# taz.de -- Tödliche Messerattacke in Berlin: „Es gibt keine Genugtuung“ | |
> Im Prozess um den Tod des Jungen Momo fällt an diesem Donnerstag das | |
> Urteil. Diana Henniges von Moabit hilft hat die Eltern begleitet. | |
Bild: Gedenken am Tatort, der Unterführung zwischen zwei Parks in Berlin, im N… | |
taz: Frau Henniges, am Donnerstag fällt das Urteil gegen Gökhan Ü., der den | |
[1][13-jährigen Mohammed getötet] hat. Sie sind der Familie während des | |
Prozesses beigestanden. Wie war das für Sie? | |
Diana Henniges: Was ich als Vereinsvorstand von Moabit hilft fühle, ist | |
erst einmal zweitrangig. Für die Eltern war der Prozess sehr schwer. Für | |
sie ist klar, dass, egal wie streng das Urteil ausfällt, es keine | |
Genugtuung für den Tod ihres Sohnes sein wird. Ihnen hat der Prozess | |
gezeigt, wie hilflos sie sind. | |
Inwiefern? | |
Es gab einige Kommunikationsschwierigkeiten, weil die Eltern nur arabisch | |
sprechen und es für sie schwer nachzuvollziehen war, wie das deutsche | |
Rechtssystem funktioniert. | |
Dafür sollte es doch Übersetzer*innen geben. | |
Am Anfang der Verhandlungen war kein Übersetzer vorgesehen und auch nicht | |
zugelassen, weshalb die Eltern den ersten Verhandlungstag praktisch | |
komplett verpasst haben. Durch den Verein haben wir dafür gesorgt, dass | |
Mutter und Vater jeweils ein Anwalt für die Nebenklage zur Seite steht. | |
Erst als diese Anwälte auf einen Übersetzer bestanden haben, wurde einer | |
genehmigt. | |
Sie selbst waren bisher bei allen Verhandlungstagen dabei. Wie unterstützen | |
Sie die Familie im Gericht? | |
Ich habe die Eltern aufgefangen, wenn sie zusammengebrochen sind oder | |
Notizen gemacht, bis ein Übersetzer organisiert war. Außerdem haben wir vom | |
Verein aus Mahnwachen organisiert und den Kontakt zu Zeugen aufrecht | |
gehalten, damit sie sich mit den Eltern austauschen können. | |
Kennen Sie die Familie schon lange? | |
Momo und seine Mutter sind 2013 aus Syrien nach Berlin geflohen. Wir von | |
Moabit hilft haben die Familie bei dem Asylverfahren unterstützt, so wie | |
wir alle geflüchteten Menschen, die zu uns kommen, alltagspraktisch | |
begleiten. Deshalb unterstützen wir Momos Familie finanziell bei dem | |
Prozess und der Bestattung. Ohne die Spendengelder, durch die wir uns | |
finanzieren, hätte Momo nicht einmal eine angemessene Bestattung bekommen. | |
Die Eltern haben selbst nur wenig Geld. Wenn der Täter verurteilt wird, | |
muss er für die Kosten aufkommen. | |
Wie haben Sie den Täter vor Gericht wahrgenommen? | |
Er hat keine Reue gezeigt und keine Tränen geweint. Wobei Tränen auch | |
nichts an der Situation geändert hätten. | |
Dennoch hat er sich gegenüber der Familie entschuldigt. | |
Am ersten Verhandlungstag hat er gesagt, dass er sich nicht entschuldigt, | |
weil die Eltern das nicht annehmen würden. Im Laufe der Verhandlungen hat | |
er sich dann doch entschuldigt und einen Brief vorgelesen. | |
Wie haben die Eltern darauf reagiert? | |
Auf mich haben seine Worte nicht authentisch gewirkt, weil er sie abgelesen | |
hat und sie nicht zu seiner eigentlichen Ausdrucksweise gepasst haben. Auch | |
die Eltern haben kein Verständnis für die Tat. Sie sehen in dem Täter | |
jemanden, der sich gegenüber einem Kind nicht unter Kontrolle hat. | |
Es stand auch ein rassistisches Motiv im Raum. Wie hat sich das während der | |
Verhandlungen entwickelt? | |
Seine rassistischen Äußerungen, dass ‚der kleine arabische Hurensohn aus | |
seinen Fehlern lernen solle‘, hat er laut der Zeugenaussage seiner | |
Begleitung an jenem Abend, als er Momo getötet hat und dem Protokoll des | |
Landeskriminalamtes mehrfach wiederholt. | |
Wie belastet das Momos Eltern? | |
Für die Familie sind diese Worte ein Schlag ins Gesicht. Insbesondere durch | |
den kulturellen Kontext. Sie sind entsetzt, dass jemand, der selbst | |
türkischer Abstammung ist und Rassismus erfahren hat, sich so herablassend | |
über ihr Kind äußert. Das rassistische Motiv wird vor Gericht aber | |
vermutlich nicht durchgehen. | |
Egal wie es ausgeht, der Schmerz der Eltern bleibt. | |
Momos Eltern haben in Deutschland Schutz gesucht, damit ihre Kinder in | |
Sicherheit sind und nun ist Eines tot. Die Mutter hat mir gesagt, dass sie | |
lieber wieder im Krieg wäre und ihr hungerndes Kind schreien hören würde, | |
als es tot zu wissen. | |
20 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jacqueline Dinser | |
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