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# taz.de -- Medienberichte über Hof in Friesland: Geschenkte Aufmerksamkeit
> Ein Paar in Schortens sucht Nachfolger:innen für sein Bio- und
> Fair-Kaufhaus. Ein NDR-Beitrag macht daraus eine Verschenkaktion.
Bild: Misstraut dem „GEZ“-Fernsehen, freut sich aber über Besuch vom NDR: …
Bremen taz | Die Sonnenstrahlen erreichen kaum den Sessel im
holzvertäfelten Halbdunkel, in dem Reinhard Hartwig sich eine Zigarette
anzündet und auf sein Lebenswerk zeigt. „Alles, was wir im Laufe unseres
Lebens erarbeitet haben, haben wir hier reingesteckt“, sagt der 68-Jährige
und blickt zufrieden auf die Verkaufsfläche neben ihm. Häkelsocken neben
Klangschalen, gemalte Lamas an Rosen-Stillleben, darüber das Aroma von
frischem Kaffee und feuchtem Keller.
Vor rund 30 Jahren hätten seine Frau Jutta und er begonnen, aus der alten
Gaststätte einen Laden mit veganen und fair gehandelten Waren sowie selbst
geröstetem Kaffee zu machen. Ihr „Fairhandelshaus Mercado Mundial“ im
friesischen Schortens sei heute überregional bekannt und erfolgreich,
erzählt Hartwig selbstbewusst – doch damit solle für das Ehepaar bald
Schluss sein. „Wir sind in dem Alter, wo wir unser Lebenswerk nicht noch
weitere 20 Jahre betreiben können“, sagt Hartwig. „Deswegen freuen wir uns,
wenn wir jüngeren Menschen eine Existenz anbieten können – ohne, dass sie
etwas dafür bezahlen müssen.“
Es wirkt wie eine unglaubliche Geschichte: Ein selbstloses Ehepaar will
seinen langjährigen Familienbetrieb verschenken und sucht öffentlich nach
Menschen, die ihr Geschenk annehmen wollen. Die Geschichte wirkte wohl
unglaublich genug, dass auch der Norddeutsche Rundfunk sich des Paares aus
der friesischen Kleinstadt Schortens annahm und darüber einen
Fernsehbeitrag für das Regionalmagazin „Hallo Niedersachsen“ sendete.
## Doch nicht „für umme“
Haus und Hof, samt Laden und Café „für umme – sind die verrückt?“, fra…
die Sprecherin im NDR-Beitrag verständlicherweise. Einige Tage später wird
der Beitrag [1][auch in der ARD-Sendung „Brisant“] gezeigt, heute ist er
auch auf deren Facebook-Seite unter der Überschrift „Haus, Hof und Laden zu
verschenken“ zu finden. Es gibt nur einen Haken an der Geschichte: Sie
stimmt so nicht.
„Es hat mit dem NDR-Beitrag so richtig angefangen, hier Wellen zu
schlagen“, sagt Hartwig. Bis zu 200 Mails pro Tag hätte der kleine Betrieb
nach der NDR-Sendung von Interessierten erhalten, viele davon auf der Suche
nach einem Gratis-Hof im Grünen. Hartwig gibt sich verärgert über diese
Darstellung – denn während der sechs Stunden, die das NDR-Team vor Ort
drehte, hätten die beiden klar gemacht, dass der Betrieb nicht einfach
verschenkt werde. Veganer Lebensstil, offener Charakter, Vorliebe für guten
Kaffee – das seien die immateriellen Voraussetzungen an die Bewerber:innen,
die auch im NDR-Beitrag genannt werden.
Doch einen entscheidenden Aspekt nannte die Journalistin nicht. „Wir
verschenken die Arbeit“, sagt Jutta Hartwig. „Ansonsten ist es ein Kauf auf
Raten durch eine Leibrente.“ Soll heißen: Die Nachfolger:innen
übernehmen das Grundstück und den Betrieb, müssen dafür aber dem Ehepaar
eine lebenslange Rente zahlen. Dazu gehört auch ein lebenslanges Wohnrecht
für ein Haus auf dem Grundstück, außerdem werden die beiden weiterhin auf
dem Hof mitarbeiten. „Für umme“ sieht anders aus.
## Krieg gegen Soros und Gates
Auf Nachfrage der taz räumt der Norddeutsche Rundfunk Fehler in der
Berichterstattung ein. Zwar hätte der Bericht „keinen Zweifel“ daran
gelassen, dass an die Nachfolge auch Bedingungen geknüpft seien. Doch in
dem Beitrag von einem Geschenk zu sprechen, sei „bei sorgfältiger
Betrachtung nicht korrekt“ gewesen, sagt Susanne Wachhaus,
Redaktionsleiterin bei „Hallo Niedersachsen“.
Eine sorgfältige Betrachtung hätte vielleicht auch den Protagonisten in
einem anderen Licht gezeigt – insbesondere mit Blick auf die öffentliche
Facebook-Seite von Reinhard Hartwig: Dort etwa teilte er jüngst einen Post,
nach welchem wir heute „schon längst den 3. Weltkrieg“ sehen, der zwischen
den Bevölkerungen und den „Eliten“ wie George Soros und Bill Gates
ausgefochten werde.
Auch eine Pandemie gäbe es gar nicht – dafür aber eine „Meinungsmache im
GEZ-Fernsehen“, das „mit wissenschaftlichem Denken wenig zu tun“ habe, wie
er im März letzten Jahres postete. Doch all das scheint Reinhard Hartwig
nicht weiter zu stören, wenn das durch „Zwangsgebühren“ finanzierte
GEZ-Fernsehen persönlich bei ihm und seiner Ehefrau vorbeikommt, um ihren
Betrieb im Abendprogramm vorzustellen.
Und so richtig unglücklich erscheint er im Verlauf des Gesprächs auch gar
nicht über den ganzen Medienrummel, der sich seit dem NDR-Beitrag um ihren
kleinen Betrieb in Schortens entfaltet hat. Denn verschiedene Lokalmedien
in Niedersachsen haben die Geschichte eines Hofs „für umme“ offenbar
unhinterfragt in ihrer Berichterstattung übernommen – und auch die taz war
offensichtlich nicht davor gefeit, zunächst auf die unglaubliche Geschichte
anzuspringen.
## Regionale Medienstars
So machte der Lokaljournalismus mit einer fehlenden Information Jutta und
Reinhard Hartwig plötzlich zu regionalen Medienstars, die seitdem fast
tausend schriftliche Bewerbungen erhalten haben – und diese mit ihrem
Anspruch an die Nachfolger:innen offenbar auch brauchen. „Ich denke,
einer von tausend Bewerbern ist geeignet“, sagt Hartwig selbstbewusst. Bei
der hohen Bewerberzahl sei also bald „ein Ende in Sicht.“
Hartwig drückt seine Zigarette aus, im Hintergrund beginnt die Playlist mit
Klangschalen-und-Panflöten-Beats zum dritten Mal. „Wir leben hier in
unserer eigenen Welt“, sagt Hartwig und lehnt sich entspannt in seinen
Sessel zurück. „Was da draußen passiert, tangiert uns persönlich nicht.“
13 May 2021
## LINKS
[1] https://www.mdr.de/brisant/haus-geschaeft-verschenken-100.html
## AUTOREN
Philipp Nöhr
## TAGS
Nachfolge
Fair Trade
Niedersachsen
Aufmerksamkeit
Konsum
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