisch mit den | |
| Black-Lives-Matter-Protesten. Das Engagement in der Ferne würde man sich | |
| auch hier wünschen. | |
| Doku über schwarze Fußballprofis: Der unerreichbare Adler | |
| Die Doku „Schwarze Adler“ erzählt Geschichten schwarzer Fußballprofis in | |
| Deutschland. Und zeigt, wie wenig sich nach fast 50 Jahren getan hat. |