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# taz.de -- Die Wahrheit: Rock-’n’-Roll der lebenden Toten
> Manchmal ängstigt es schon, was die bereits toten, eigenen musikalischen
> Helden so zu manchem aktuellen Thema zu sagen hätten.
Immer wieder erzählen mir Menschen, dass jedes Mal, wenn die Medien davon
berichten, dass irgendein Rockstar nun siebzig oder achtzig Jahre alt
geworden sei, sie sich mit ihrer eigenen Vergänglichkeit konfrontiert
sehen. Mir scheint das eine banale Form von Zahlenmystik zu sein.
Ich wundere mich eher, dass diese Stars überhaupt noch leben, nachdem ich
sie schon in meiner Jugend als Greise wahrgenommen habe, sie also folglich
inzwischen mindestens hundertdreißig sein müssten. Dabei sind sie viel
jünger!
Keith Richards und sein Buchhalter Mick Jagger werden beide dieses Jahr
erst zarte achtundsiebzig, Tina Turner und Grace Slick frische ein-, Duane
Eddy und Klaus Voormann tänzelnde zweiundachtzig! Kein Wunder, dass manche
von ihnen in diesem blutjungen Alter noch Ton-Dateien auf den Markt werfen
und Konzerte geben beziehungsweise gern gäben, wenn es denn möglich wäre.
Mit dem Umstand, dass dies zur Zeit keinen Sinn hat, wollen sich einige
Rock-’n’-Roll-Senioren aber nicht abfinden. So veröffentlicht der
überraschenderweise erst fünfundsiebzigjährige Van Morrison seit vorigem
Herbst Prostestsongs gegen Coronamaßnahmen. Im Dezember erschien der
vorläufig letzte unter dem Titel „Stand and Deliver“.
Unterstützt wurde Morrison dabei vom gleichalten und ähnlich bescheuerten
Eric Clapton: „Do you wanna be a free man / Or do you wanna be a slave? /
Do you wanna wear these chains / Until you’re lying in the grave?“
Bereits im September hatte Morrison gesungen, wie Freund, Kollege und
Nichtraucher Ralf Sotscheck aus Irland berichtete: „No more fascist bullies
/ Disturbing our peace / No more taking our freedom / And our God-given
rights / Pretending it’s for our safety / When it’s really to enslave.“
Manchmal bin ich froh, dass einige meiner musikalischen Helden schon tot
sind. Also ganz in echt verstorben. Nicht nur mental. Ein wenig hätte ich
schon Angst, was sie so zu manchem aktuellen Thema zu sagen hätten.
So zuckte ich auch 1993, vor fast dreißig Jahren, kurz zusammen, als die
Frankfurter Rundschau den damals noch lebenden Rio Reiser zitierte: „Ich
bin Patriot.“ Rio erklärte es dann erfreulicherweise eher kritisch-rational
denn dumpf-national: „Obwohl es für mich keine Heimat im eigentlichen Sinne
gibt, könnte ich wohl nur hier leben […]. Die Geschichte dieses Landes ist
auch meine Geschichte, und ich muss mich damit auseinandersetzen, auch mit
den neuen nationalistischen Strömungen und dem wachsenden Terror von
rechts.“ Zu solch differenzierten Aussagen sind die Morrisons dieser Welt
wohl eher nicht fähig.
Rio Reiser wäre vor zwei Wochen übrigens einundsiebzig geworden. Das
schockiert mich weniger, als dass sich sein Tod im August schon zum
fünfundzwanzigsten Mal jährt. Reiser starb mit sechsundvierzig – und war
damit damals zehn Jahre jünger als ich es jetzt bin. Fuck! Jetzt hat mich
die Alte-Rockstar-Kabbala doch erwischt.
27 Jan 2021
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
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Verschwörungsmythen und Corona
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