# taz.de -- Tschechischer Film auf Arte: Der Sand kommt überall rein | |
> Nur selten kommen tschechische Filme ins deutsche Fernsehen. Arte macht | |
> am Freitag eine sehenswerte Ausnahme und zeigt den „Veteran“. | |
Bild: Milan Ondrik in der Rolle des Martin | |
Was macht einer, wenn er nach 20 Jahren in der Fremdenlegion wieder nach | |
Hause kommt? Er besucht als erstes die Familie. Oder das, was davon noch | |
übrig ist, weil er erfahren muss, dass die Mutter längst gestorben ist. | |
Dass es das noch gibt in Zeiten von Smartphones – aber vielleicht sind die | |
in der Legion ja verboten? Früher ist einer ja vor allem dann in die Legion | |
eingetreten, wenn er furchtbaren Mist gebaut hatte, den er hinter sich | |
lassen wollte. So war es auch bei Martin (Milan Ondrík), vor 20 Jahren. Der | |
Mist hätte ihn damals ins Gefängnis gebracht, aber welcher Mist es war, | |
bleibt lange unausgesprochen. Es ist schon ein ziemlich furchtbarer Mist. | |
Was von der Familie noch übrig ist: eine Schwester, deren Sohn und ihr | |
Ehemann, der seine Frau misshandelt, was man wirklich nicht tun sollte, | |
wenn man doch weiß, dass sie einen Bruder hat, der bei der Legion ist und | |
irgendwann zurückkommen könnte. Martin war offenbar im Nahen Osten und in | |
Afrika im Einsatz – was er dort erlebt hat, bleibt weitgehend im Dunkeln. | |
Jedenfalls hat er sich Fähigkeiten angeeignet, die ihn zu einem | |
Einzelkämpfer machen, der es mühelos mit mehreren Gegnern gleichzeitig | |
aufnimmt. | |
Etwa bei den organisierten Ultimate-Fighting-Schlägereien, auf die er sich | |
nur einlässt, weil er das Geld braucht. Oder als ein junger Mann, von dem | |
Martin in dem Moment noch nicht weiß, dass er der Sohn des | |
(stellvertretenden) Bürgermeisters ist, gerade von ein paar üblen Gesellen | |
arg verdroschen wird. | |
Die Stadt, in der der Bürgermeister (Pavel Kříž) amtiert, ist übrigens | |
Brünn, die zweitgrößte Stadt Tschechiens: weltberühmt für ihre Bauten des | |
mährischen Funktionalismus und Mies van der Rohes Villa Tugendhat. Ob es an | |
diesem Erbe liegt, dass der Bürgermeister in so einer | |
zeitgenössisch-modernistischen Villa mit bodentiefen Fenstern residiert, | |
wie sie Immobilienfuzzis zur Empörung von Architekturhistorikern und | |
Feuilletonisten immer als „Bauhausstil“ anpreisen? Als altgedienter | |
Filmzuschauer weiß man immerhin, nicht erst seit James Bond, dass von den | |
Bewohnern modernistischer Architektur nichts Gutes zu erwarten ist. | |
Kaffee, viel Kaffee | |
Zurück zur Ausgangsfrage. Er bestellt – nachdem er am Grab der Mutter war, | |
das zählt noch zum Familienbesuch – als Zweites einen Kaffee: „Was für | |
einen? Espresso? Cappuccino? Flat White? Latte?“ „Ja. Alles.“ Auch das | |
Gespräch mit der Tochter des Bürgermeisters (Marie Poulová), der Martin zum | |
Dank für die Rettung des Sohnes in die Villa eingeladen hat, dreht sich | |
bald um das Heißgetränk: | |
„Trinkst du Kaffee?“ „Nein. Nicht viel.“ „Und früher öfter?“ „N… | |
wirst du noch.“ | |
Das wird sie noch. Martin würde es so nicht sagen, überhaupt sagt er nicht | |
viel – der Sand kommt überall rein: „auch in den geschlossenen Mund, es ist | |
besser ihn nicht aufzumachen“. Martin ist das, was man heute einen | |
Kaffee-Aficionado nennt. Er will ein Café eröffnen, dafür braucht er Geld, | |
dafür kämpft er: „Ich will nicht mehr tun, was mir andere sagen.“ „Das … | |
ich gedacht, als ich zehn war“, amüsiert sich die Tochter des | |
Bürgermeisters. | |
Der wiederum toleriert ihren Flirt mit Martin – mit zunehmender Skepsis. Je | |
mehr sich der Flirt zu einer dauerhaften Beziehung konsolidiert, desto | |
abschätziger werden seine Blicke. Und Worte. Als Bürgermeister hat er | |
Zugang zu den Akten, auch wenn sie schon vor 20 Jahren abgelegt wurden. Was | |
sind dagegen die knapp 90 Filmminuten, die es dauert, bis er seine Tochter | |
und Martin – der seinen Vornamen nicht zufällig mit Martin Eden teilt, der | |
Hauptfigur in Jack Londons gleichnamigem Roman – mit dem furchtbaren Mist | |
konfrontiert, den Martin damals doch hatte hinter sich lassen wollen? | |
Was sind dagegen die fünf Wochen, die es her ist, dass „Drei Haselnüsse für | |
Aschenbrödel“ wie jedes Jahr in Endlosschleife lief? Gewiss, in Prag werden | |
viele internationale Filmproduktionen abgedreht. Aber dass Tschechien – | |
über „Aschenbrödel“ und die hervorragenden Programme hinaus, mit denen | |
Generationen deutscher Kinder aufgewachsen sind (Karel Zemans | |
Jules-Verne-Adaptionen, „Der kleine Maulwurf“, „Die Besucher“, „Die | |
Märchenbraut“) – ein großes Filmland ist, gerät hierzulande oft in | |
Vergessenheit. | |
Nicht zuletzt bei den Fernsehsendern. Filme wie Jan Svěráks „Akumulátor 1�… | |
fristen ein Nischendasein als Geheimtipp. Dass Arte heute Jan Hřebejks | |
(Regie) und Marek Epsteins (Drehbuch) sehr sehenswerten, preisgekrönten | |
„Veteran“ zur Primetime zeigt, könnte ein Anfang sein. Vermutlich wird es | |
eine Ausnahme bleiben. | |
29 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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