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# taz.de -- Zerwürfnis beim VfB Stuttgart: Sich selbst zum Gegner
> Ein Machtkampf droht den VfB Stuttgart zu zerreißen. Gestritten wird um
> Grundsätzliches mit unlauteren, teils justiziablen Mitteln.
Bild: Die obersten Streithammel: Vereinspräsident Vogt und Vorstandsvorsitzend…
Es soll Angestellte des VfB Stuttgart geben, die seit Tagen den tollkühnen
Plan verfolgen, die jeweils neuen Meldungen über ihren Verein einfach zu
ignorieren. Doch das ist nicht so einfach, wenn alle zwei Stunden neue
Wendungen und Intrigen aufpoppen und zumindest der württembergische Teil
des Bindestrich-Landes sich weit mehr für den Lagerwahlkampf beim VfB als
für den schleppenden Landtagswahlkampf interessiert.
Vogt gegen Hitzlsperger, darauf lässt sich der Konflikt zumindest auf den
ersten Blick reduzieren. Auf einen Streit zwischen dem amtierenden
Präsidenten des e. V., Claus Vogt, den einflussreiche Gremienmitglieder
nicht zur Wiederwahl vorschlagen wollen. [1][Und den Vorstandsvorsitzenden
Thomas Hitzlsperger], dessen scharfe öffentliche Kritik an Vogt alles erst
an die Öffentlichkeit zerrte.
Doch es geht um mehr. Es geht, so viel Meta-Ebene muss sein, um die Frage,
wem denn nun der Fußball überhaupt gehöre. Denen, die ein geräuschloses
Durchregieren für die bestmögliche Art und Weise halten, wie ein
Profiverein zu führen sei. Oder denjenigen Fans und Mitgliedern, die
glauben, dass es im durchkapitalisierten Profifußball möglich ist,
transparent und demokratisch zu arbeiten. Dass beide Seiten der jeweils
anderen vorwerfen, sie arbeite mit unlauteren Methoden und stecke Interna
an die Presse durch, liegt in der Natur der Sache. Beide Seiten haben da im
Übrigen völlig recht.
Ende Dezember hatte Hitzlsperger Vogt in einem offenen Brief jede
charakterliche und fachliche Eignung abgesprochen. Für den scharfen Ton des
Schreibens hat er sich seither mehrfach entschuldigt. Für den Inhalt und
die vom Stuttgarter Talkessel aus dem „Highlander“ entliehene Kernaussage
„Es kann nur einen geben“, hat er sich hingegen nicht entschuldigt. Das
wäre auch heuchlerisch. Denn dazu sind die Fronten zu verhärtet, seit die
Guerilla-Marketing-Aktion im Vorfeld der 2017 beschlossenen Ausgliederung
der Profi-Abteilung publik wurde.
## Missbrauch von Daten
Führende Vereinsmitarbeiter hatten – im Auftrag oder zumindest mit Wissen
von Angehörigen der Gremien – eine als neutrale Fan-Seite getarnte Agentur
damit beauftragt, Stimmung für die Ausgliederung zu machen, und dabei die
Daten von etwa 35.000 Vereinsmitgliedern zweckentfremdet. Mindestens
600.000 Euro soll das den VfB gekostet haben. Nach seiner Wahl im Dezember
2019 hatte Vogt eine konsequente Aufklärung gefordert und gegen den Willen
einiger Funktionäre, die derzeit am Pranger stehen, damit die Agentur
Esecon beauftragt.
Hitzlsperger, der 2017 noch nicht amtierte, war nach Bekanntwerden der
Vorwürfe ebenfalls schockiert. Und bisher hatte er nicht die Chance, all
die eines Besseren zu belehren, die ihm unterstellen, dass er die Affäre
aussitzen will. Eine arbeitsrechtlich sattelfeste juristische Grundlage
hatte er zuletzt als Voraussetzung genannt, um personelle Konsequenzen
ziehen zu können. Die könnten nun unmittelbar bevorstehen, die
abschließenden juristischen Bewertungen, die der Vorstand unabhängig vom
Aufsichtsrat in Auftrag gegeben hat, sind abgeschlossen. Am Donnerstag
wurde bereits ein neuer Mediendirektor vorgestellt. Dessen Vorgänger ist
wie ein weiterer Mitarbeiter seit Monaten suspendiert.
[2][Der Spiegel zitierte in der vergangenen Woche] ausführlich aus dem
Abschlussbericht von Esecon, der großen Teilen der Führungsebene
attestiert, die Aufklärung verhindert zu haben oder gar selbst in die
Daten-Affäre eingeweiht gewesen zu sein. Konkret richten sich die Vorwürfe
an beide Präsidiumskollegen von Vogt, auch zwei Vorstände könnten
abberufen werden. Hitzlsperger selbst obliegt es nun federführend,
Konsequenzen aus den juristischen Gutachten zu ziehen. Wenn es hierbei
nicht bei Bauernopfern bleibt, könnte das auch für ihn selbst ein
Befreiungsschlag sein.
Dass beide Seiten in dem Konflikt mit schweren Bandagen kämpfen, ist
offensichtlich. Vogt wurde zeitweilig regelrecht bedrängt zurückzutreten.
Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth, Vogts Stellvertreter im
Aufsichtsrat des e. V., soll nicht erst seit gestern zuweilen eine
lautstarke Argumentationsführung pflegen. Schon Ehrenspielführer Guido
Buchwald trat als Aufsichtsrat zurück, weil Porth ihn vor Zuhörern laut
beschimpft hatte. Das Wort „Arschloch“ soll gefallen sein.
## Irritierende Ausdrucksweise
„Eine solche Ausdrucksweise gegenüber einem verdienten Ex-Spieler hat mich
doch sehr irritiert“, [3][sagt dazu heute der Grünen-Politiker Cem
Özdemir], der die Geschehnisse im Wahlkreis mit Befremden beobachtet. „Sie
passt weder zum VfB noch zu einem international und bei uns in der Region
hoch angesehenen Unternehmen. Wenn es einem doch mal passiert, dann schafft
man es schnell aus der Welt.“ Özdemir, der 1978 sein erstes VfB-Spiel live
im Stadion sah, hätte eigentlich ein paar gute Ideen, wie man die
Streithammel einhegen könnte. „Genaue Aufgabenbeschreibungen für die
jeweiligen Führungspositionen“ zum Beispiel. „Und in die Satzung müsste
dringend eine Klausel, dass der Vereinsbeirat den amtierenden Präsidenten
unbedingt zur Wiederwahl vorschlagen muss, damit es auch wirklich die
Mitglieder sind, die das letzte Wort über die wichtigste Personalie im e.
V. haben.“
Zurückrudern können beide Lager nun allerdings nicht mehr. Zumal sich
andeutet, dass es um weit mehr gehen könnte als die Datenaffäre. Die
Ausgliederung der Profiabteilung war 2017 von 84,2 Prozent der anwesenden
Mitglieder beschlossen worden – schon bei 75 Prozent wäre das Quorum
erreicht gewesen. Nach der Ausgliederung sicherte sich Daimler für 41,5
Millionen Euro 11,75 Prozent der AG-Anteile.
[4][Wie der kicker nun berichtet,] haben damals aber nur 9.133 von 12.504
stimmberechtigten Mitgliedern abgestimmt, die zum Teil von weit her
angereist waren, um an der wichtigsten Entscheidung der jüngeren
Vereinsgeschichte mitwirken zu können. Vor allem in dem Bereich, in dem die
Gegner der Ausgliederung saßen, sollen viele Abstimmungsgeräte nicht
funktioniert haben. Wenn belegbar wäre, dass in einem größeren Umfang
abgegebene Stimmen nicht gezählt wurden – und sei es aufgrund technischer
Defizite –, wäre das ein weiterer Tiefschlag für die damals Herrschenden.
Es wäre aber auch eine Erklärung dafür, warum Jahre später ein Machtkampf
mit einem neuen Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden dermaßen
eskalieren konnte.
Derzeit wirken die Protagonisten in beiden Lagern dennoch wild
entschlossen, den jeweils nächsten Punktsieg im Kampf um die Deutungshoheit
zu erringen. Beide Seiten sind felsenfest davon überzeugt, dass erst das
andere Lager weichen muss, ehe wieder Frieden einkehrt. Und beide Seiten
schießen zuweilen übers Ziel hinaus.
## Große Dummheit
Dass der Landesdatenschutzbeauftragte, der den Verein zu einer hohen
Geldstrafe verdonnern wird, dem VfB eine gute Kooperation attestiert,
während Esecon deren Fehlen bemängelt, ist genauso erklärungsbedürftig wie
die Tatsache, dass die Unregelmäßigkeiten der über drei Jahre
zurückliegenden Mitgliederversammlung 2017 erst jetzt öffentlich
thematisiert werden. Auch die Versuche, Hitzlsperger selbst in die
Schusslinie zu bringen, lassen zuweilen die Zielschärfe vermissen.
Wirkliche Belege dafür, dass er die Aufklärung verzögert habe, gibt es
jedenfalls nicht. Klar ist jedoch, dass Hitzlsperger sich dem Lager der
Vogt-Gegner verpflichtet fühlt. Ob aus inhaltlichen Gründen oder aus
Loyalitätszwängen, sei dahingestellt. Dass sein offener Brief eine große
Dummheit war, dürfte in einigen Jahren nicht mal mehr er selbst bestreiten.
Wobei „Hitz“ es immer noch in der Hand hat, den Klub – und damit in der
Folge sich selbst – neu zu positionieren.
Für ihn selbst ist die Dynamik der vergangenen Wochen durchaus tragisch.
Schließlich hat er damit auch viele Menschen irritiert, die ihn jahrelang
als reflektierten, ausgleichenden Charakter erlebt haben. Zumal mit großer
Wahrscheinlichkeit nach wie vor die meisten der über 70.000 Mitglieder
nichts lieber sähen als eine friedliche Koexistenz des Präsidenten und des
Vorstandsvorsitzenden. Von Hitzlspergers erfolgreicher Arbeit zeugen die
Auftritte einer jungen Mannschaft, die schönen und erfolgreichen Fußball
zeigt. Vogt hingegen setzt einen Willen nach Transparenz und Mitbestimmung
um, der gerade die engagierten und reflektierten Teile der Stuttgarter
Anhängerschaft eint. Nicht nur Özdemir findet es da regelrecht tragisch,
dass die beiden nicht zusammenarbeiten können.
Ein paar Etagen unter der Meta-Ebene gibt es in Bad Cannstatt auch Ebenen,
über die derzeit nicht so oft gesprochen wird. Sie fangen im Erdgeschoss
der Mercedesstraße 109 an und ziehen sich über die ganze Geschäftsstelle.
Dort, so wird berichtet, hat sich das Freund-Feind-Denken aus der
Führungsriege in die Gänge gefressen. Wer auf den Fluren mit dem falschen
Gesprächspartner gesehen wird, wird automatisch einem Lager zugeordnet und
Minuten später kaum noch gegrüßt. Selbst dann, wenn die Unterhaltung um das
schöne Winterwetter kreiste.
Der Fußball behauptet ja gerne von sich, dass er Menschen zusammenbringt.
Am Beispiel des VfB Stuttgart sieht man derzeit eher, dass er ganz gewiss
die Kraft hat, Menschen für immer und ewig zu entzweien.
13 Feb 2021
## LINKS
[1] /Hitzlspergers-Coming-out/!5051197
[2] https://www.spiegel.de/sport/fussball/vfb-stuttgart-interner-ermittlungsber…
[3] /Uefa-vergibt-EM-2024/!5538868
[4] https://www.kicker.de/stuttgarts-datenaffaere-juristen-faellen-ein-vernicht…
## AUTOREN
Christoph Ruf
## TAGS
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