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# taz.de -- Sanktionen gegen Belarus: Der Eiserne Vorhang senkt sich
> Im Zentrum von Europa sind Piraten aufgetaucht. Grausame und nicht
> besonders kluge. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk.
> Folge 87.
Bild: Protest in Warschau nach der Flugzeugkaperung und der Festnahme des Blogg…
Endlich hat die EU so reagiert, wie die Belaruss*innen es von ihr
erwartet haben. Minsk hat die Grenze zwischen beispiellos harten
innerstaatlichen Repressionen und internationalen Angelegenheiten
überschritten.
Ein Flugzeug einer Airline aus Irland wurde auf dem Weg von Griechenland
nach Litauen gekapert. Ein Passagier wurde entführt, der juristisch gesehen
die belarussische Grenze gar nicht überquert hat. Ich bin nicht
spezialisiert auf internationales Luftfahrtrecht, aber hier gab es eine
ganze Reihe von Verstößen.
Und der schnelle Start des Kampfjets vom Flugzeugstützpunkt in
Baranowitschi, um den Flieger davon abzuhalten, auf dem nächstgelegenen
Flughafen zu landen, und ihn stattdessen nach Minsk umzulenken – das ist
ein eindeutiger Akt von Luftpiraterie.
Um so lustiger, die offizielle Pressekonferenz anzuhören, auf der von einem
Drohbrief der Hamas gesprochen wurde. Und noch lustiger war, gegen Abend
des gleichen Tages, die Antwort des Hamas-Sprechers Fawzi Barhoum, der
sagte, dies seien nicht ihre Methoden.
Wenn man zwischen den Zeilen liest, versteht man Folgendes: „Gestatten Sie,
wir haben hier einen ausgezeichneten Terror-Club mit Tradition, wir
beschäftigen uns seit über fünfzig Jahren mit Geiselnahmen, wir haben
Vorschriften und Regeln der Berufsethik. Aber wer hat sich überlegt, diesen
irren Opa dazu zu holen?“
Es ist mittlerweile klar, dass das ganze vollständig eine Aktion von KGB
und FSB (Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation; Anm. der Redaktion)
war. Sie wussten, wer da im Flugzeug ist, die Fluglotsen hatten
Anweisungen, nach der Bombenwarnung die Maschine in Minsk landen zu lassen
und nicht am nächstgelegenen, für eine Notlandung geeigneten Flughafen in
der Region. Man würde auch gerne wissen, wer die sechs Leute waren, die in
Minsk ausstiegen und einfach verschwanden.
Sorge um Roman Protassewitsch
Alle Belaruss*innen sind in Sorge über das Schicksal des verhafteten
Journalisten Roman Protassewitsch. Das am Dienstagabend vom
Innenministerium veröffentlichte Video ließ keine Zweifel mehr daran: Bevor
er den für ihn verfassten Text in die Kamera sprach, war Roman brutal
geschlagen worden. Wie lässt sich sonst der Unterschied zwischen dem Foto
vor der Verhaftung und dem, was wir sehen konnten, erklären, ganz abgesehen
von dem speziell eingerichteten Licht und dem Make-up.
Selbst, wenn man nur mit bloßem Auge hinschaut, sieht man die Blutergüsse
auf den Wangenknochen, die geschwollene Unterlippe und die Zeichen von
mechanischer Gewalteinwirkung auf der Unterhaut. Und das obere Drittel des
Nasenrückens sieht sehr verräterisch aus. Auch die hochgeschlossene
Kleidung gibt Anlass zu unerfreulichen Spekulationen darüber, wie wohl der
restliche Körper des Häftlings aussehen mag.
Und was besonders empörend ist: dieses Propaganda-Video lief als Werbung
auf Youtube und wurde natürlich aus unseren Steuergeldern finanziert.
Am 21. Mail starb Witold Aschurok, ein Aktivist, der zu fünf Jahren Haft
verurteilt worden war, in einer Strafkolonie. Als offizielle Todesursache
wurde Herzstillstand angegeben. Witold war erst fünfzig Jahre alt, das ist
noch kein Alter für ernsthafte gesundheitliche Probleme.
Die Mutter von Roman Protassewitsch ist sehr besorgt um ihren Sohn, gerade
weil „Herzversagen“, das auch bei einem Mittzwanziger sehr plötzlich
auftreten kann, sehr bequem für die Machthaber ist. Und wenn die
Belaruss*innen in 290 Protesttagen etwas gelernt haben, dann das, sich
keine Illusionen mehr zu machen. Nicht, was [1][die derzeit bereits
existierenden Repressionen betrifft], nicht über Lügen, die aus dem
Fernseher kommen, und nicht darüber, dass uns jemand helfen wird – außer
uns selbst.
Mittlerweile befinden wir uns alle nicht mal mehr [2][hinter dem „Eisernen
Vorhang“], sondern in einer Art Konzentrationslager, ohne eine letzte
Chance, es noch irgendwie verlassen zu können.
Nach dem Vorfall mit dem Flugzeug wurde nun im großen Stil der Flugverkehr
mit Belarus unterbrochen. Die EU hat dabei vor allem an sich selbst
gedacht.
Wenn der verrückte Usurpator mit Luft-Luft-Raketen (Lenkflugkörper, die als
Waffen im Luftkampf eingesetzt werden; Anm. d. Redaktion) ein ziviles
Flugzeug bedroht, kommt er vielleicht, in irgendeinem Anfall von Wahnsinn,
auch auf die Idee, eine Bombe auf das gerade mit russischen Geldern
gebaute, funkelnagelneue Atomkraftwerk in Ostrowez (das AKW Ostrowez, 50 km
vom litauischen Vilnius entfernt, ist das erste Atomkraftwerk in Belarus
und nahm im November 2020 seinen Betrieb auf; Anm. d. Redaktion) zu
schmeißen, um so aus ganz Europa ein neues, nur noch schrecklicheres,
Tschernobyl zu machen?
Und darum ist es jetzt für die Belaruss*innen Zeit, [3][auf die Straße
zu gehen]. Sie müssen lernen zu begreifen, dass man Revolutionen nicht mit
Mittagspause und Strandurlaub im Ausland macht. Die ganze Welt schaut auf
uns. Und unsere Welt, unser Leben, hängt einzig und allein von uns selber
ab.
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
27 May 2021
## LINKS
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[2] /Grenzschliessung-in-Belarus/!5714487
[3] /Politische-Resignation-in-Belarus/!5768037
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Janka Belarus
## TAGS
Kolumne Notizen aus Belarus
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