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# taz.de -- Gewalt in Bremer Pflegeeinrichtungen: „Erschreckende Entwicklung�…
> Die Zahlen der angezeigten Gewalttaten in Bremer Pflegeeinrichtungen sind
> im Coronajahr 2020 stark gestiegen. Experten fordern Reformen.
Bild: Pflegeeinrichtungen sind seit Jahren überlastet – besser geworden ist …
Bremen taz | Die Zahl der angezeigten Straftaten in Bremer
Pflegeeinrichtungen hat sich 2020 im Vergleich zum Vorjahr mehr als
verdoppelt. 2019 wurden in Pflegeeinrichtungen insgesamt 29 Straftaten im
Bereich von Tötungsdelikten, Sexualdelikten sowie Körperverletzung und
Freiheitsberaubung angezeigt. 2020 waren es 75 angezeigte Fälle. Das geht
aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage der CDU-Fraktion hervor. Zum
Hintergrund des Anstiegs lägen allerdings keine Erkenntnisse vor, schreibt
der Senat.
Die sozialpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Sigrid Grönert, nennt die
Entwicklungen „erschreckend“ und fordert daraufhin die Wiederaufnahme von
Regelprüfungen in Pflegeeinrichtungen. Seit dem Herbst seien diese
grundsätzlich wieder erlaubt und nun lasse die weitgehende Durchimpfung von
Bewohner*innen der Einrichtungen die Kontrollen auch wieder zu, heißt
es in einer Pressemitteilung der CDU-Fraktion.
„Die Vorstellung man könne mit Regelkontrollen die Situationen in den
Pflegeeinrichtungen klären, ist zu kurz gedacht“, sagt Bernd Schneider,
Sprecher von Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). „Probleme werden wir so
nicht lösen können.“ Schneider plädiert dagegen für einen strukturellen
Ansatz: „Die Offenheit von Einrichtungen, also dass Besuch kommt und geht,
das ist ein Stück weit auch immer eine soziale Kontrolle“, sagt er. „Es ist
Transparenz, die dadurch hergestellt wird.“
In Coronazeiten sei das natürlich eingeschränkt. Durch den fehlenden
Kontakt mit Angehörigen oder Freund*innen habe auch die Unzufriedenheit
der Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen gerade am Anfang der
Pandemie stark zugenommen. Schneider vermutet, dass sich darum mehr
beschwert worden sei. Weil mittlerweile viele Heimbewohner*innen
geimpft seien, sieht er Möglichkeiten für baldige Besuche: „Ich bin sicher,
dass dann die Zahlen im nächsten Jahr nicht mehr so stark steigen werden.“
Seit 2017 sind Pflegeeinrichtungen in Bremen laut Gesetz dazu verpflichtet,
geeignete Maßnahmen zum Schutz der Nutzer*innen zu treffen. In
Zusammenarbeit mit dem Nutzer*innenbeirat muss jede Einrichtung ein
Gewaltpräventionskonzept erstellen und eine*n
Präventionsbeauftragte*n ernennen. Ende März gab es hierzu noch
einmal eine frische Handreichung der Sozialbehörde, die Einrichtungen dabei
unterstützen sollte, „frühzeitig einen Rahmen zur Vermeidung von
struktureller und personeller Gewalt zu entwickeln“, wie es von der Behörde
heißt.
„Es reicht bestimmt nicht, wenn es nur Beauftragte in den Einrichtungen
gibt“, sagt Stefan Görres. Der promovierte Gesundheitswissenschaftler ist
Professor an der Uni Bremen und Abteilungsleiter der Abteilung für
Interdisziplinäre Alterns- und Pflegeforschung. Er hält die steigenden
Zahlen bei den Anzeigen von Gewalttaten für das Symptom eines tiefer
gehenden Problems: „Es gibt sehr viele unterschiedliche Gründe, warum es zu
Gewalt kommt“, sagt er und nennt Faktoren wie Stress, Überforderung und
Unterbesetzung.
Gewalt bedeutet nicht gleich körperliche Gewalt. Auch psychische Gewalt,
unangemessene Versorgung mit Essen oder das Verweigern von Hilfe gilt als
gewaltvoll.
Besonders gravierend und besonders schwer zu verhindern ist strukturelle
Gewalt. „Das ist Gewalt durch die eigene Umgebung“, sagt Stefan Görres.
Sind die institutionellen Rahmenbedingungen so geschaffen, dass
individuelle Bedürfnisse nicht erfüllt werden, scheint das Problem also
tatsächlich tiefer zu liegen.
Laut dem Pflegewissenschaftler müssen daher komplexere Lösungen her: „Die
Frage ist, ob die Pflegeheime noch die richtige Antwort sind“, sagt Görres.
„Diese großen Einrichtungen mit ihrer starren Organisation sind selbst
schon Gewalt.“ Prävention sei immer gut, sagt er. Man müsse aber woanders
anfangen, um das Problem langfristiger in den Griff zu bekommen: „Man
braucht gut ausgebildetes Personal und davon genug.“ Wenn das gewährleistet
sei, dann erwarte er professionelles Verhalten und da habe Gewalt keinen
Platz.
## Eklatanter Mangel
Auch Heidrun Pundt, Gesundheits- und Krankenpflegerin und Vorstandsmitglied
des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe Nordwest, sieht ein
strukturelles Probleme bei der Pflege: „Es bedarf dringend einer
umfangreichen Reform“, sagt sie. Der Mangel an Fachpflege sei jetzt schon
eklatant.
Durch die Coronapandemie sei das nicht besser geworden: „Da ist einfach
diese Pandemie auf eine Versorgungssituation getroffen, die schon vorher
nicht an den Versorgungsbedürfnissen der Betroffenen orientiert war“, sagt
Pundt. Ihre Forderung: Es müsse eine klare Sicht auf die Dinge her. „Für
das 21. Jahrhundert ist unser Pflegesystem nicht ausgerichtet.“ Jetzt, in
der Coronakrise werde beispielsweise deutlich, dass im Falle einer Pandemie
keinerlei Strategien vorlägen. Um in Zukunft gute Pflege gewährleisten zu
können fordert sie darum: „Wir müssen hin zu einer Analyse von Bedürfnissen
von Langzeitzuversorgenden.“
Stefan Görres wünscht sich mehr Weitblick der Politik. Auch der
Wissenschaftler hält eine Reform des Pflegesystems für notwendig,
„angefangen bei der Architektur“, wie er sagt. Man müsse sich fragen: „I…
das, was wir da auf die grüne Wiese bauen noch angemessen für die Menschen,
die hier den vielleicht letzten Abschnitt ihres Lebens verbringen werden?“
8 Apr 2021
## AUTOREN
Mahé Crüsemann
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Pflegekräftemangel
Schwerpunkt Coronavirus
Bremen
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