# taz.de -- Leben in Freiburg: Einfach geringere Arschlochdichte | |
> Klar, die alternative Konformität in Freiburg nervt. Aber unter den | |
> Gutmenschen im Südwesten gibt es schlicht genug gute Menschen. Das hilft. | |
Bild: Freiburg ist wirklich so: die Menschen wählen Grün und streicheln Sonne… | |
Wenn ich in der Fremde nach dem „woher“ gefragt werde, antworte ich | |
wahrheitsgemäß: „Ich bin Münchner und lebe in Freiburg.“ Manchmal würde… | |
gerne noch hinzufügen, dass ich Letzteres aber ausschließlich wegen | |
Heidegger tue. „Ich möchte einfach immer in der Nähe seines Geistes sein, | |
wissen Sie, alles andere im Leben ist mir egal.“ Vielleicht wäre dann mal | |
Ruhe. Aber so mutig bin ich nicht und vor allem selten schnell genug. | |
Denn bei der bloßen Erwähnung meines Wohnortes gehen meine Gegenüber in der | |
Regel dazwischen. „Freiburg, ach wie schön!“, rufen sie aus, um mir | |
anschließend eine halbe Stunde lang die Vorzüge meiner Stadt aufzuzählen. | |
Das milde Klima. Die vielen Fahrräder. Die Nähe zu Frankreich. Und am | |
allerwichtigsten natürlich: [1][der berauschende Fußball des „FC“] (worauf | |
ich kurz einwerfe, dass es „SC“ heiße – und dafür mit weiteren dreißig | |
Vortragsminuten über [2][den außergewöhnlichen Freiburger Fußballtrainer] | |
belohnt werde). | |
Den Abschluss der Ausführungen bilden in der Regel kritische Nachfragen: | |
Scheint bei euch tatsächlich immer die Sonne? Wählen wirklich alle die | |
Grünen? Ist der Christian Streich auch in echt so? – Ich hole dann einmal | |
tief Luft und sage: „Ja.“ | |
In [3][Andreas Dresens Film „Sommer vorm Balkon“], der nicht zuletzt eine | |
Hommage an Berlin-Prenzlauer Berg ist, gibt es eine denkwürdige Szene. Die | |
von Inka Friedrich gespielte Protagonistin, arbeitslos, alleinerziehend, | |
einsam und alkoholkrank, droht an, sich das Leben zu nehmen, und schiebt | |
dann nach: „Oder ich gehe zurück nach Freiburg.“ | |
## In Freiburg lebt man doch nicht! | |
Das ist die andere Erzählung über die Stadt und nicht selten der Subtext | |
meiner Gegenüber: In Freiburg lebt man doch nicht! Entschuldigung, aber da | |
macht man Urlaub. Oder studiert, und danach nichts wie weiter. „Ich weiß | |
nicht, wieso ich euch so hasse, Tanztheater dieser Stadt.“ Das ist | |
Freiburg. Da zieht man möglichst schnell weg, um dann in Radio-Comedys mit | |
den zurückgebliebenen Eltern zu telefonieren. Freiburg ist Wohlfühloase der | |
Gutmenschen, Bionade-Biedermeier und Mülltrennungsterror. | |
Und die Kinder machen Yoga und verwenden [4][das Gendersternchen], bevor | |
sie lesen und schreiben können. – „Ja, und?“ In Freiburg entfielen bei d… | |
letzten Landtagswahl mehr als 43 Prozent der abgegebenen Stimmen auf die | |
Grünen, ein irrer Wert, und an durchschnittlich 145 Tagen im Jahr scheint | |
hier die Sonne, so oft wie in keiner anderen deutschen Stadt. Beides merkt | |
man Freiburg an. Ja, bisweilen ist die alternative conformity wirklich | |
schwer zu ertragen, das Thujaheckenhafte des Bildungsbürgertums und die | |
geldige Selbstzufriedenheit der Esos. | |
Und vielleicht wäre es in einer anderen Stadt besser für mich gelaufen, wer | |
weiß das schon? Aber manchmal bilde ich mir ein, dass eben doch auch | |
Freiburg seinen Anteil daran trägt, dass meine Kinder in einer WG groß | |
wurden anstatt in einem Reihenhaus. | |
Dass Werte wie Solidarität und Gleichberechtigung, aber auch Gelassenheit | |
mein Leben prägen, dass unter den Gutmenschen hier im Südwesten einfach | |
ausreichend gute Menschen sind. Denn das macht vieles leichter. | |
## „Ein gutes Leben ist die beste Rache“ | |
„The best revenge is to live well.“ Dieses Motto stammt aus dem 17. | |
Jahrhundert und wird dem metaphysischen Dichter George Herbert | |
zugeschrieben. Selim Özdoğan [5][hat den Satz als Titel für eines seiner | |
Bücher verwendet] und damit auf Deutsch bekannt gemacht. Ich verstehe ihn | |
dezidiert politisch: „Ein gutes Leben ist die beste Rache.“ | |
Christian Streich ist auch in echt so. Wir kennen und mögen uns. Wenn wir | |
uns unterhalten, dann allerdings nie über die Arbeit. Weder über seine noch | |
über meine. Es sind gute Gespräche. | |
12 Mar 2021 | |
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[5] https://www.aufbau-verlag.de/index.php/ein-gutes-leben-ist-die-beste-rache.… | |
## AUTOREN | |
Jess Jochimsen | |
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