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# taz.de -- Frisuren im Lockdown: Wuchernde Haare der Freiheit
> Im Lockdown haben die Friseure zu und es wallt und sprießt überall auf
> den Köpfen. Erlebt der Vokuhila eine Renaissance?
Bild: Manchen Männern stehen lange Haare einfach super: Anton Hofreiter von de…
Ich habe immer vermutet, dass meinem Freund lange Haare stehen. Nun habe
ich den Beweis. Und ich musste ihn gar nicht drängen. Drängen ist in einer
Beziehung ja nie gut. Geduld ist der Goldstandard. Irgendwann würde es
wundersamerweise dazu kommen, dass er es wallen lassen würde, ich hatte da
Gottvertrauen. Und nun … Sie wissen schon. [1][Frisöre zu], und allein
traut er sich nicht dran. Die Krux des Kurzhaarschnitts. Sehr kompliziert
nachzuschneiden.
Ich hatte längst vermutet, dass vielen Leuten lange Haare stehen. Auch da
hatte ich recht. Und ich musste nicht drängen. Ich konnte mich ganz ruhig
zurücklehnen [2][und den Lockdown] sein Wunderwerk machen lassen, bis es
nur so wallte und sprießte.
Ich persönlich war seit 27 Jahren nicht mehr beim Haarformer. Vor 27 Jahren
waren ja noch die 90er, im Grunde die Ausläufer der 80er, vor allem auf dem
hessischen Dorf, in dem mich die damalige Haarformerin nachhaltig
traumatisiert hat. Salon Daggy. Meine Haare sind wie Wolle, die lassen sich
nicht in einen Minipli pressen, so dass ich mit einer voluminösen Fönfrisur
von dannen schreiten musste.
I remember you. Wie eine missratene Blutabnahme, die einen für immer mit
tiefem Misstrauen eine Klinik betreten lässt, so betrete ich Frisörstuben,
nämlich gar nicht. Dass Frisöre seit Monaten geschlossen haben, bekomme ich
so wenig mit wie geschlossene Kindergärten, ich weiß mich sehr
privilegiert.
## Vornekurzhintenlang
Ich trage also seit 27 Jahren einen Vokuhila: Vornekurzhintenlang. Ich habe
diesen Begriff selbst seit Jahren nicht mehr gehört, es taugt anscheinend
nicht mal mehr als Witz. Aber auch hier bin ich privilegiert, denn wenn man
glaubt, sich über Vokuhilas bei Männern scheckig lachen zu dürfen, komme
ich ungeschoren davon. Ich habe halt einfach hinten lang und vorne Pony.
Apropos Pony. Mein Freund leiht sich mittlerweile die Haargummis seiner
Tochter aus. Zuerst eines für die lange Strähne, die ihm am Schreibtisch
immer ins Gesicht fiel, dann zwei: eins für vorn, eins für hinten. Er ist
da nicht sehr eitel. Mir kann’s recht sein, wenn er wie ein Einhorn durch
die Wohnung schreitet. Ein Einhorn ist er ja eh, so wie alle Männer
irgendwie Einhörner sind. Aber ich schweife ab.
In öffentlichen Verkehrsmitteln stehe ich gern im Gang. Auch wegen Corona,
weil ich mir einbilde, dass die Luft da oben klarer ist. Ich stehe aber
auch gern, weil ich so die Köpfe der anderen Mitfahrer:innen
begutachten kann. Eine ältere Dame mit violett gefärbten Haaren schmückt
dort, wo sich ihre Haare teilen, eine silberne Linie, der Nebenmann spielt
mit seinen Fransen im Nacken.
## Der Hippie in uns
Und mir wird erst jetzt klar, wie oft die Leute zum Frisör gehen und sich
ohne ihn wohl sehr hilflos fühlen. Denn das Beste an meinem Haarschnitt:
kann man selbst schneiden. Ganz unkompliziert. Vielleicht wird es nun eine
Renaissance des Vokuhilas geben, oder werden wir ab jetzt einfach den
Hippie in uns entdecken? Für ein 60er-Jahre-Revival wird es so oder so
langsam Zeit. Ideologisch und stylisch. When the moooon is in the second
house, and Juuupiteeer aligns with Mars. Then Peeeeace and
uuunderstanding and love will stir the stars. Sie wissen schon.
Aber zurück zu meinem Freund. Wenn ich seine Haarpracht bewundere, habe ich
immer den Eingangssong „Aquarius“ aus dem Musical „Hair“ im Kopf. Ungea…
Potenziale. Ich habe mich sogar schon dabei erwischt, dass ich den Song
summe, wenn wir zusammen spazieren gehen. Mittlerweile summt er mit. Ich
summe den Song auch in der U-Bahn, wenn ich die wuchernden Haare der
Freiheit der anderen bestaune. Ein neues Zeitalter wird anbrechen.
Aquarius. Aber ich schweife ab.
17 Feb 2021
## LINKS
[1] /der-rote-faden/!5748587
[2] /Frisoersalons-im-Lockdown/!5746839
## AUTOREN
Sarah Diehl
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