Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Streit um Rassismus-Vortrag: Nur ein bisschen gecancelt
> Hannover sagt einen Vortrag des Historikers Helmut Bley über
> Kolonialgeschichte ab. Eine Initiative hatte kritisiert, dass ein weißer
> Mann spricht.
Bild: Der Historiker Helmut Bley setzt sich für die Aufklärung von Kolonialve…
Hamburg taz | Wenn auf die Eröffnung durch Claudia Roth (Grüne) Armin
Laschet (CDU) als Redner folgt, beginnt eine [1][Veranstaltung] ziemlich
weiß. In der [2][Auftaktveranstaltung der von den UN ausgerufenen
internationalen Wochen gegen Rassismus] wurde die Runde erst nach 20
Minuten diverser, als die Moderatorin Hadija Haruna-Oelker mit der
Schriftstellerin Jagoda Marinić, dem stellvertretenden Vorsitzenden des
Zentralrates der Juden, Abraham Lehrer, und dem Journalisten Heribert
Prantl diskutierte.
Um Diversität im engeren Sinne geht es bei einem Streit in Hannover aber
auch nicht – wohl aber um Weißsein, Schwarzsein und die Fragen: „Wer
spricht? Und wer nicht?“ Aber der Reihe nach. Die Stadt Hannover wollte
sich mit vier Online-Veranstaltungen an der von den Vereinten Nationen (UN)
ausgerufenen internationalen Wochen gegen Rassismus beteiligen. Eine davon
konnte nicht stattfinden – sie wurde gecancelt.
Der renommierte Historiker für Afrikanische Geschichte, Helmut Bley, sollte
ein Referat unter dem Titel „Kolonialgeschichte von Afrikanern und
Afrikanerinnen her denken“ halten. Der emeritierte Professor setzt sich
seit den 60ern für die Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen in
Ostafrika ein.
2013 verteidigte er vor Gericht ein Gutachten, in dem er den kaiserlichen
General Paul von Lettow-Vorbeck [3][als Kriegs- und
Menschenrechtsverbrecher bezeichnete]. Die Töchter des Generals hatten Bley
wegen Verunglimpfung des Andenkens verklagt, aber das Gericht gab Bley
recht.
## Stadtverwaltung wiegelt ab
Nach dem Input des Historikers sollten Mitglieder der Initiative für
„Diskriminierungssensibilität und Rassismuskritik“ (Idira) [4][eine
Petition für rassismuskritische Lehre in niedersächsischen
Bildungsinstitutione]n vorstellen und mit Bley diskutieren. Doch die
Initiative weigerte sich. Dass ausgerechnet ein weißer Mann im Kontext von
Rassismus erklären solle, wie man Geschichte von Afrikanerinnen und
Afrikanern her denkt, wolle man nicht unterstützen, entschieden die
Mitglieder. Daraufhin sagte die Stadt die Veranstaltung ab.
Die Stadtverwaltung versucht den Vorfall klein zu reden. Die Veranstaltung
sei ja noch gar nicht angekündigt gewesen, deshalb könne auch von einer
Absage keine Rede sein, sagt der Kommunikationsleiter des
Bürgermeisterbüros, Christian von Eichborn. Das angedachte Gesprächsformat
habe sich allerdings nicht als tragfähig erwiesen.
„Das bedauern wir“, sagt von Eichborn. „Als Veranstalterin ist es uns
wichtig, eine offene und liberale Diskussionskultur zu ermöglichen. Diese
muss aber von allen Seiten gewollt sein.“ Die Stadt habe sich mit Bley
verständigt, seinen Vortrag stattdessen im Rahmen der Reihe „Wissenschaft
im November“ zu halten und alles sei damit fein gewesen.
Ganz so easy-peacy stellt es sich für Bley nicht dar. Er sieht sich [5][von
Cancel Culture betroffen]. Nachdem die drei Vertreterinnen der Initiative
das Gespräch mit der Absage ihrer eigenen Teilnahme verlassen hätten, sei
er noch nicht davon ausgegangen, dass auch er dann nicht sprechen dürfe.
Erst einen Tag später habe ihn eine Sachbearbeiterin der Stadt angerufen
und abgesagt. „Eine Fehlentscheidung einer einzelnen Sachbearbeiterin“,
meint Bley. Allerdings eingebettet in eine größere Problematik: „Eine
massive Zensurbewegung, die nur Betroffene für berechtigt hält, über ein
Problem zu sprechen.“
Doch darum gehe es der Initiative explizit nicht, sagt Svea Ostermeier, die
Mitglied bei Idira ist und an dem Gespräch mit Bley und der Stadt beteiligt
war. „Wir wollen weißen Menschen nicht absprechen, sich zu Rassismus zu
äußern“, erklärt sie. Schließlich setze sich auch Idira aus schwarzen sow…
weißen Studierenden und nicht-Studierenden zusammen. Wichtig sei aber, wo
man sich im Diskurs verorte.
„Auch ich bin weiß positioniert“, räumt Ostermeier ein. Und wenn es
explizit um schwarze Geschichte gehe, wäre es doch besser, wenn vorrangig
schwarze Menschen zu Wort kämen, da diese ohnehin weniger Gehör in der
mehrheitlich weißen Gesellschaft fänden. In Hannover gebe es durchaus
mehrere Initiativen, die die Stadt dafür hätte anfragen können.
Ostermeier und ihren Mitstreiterinnen habe außerdem die Art und Weise nicht
gefallen, wie Bley mit ihnen geredet habe. Durch seine Körperhaltung und
Wortwahl habe der Professor signalisiert, dass er auf sie herab schaue.
„Er betonte, wie erfahren er sei und wertete unsere Arbeit nach dem Motto
‚Wenn ihr irgendwann soweit seid, werdet ihr es verstehen‘ ab“, sagt
Ostermeier. Außerdem habe Bley die Kolonialverbrechen in Ostafrika im
Vergleich zu denen anderer Länder relativiert und durch den Begriff
„Afrikaner“ schwarze Identitäten generalisiert.
Bley wiederum wirft der Initiative vor, gar nicht diskutiert zu haben,
sondern das Gespräch durch eine Blockadehaltung verunmöglicht zu haben.
Darüber, dass der Titel „Kolonialgeschichte von Afrikanerinnen und
Afrikanern her denken“ vielleicht unpassend sei, wenn ein Weißer seine
Gedanken ausbreitet, hätte man ja reden können.
## Absage kein Erfolg
Bley hätte der Initiative außerdem gern vermittelt, dass er ihre Petition
zu rassismuskritischer Bildungsarbeit zwar gut finde, aber man sich nicht
auf die deutsche Kolonialgeschichte beschränken dürfe. Schließlich habe die
lediglich vier Länder betroffen. Berücksichtigen müsse man auch die
Realität migrantisch geprägter Schulklassen mit arabischen und kurdischen
Kindern und ihren Geschichten.
Dass die Veranstaltung im Rahmen der Wochen gegen Rassismus abgesagt wurde,
ist für Svea Ostermeier kein Erfolg. „Wir sind ja nicht gegen Professor
Bley oder seine Forschung. Wir wünschen uns vielmehr, dass weiße Menschen
ihre Privilegien reflektieren und von selbst drauf kommen, dass es schön
wäre, im Rassismuskontext Betroffenen das Wort zu geben.“
29 Mar 2021
## LINKS
[1] /WDR-Talkshow-Die-Letzte-Instanz/!5744938
[2] https://stiftung-gegen-rassismus.de/iwgr
[3] /Kolonialist-Lettow-Vorbeck/!5052373
[4] https://www.change.org/p/rassismuskritische-lehre-in-nieders%C3%A4chsischen…
[5] /Identitaetspolitik-und-Cancel-Culture/!5756669
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
## TAGS
Deutscher Kolonialismus
cancel culture
weiße Privilegien
cancel culture
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Rassismus
Identitätspolitik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Grünen-Aufruf gegen Cancel Culture: Warnung vor „neuer Unfreiheit“
Etwa 30 Grüne wenden sich gegen linke Identitätspolitik und vermeintliche
Cancel Culture. Einer von ihnen ist der Tübinger Bürgermeister Boris
Palmer.
Debatte über „Islamo-Gauchismo“ in Frankreich: Der Feind steht in der Uni
Frankreichs Hochschulministerin Frédérique Vidal wittert eine „giftige“
Allianz von Linken, Akademikern und Islamisten. La Grande Nation ist
empört.
Sprachpolitik bei der „New York Times“: Seismograf der Welt-Öffentlichkeit
Die „New York Times“ streitet über Rassismus und Sprachpolitik,
Mitarbeiter*innen kündigen. Warum interessiert das die Welt?
Mithu Sanyal über Identität: „Literatur ist ein utopischer Ort“
Mithu Sanyal über ihren ersten Roman „Identitti“, Diversität im
Literaturbetrieb und die Lust daran, Grenzen zu überschreiten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.