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# taz.de -- Gedenken an Hanau in Berlin: Zärtlich-zornige Migrantifa
> Selten war der Hermannplatz so still. Trotz Pandemie gehen 10.000
> Menschen auf die Straße. Sie erinnern an die Ermordeten in Hanau.
Bild: „Wir werden selbst Hanau und Halle zur Zäsur machen“, skandieren Dem…
Berlin taz | Am Samstagnachmittag sind es zunächst 4.000 Menschen, die sich
bei Sonnenschein am S-Bahnhof Herrmannstraße zum [1][Gedenken an den
rechtsextremen Terroranschlag in Hanau] versammeln, um das Erinnern mit
politischen Forderungen zu verbinden. „Hanau war kein Einzelfall“ steht auf
einigen Plakaten, „Hanau! Das war deutsche Leitkultur“, auf einem
Transparent.
Am Freitagabend schon hatten sich an am Kreuzberger Oranienplatz, am
Rathaus Neukölln und am Leopoldplatz im Wedding hunderte Menschen
versammelt um an Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar
Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun
und Fatih Saraçoğlu zu erinnern. Vor genau einem Jahr fielen diese jungen
Menschen dem rassistischen Attentat in Hanau zum Opfer.
Wie um das [2][mangelnde Bewusstsein der Dominanzgesellschaft für
Rassismus] zu illustrieren, wendet sich am Samstag ein Beobachter an der
Ecke Emser/Hermannstraße aufgebracht an den weißen Journalisten und tut mit
fränkischem Zungenschlag kund: „Wenn meine Oma beim Blumengießen ins Grab
fällt, gibt es doch auch keine Demo.“ Er stürmt fluchend davon. „Erinnern
heißt verändern“, hätte er auf dem mehrsprachigen Flugblatt lesen können,
das verteilt wird.
Einige Meter weiter steht Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen
in Deutschland. „Berlin ist nicht besser als Hanau oder Hamburg“, sagt er
der taz. Auch hier stellten rassistische Einstellungen und Strukturen eine
anhaltende Gefahr dar. Rechtsextremer Terror würde über Jahre hinweg nicht
aufgeklärt. Della erinnert an die rechte Terrorserie in Neukölln und den
Mord an Burak Bektaş. „Doch Hanau hat dazu geführt, dass sich Berlinweit
ein antirassistisches Netzwerk bildet. Die Initiativen rücken mehr und mehr
zusammen“, sagt er.
## Berührende und kämpferische Atmosphäre mit Maske
Die [3][Initiativen Migrantifa Berlin], Aktionsbündnis Antirassismus, Kein
Generalverdacht, Roma Trial, Young Struggle und We’ll Come United haben zur
Demo am Samstag aufgerufen. Aber auch kurdische, Schwarze,
lateinamerikanische Stimmen und Gruppen kommen zu Wort, als sich die
Demonstration in Richtung Hermannplatz auf den Weg macht – vorbei an Cafés
und Shishabars, die den Hanauer Tatorten nicht unähnlich sind.
Immer wieder werden die Namen der jungen Menschen aus Hanau vorgelesen,
nachdenklich zuweilen, andere Male skandiert von der stetig wachsenden Zahl
an Demonstrant*innen. Applaus brandet auf, als Anwohner*innen ein
Transparent mit den neun Namen von ihrem Balkon hängen. Einige
Straßenschilder werden von Demonstrierenden überklebt. So wird aus der
Neuköllner Sonnenallee die „Ferhat-Unvar-Straße“, aus der Pflüger- die
„Sedat-Gürbüz-Straße“.
„Die Institutionen haben vor, während und nach Hanau versagt“, heißt es v…
Lautsprecherwagen. Der deutsche Rassismus zeige sich jedoch nicht nur in
medialen „Clan“-Narrativen, in unverhinderten und schlecht aufgeklärten
Morden. Rassismus zeige sich auch in der Ausbeutung des globalen Südens, in
illegalen Pushbacks von Menschen auf der Flucht und in Abschiebungen
während einer globalen Pandemie.
Nahezu alle Menschen auf dieser Demonstration, die laut
Veranstalter*innen auf 10.000 Teilnehmende anwächst, tragen einen
medizinischen Mund-Nasenschutz. Erwartet wurden ursprünglich 900. Die
Polizei machte bis Redaktionsschluss keine Angabe zur Teilnehmendenzahl.
Immer wieder weist die Versammlungsleitung auf die notwendigen Abstände hin
und bittet auch Beobachter*innen, eine Maske aufzusetzen. Den beiden
Moderator*innen gelingt es mit einer sehr klaren und umsichtigen
Kommunikation, eine verantwortliche, zuweilen berührende und doch
kämpferische Atmosphäre zu erzeugen.
## Fast vollkommen Stille am Hermannplatz
Sie beschwören die Protestierenden, auf Alkohol zu verzichten, genauso wie
auf „autonome Selbstinszenierungen“. Und sie erinnern daran, auf sich zu
achten: „Alltäglicher Rassismus ist anstrengend. Viele von uns sind
erschöpft. Zwingt euch nicht, bis zum Ende der Demo durchzuhalten.“
Doch die Menschen bleiben. Sie vergegenwärtigen sich vor dem Neuköllner
Rathaus die Verdrängung migrantischer und migrantisierten Menschen im
Bezirk und „grüßen die Jugendlichen, die hier jeden Tag von der Polizei
drangsaliert werden.“ Vor der Polizeidirektion in der Sonnenallee macht die
Initiative Death in Custody den Mord an Oury Jalloh und anderer in
Polizeigewahrsam umgekommener Schwarzer Menschen und Personen of Color zum
Thema. „Wer den Namen Oury Jalloh noch nie gehört hat – was für ein
Privileg“.
Über den Hermannplatz schallen dann über Lautprecher zuerst die Worte von
Angehörigen und Überlebenden aus Hanau, die zuvor aufgezeichnet wurden. Es
folgt der eindrücklichste Moment der Demonstration: Es legt sich fast
vollkommene Stille über den sonst so belebten Neuköllner Hauptplatz, 10.000
Menschen setzen sich für eine Schweigeminute auf den kalten Boden. Nur eine
Schar Tauben ist zu hören, wie sie den Platz überfliegt.
Gegen 19 Uhr endet der Zug dieser neuartigen, zornig-zärtlichen
Migrantifa-Bewegung am Kreuzberger Oranienplatz, einem Symbolort der
Selbstorganisierung und des Widerstand von Geflüchteten. Zuvor sind nahe
der Synagoge am Fraenkelufer die „jüdischen Geschwister, die gerade Shabbat
machen“ gegrüßt worden. Auf Farsi wird am O-Platz noch einmal der
Bündnisaufruf verlesen und nach vorne geblickt: „Wir werden nicht aufhören
uns zu organisieren und zu protestieren“, heißt es da. Und: „Wir werden
selbst Hanau und [4][Halle] zur Zäsur machen. Und die Covid-19-Pandemie,
die ein Nährboden ist für Ideologien der Ungleichwertigkeit. Unsere Antwort
wird Solidarität sein.“
20 Feb 2021
## LINKS
[1] /Gedenken-an-die-beim-Anschlag-von-Hanau-Getoeteten/!5753385
[2] /Hanau-Gedenken-in-Berlin/!5749972
[3] /Ein-Jahr-nach-Hanau/!5747437
[4] /Rechtsextremer-Anschlag-auf-Synagoge/!5740077
## AUTOREN
Stefan Hunglinger
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