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# taz.de -- Erdoğan baut Atomkraft aus: Türkischer Meiler mit Putins Hilfe
> Als eines von wenigen Schwellenländern setzt die Türkei weiterhin auf
> Atomkraft – trotz bester Voraussetzungen für erneuerbare Energien.
Bild: Erdoğan und Putin treffen sich digital, auf dem dritten Bildschirm das A…
Istanbul taz | Der türkische Energiebedarf steigt und steigt. Das gilt
selbst in Pandemiezeiten, wie die staatliche Energieagentur EPDK jüngst
bekannt gab. Danach war der Strombedarf im Dezember 2020 um 4,8 Prozent
höher als im Dezember des Vorjahres.
Um diesen wachsenden Strombedarf zu decken und gleichzeitig nicht noch mehr
Devisen für den Import von Gas und Öl ausgeben zu müssen, will die
türkische Regierung möglichst schnell heimische Energiequellen ausbauen.
Sagt sie jedenfalls. Doch statt den Königsweg einzuschlagen und die
Kapazitäten von Sonnen- und Windenergie dramatisch auszubauen – gerade
angesichts der privilegierten Lage des Landes, was Sonnenstunden und
Windstärken entlang der tausenden Kilometer langen Küste angeht – [1][will
die türkische Regierung unbedingt Atomkraftwerke bauen].
Anschauen kann man sich das an der Mittelmeerküste in Akkuyu bei Mersin, wo
seit 2015 das erste große AKW im Bau ist. Hier ragen bereits die
Stahlbetonskelette von zwei Blöcken des zukünftigen Reaktors in den Himmel,
vor wenigen Tagen wurde im Beisein des russischen Präsidenten Wladimir
Putin und seines türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdoğan (beide per Video)
der Grundstein für den dritten Reaktorblock gelegt. Ein vierter soll
demnächst folgen. Wenn einmal alles läuft, soll das AKW zehn Prozent des
gesamten türkischen Strombedarfs decken können.
Parallel zur Baustelle am Mittelmeer bereitet die Türkei zwei weitere
AKW-Projekte vor, die beide am Schwarzen Meer gebaut werden sollen. Ein
Standort ist bereits in Sinop festgelegt, einer Halbinsel, die weit ins
Schwarze Meer hineinragt. Erst vor wenigen Tagen gab das Energieministerium
bekannt, dass das Umweltgutachten für Sinop abgeschlossen sei. Es gäbe
keine Bedenken. Ein zweiter Standort nahe der bulgarischen Grenze befindet
sich noch in einer vorläufigen Prüfphase.
## Kostspieliges Hindernisrennen
Doch was sich von Regierungsseite wie eine große Erfolgsgeschichte anhört,
ist tatsächlich ein kostspieliges Hindernisrennen, das sich schon
Jahrzehnte hinzieht und die Türkei trotz gegenteiliger Behauptungen weiter
in die Abhängigkeit vom Ausland führt.
Die jüngste Schlappe in diesem Hindernisrennen um die Atomkraft gab es in
Sinop. Ein bereits 2015 unterschriebener Vertrag mit einem japanischen
Konsortium unter Führung von Mitsubishi platzte 2019, weil die Japaner sich
mit der türkischen Regierung nicht über den Preis einigen konnten, den die
Regierung nach Fertigstellung des AKW 20 Jahre lang fix an den Konzern
zahlen sollte. Zur Zeit sucht die Türkei nach einem neuen internationalen
Partner, was zeigt, dass die Hürden für ein solches Projekt sehr hoch sind
und die türkische Bevölkerung am Ende für den Atomstrom sehr tief in die
Tasche greifen müsste.
Denn Atommeiler sind teuer, und die Türkei hat kein Geld dafür. Sie will
die Kraftwerke komplett von ausländischen Konzernen bauen und betreiben
lassen – und bietet dafür dann Abnahmegarantien für 15 oder 20 Jahre zu
Preisen, die so hoch sein müssen, dass die AKW-Betreiber damit Profit
machen können.
## Deal durch Staatskonzern
Weil diese Ausgangslage so komplex ist und sich privatwirtschaftlich nicht
rechnet, ist bislang nur ein Deal mit dem russischen Konzern Rosatom
zustande gekommen. Und möglich war das auch nur, weil Rosatom ein
Staatskonzern ist und der russische Staat quasi eine Garantie dafür
übernommen hat, alle Kosten zu decken. Eine strategische Entscheidung vom
russischen Präsidenten Putin, die weniger wirtschaftlichen Erwägungen
folgt, sondern vor allem dazu dienen soll, die Türkei im Energiebereich
weiterhin in Abhängigkeit von Russland zu halten, selbst wenn in Zukunft
die Gas- und Öllieferungen zurückgehen sollten.
Die Akkuyu Project Company (APC) ist zu 100 Prozent Rosatom, die Kosten
sind mit 17 Milliarden Dollar veranschlagt und es ist vertraglich
vereinbart, dass der russische Anteil auch in Zukunft nicht unter 51
Prozent fallen darf. Wenn die ersten Blöcke Strom liefern, wird die
staatliche Elektrizitätsgesellschaft der Türkei 15 Jahre lang zu einem
garantierten Preis 70 Prozent der Produktion abnehmen, von den Blöcken 3
und 4 dann später 30 Prozent. Der Rest soll auf dem freien Markt verkauft
werden.
## Option für Atombombe
Gebaut wird das AKW komplett von russischen Ingenieuren. Erst später sollen
auch türkische Ingenieure dazukommen, die in Moskau ausgebildet werden.
Rosatom bringt auch das Uran in die Türkei. Allerdings hat sich Russland
verpflichtet, auch in der Türkei eine Urananreicherungsanlage zu bauen.
Angesichts der Kosten und der Abhängigkeit von Russland, die das Projekt
mit sich bringt, sind Kritiker der Meinung, der eigentliche Grund für den
Bau von AKWs sei nicht der Energiebedarf. Vielmehr wolle man sich die
Option für den Bau einer Atombombe offenhalten. Denn wenn es darum ginge,
schnell und kostengünstig mehr heimische Energie bereitzustellen, wären
Sonnen – und Windenergie wesentlich effizienter.
In einer jüngst vorgelegten [2][Studie der Internationalen Energieagentur
(IEA)] für das Jahr 2021 wird dazu angemerkt, dass die Türkei, obwohl sie
in den vergangenen Jahren vor allem die Windenergie etwas ausgebaut hat,
bislang das Potential für Wind- erst um 15 Prozent und das Potential der
Sonnenenergie gar erst um 5 Prozent ausgeschöpft hat.
18 Mar 2021
## LINKS
[1] /Kolumne-Patataz/!5500585
[2] https://sociology.org/world-energy-outlook/
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Türkei
Schwerpunkt Atomkraft
Russland
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