# taz.de -- Renaissance der Samstags-Konferenz: Auf einer Wellenlänge | |
> Pandemie ist nicht nur schlimm: Mit der samstäglichen Radio-Konferenz | |
> kann man sich sogar schlimmen Standfußball schönhören. | |
Bild: Auch Standfußball kann schmerzhaft sein, wird durch Radio aber schön | |
Ich pack das nicht, ich halt das nicht mehr aus, ich will das nicht mehr | |
sehen.“ Günther Kochs Stimme überschlägt sich. Es ist der 29. Mai 1999 und | |
die Bundesliga erlebt einen ihrer spannendsten letzten Spieltage seit ihrer | |
Gründung. Insgesamt fünf Mannschaften können in diesen zwei Stunden noch | |
absteigen. In der ARD-Radiokonferenz dürften so viele Zuhörer hängen wie | |
lange nicht. Hätten wir in diesen letzten Minuten vor Spielende in einem | |
fahrenden Auto gesessen, wir hätten angehalten. | |
Zugegeben, am aktuellen Spieltag war weit weniger Dynamik in der | |
15.30-Uhr-Schalte als in der Frisur von Günter Netzer, aber selbst diese | |
spärlichen Ereignisse hält den/die Radioreporter*in nicht davon ab, | |
mittels energischer Zwischenrufe kleine Momente der Spannung zu erzeugen. | |
Dass die ein oder andere Szene größer aufgeblasen wird, als sie tatsächlich | |
in der Nachschau war, das muss verziehen sein. Das Radio lebt von Bildern, | |
die mit Worten erzeugt werden. Man will doch bitte hochschrecken, wenn | |
Julia Metzners Stimme sich plötzlich aus Stuttgart meldet. Wer nicht | |
minütlich an die Dramatik des Fußballs erinnert werden will, kann ja einen | |
Liveticker lesen. | |
Der Reporter (früher waren da ja tatsächlich ausschließlich Männer) ist das | |
letzte Bindeglied zwischen technisiertem Hochleistungsfußball und der | |
Erinnerung an eine Kindheit vor dem Gartenradio. Er hat seine großen | |
Momente („Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen …“) vielleicht hinter | |
sich gelassen, erlebt aber gerade wieder Zulauf. Umrundet die | |
Radiokonferenz doch jedes Interessenspektrum. Sei es mit halbem Interesse | |
als Hintergrundgeräusch aus dem Nebenzimmer oder als Ersatz für den | |
glühenden Anhänger, der aktuell nicht ins Stadion kann. Möglich, dass genau | |
dieser Punkt den Reiz ausmacht. Das Erlebnis Fußball, wie wir es gewohnt | |
sind, hat sich auf das sportliche Ereignis reduziert. Der Glamour ist | |
verschwunden, aber eben auch das umfangreiche soziale Gefüge, das den | |
Fußball umgibt, stillgelegt. | |
Ganze Samstagabende hat der Freundeskreis einst zur Spielanalyse genutzt, | |
nicht selten stand der ganze Tag im Zeichen des Fußballs. Grob fahrlässiges | |
Mittagsbetrinken und für einen Tag Experte sein. Doch jetzt findet das | |
Zuschauererlebnis vor allem zu Hause statt. Wie der Bundesliga-Wahnsinn | |
konsumiert wird, das bleibt jedem selbst überlassen – und da König Fußball | |
gar nicht mehr so sehr im Fokus steht, wie die Führungsetage einiger Klubs | |
es gerne hätte, reicht manchmal nur das Küchenradio. Oder das Autoradio, | |
das Handyradio beim Spazieren, das Radio am Arbeitsplatz. | |
Die Verlässlichkeit, dass jeden Samstag zur selben Uhrzeit die Konferenz | |
beginnt, die einzelnen Reporter*innen sich knapp vorstellen und 90 | |
Minuten keinen Informationsteppich über ein Spiel legen, sondern die | |
wichtigen Spielszenen im Blick haben, ist geradezu wohltuend. Radio ist | |
Ergebnis. Vielleicht will ich nicht wissen, ob der Innenverteidiger zum | |
zweiten Mal Vater geworden ist, sondern ob er hoch genug springt, wenn er | |
muss. Diese Szene möchte ich knackig erklärt bekommen. Danach zurück nach | |
Bremen, wo 90 Minuten lang Standfußball gegen Freiburg gespielt wird. | |
Dieses Spiel beispielsweise hat an diesem vergangenen Bundesliga-Samstag | |
mit der Tatsache gewonnen, dass das Radio keine Bilder senden kann. | |
„Radio, Radio, Radio – das schnellste Medium der Welt.“ Was Günther Koch | |
völlig außer Atem ins Mikro haucht, als sich am letzten Spieltag 1999 die | |
Eintracht und Hansa Rostock in den Klassenerhalt retten, mag vor den | |
heutigen technischen Leistungen und Möglichkeiten am Mitleid rütteln, aber | |
vermutlich gilt diese Aussage immer noch. Einzig um die Bilder, wie Hansas | |
Slawomir Majak nach Abpfiff nur noch mit Unterhose bekleidet Richtung Kurve | |
jubelt, beneiden wir alle, die das Spiel doch live sehen konnten. | |
14 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Jenni Wulfhekel | |
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