# taz.de -- Prozesse wegen Dammbruch in Brasilien: Noch keine Gerechtigkeit fü… | |
> Zwei Jahre nach der Minenkatastrophe im brasilianischen Brumadinho laufen | |
> Prozesse gegen Verantwortliche schleppend. Ähnliche Unfälle drohen. | |
Bild: Ein Rettungsteam nach einem Einsatz in Brumadinho nach dem Dammbruch im J… | |
Berlin taz | Es war Freitag, als das Leben von Marcela Rodrigues auf den | |
Kopf gestellt wurde. Vor genau zwei Jahren, am 25. Januar 2019, brach ein | |
Damm der Eisenerzmine Córrego do Feijão und begrub einen Teil ihrer | |
Heimatstadt Brumadinho unter einer [1][Schlammlawine]. 272 Menschen | |
starben, 11 gelten bis heute als vermisst. Einer der Toten: Rodrigues’ | |
Vater, der als Elektriker in der Mine arbeitete. Viele ihrer Verwandten | |
zogen nach der Katastrophe weg, doch Rodrigues blieb. Heute ist die | |
27-Jährige in der lokalen Basisbewegung aktiv und kämpft für Aufklärung – | |
auch gegen ein deutsches Unternehmen. Rodrigues meint: „Es war keine | |
Tragödie, sondern ein Verbrechen.“ | |
Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais gibt es Hunderte Minen. Das | |
dort für die Stahlherstellung geförderte Eisenerz geht in die ganze Welt. | |
Als an jenem Januartag 2019 das Rückhaltebecken in Brumadinho brach, rollte | |
eine tödliche Mischung aus zwölf Millionen Kubikmeter Wasser, Geröll und | |
Schlamm über Häuser und Menschen hinweg. Wie viele andere Minen wurde auch | |
der Betrieb in Brumadinho von Vale S. A. betrieben, dem weltweit größten | |
Eisenerz-Exporteur. Elf Vale-Vertreter*innen sind in Brasilien wegen | |
vorsätzlicher Tötung und schwerer Umweltverstöße angeklagt. | |
Ebenso angeklagt sind fünf Mitarbeiter*innen eines weiteren | |
Unternehmens: TÜV Süd. Denn vier Monate vor dem Dammbruch hatte eine | |
Tochterfirma des deutschen Unternehmens den Damm als stabil eingestuft – | |
trotz massiver Sicherheitsbedenken. In der Anklageschrift der | |
brasilianischen Staatsanwaltschaft heißt es, dass ein Interessenkonflikt | |
bestanden habe, da das deutsche Unternehmen weitere Verträge und | |
Verhandlungen für interne Beratertätigkeiten mit Vale hatte. | |
Ließ der deutsche Zertifizierer ein Gefälligkeitsgutachten anfertigen, um | |
seinen Kunden zufriedenzustellen und keine Aufträge zu verlieren? TÜV Süd | |
weist diesen Vorwurf als „unbegründet“ zurück und erklärt, dass ihr | |
Unternehmen keine rechtliche Verantwortung für den Dammbruch trage. Die | |
abgegebene Stabilitätserklärung habe „die damals geltenden brasilianischen | |
Gesetze und Normen eingehalten“. | |
## Brumadinho ist kein Einzelfall | |
Allerdings: Zwei TÜV-Süd-Mitarbeiter sagten später aus, dass sie von Vale | |
unter Druck gesetzt wurden, damit sie zu einer positiven Evaluation kämen. | |
Zwei andere Unternehmen sollen sich zuvor geweigert haben, die Sicherheit | |
des Damms zu zertifizieren, woraufhin TÜV Süd beauftragt wurde. Auch ein | |
deutscher Ingenieur steht im Fokus der Ermittler*innen. Dieser soll von | |
seinen brasilianischen Kollegen konsultiert worden sein. Wer letztlich das | |
grüne Licht für das Gutachten gab, ist unklar. Der Prozess läuft wegen der | |
Coronapandemie schleppend. | |
Im Oktober 2019 haben fünf Betroffene aus Brasilien gemeinsam mit dem | |
European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und der | |
Hilfsorganisation Misereor auch in Deutschland Anzeige gegen das deutsche | |
Zertifizierungsunternehmen und den Ingenieur eingereicht. Eine der | |
Kläger*innen ist Marcela Rodrigues. Die Staatsanwaltschaft in München | |
prüft derzeit, ob Anklage erhoben wird. „Weil TÜV Süd ein deutsches | |
Unternehmen ist, müssen sie auch hier in die Verantwortung genommen | |
werden“, sagt Claudia Müller-Hoff von der ECCHR. Deutschland sei eng mit | |
der Bergbauindustrie Brasiliens verknüpft. | |
Und Brumadinho ist kein Einzelfall. Bereits 2015 war nahe der Kleinstadt | |
Mariana, 120 Kilometer von Brumadinho entfernt, der Damm einer Eisenerzmine | |
gebrochen. Damals starben 19 Menschen, Tausende wurden obdachlos. Viele | |
Flüsse, wie der Rio Doce, wurden verseucht. Das damalige | |
Betreiberunternehmen Samarco gehörte ebenfalls Vale und dem | |
australisch-britischen Konzern BHP. Fünf Jahre später herrscht Chaos um | |
Entschädigungen und Verantwortlichkeiten. Auch im Fall von Brumadinho | |
würden Betroffene nicht genügend in die Entschädigungsdebatte einbezogen | |
und Verhandlungen hinter geschlossenen Türen geführt, kritisieren | |
Aktivist*innen. | |
TÜV Süd erklärte derweil, dass nach dem „Unglück“, externe Expert*innen | |
die Stabilität anderer Dämme von Vale untersucht hätten. Diese | |
Einschätzungen seien mit Vale und den zuständigen Behörden in Brasilien | |
geteilt und diese aufgefordert worden, „vorsorgliche Maßnahmen zu | |
ergreifen, um potenzielle Gefahren für Menschen und Umwelt abzuwehren“. | |
Tatsächlich sollen Verbesserungen umgesetzt und Sicherheitsstandards erhöht | |
worden sein, doch vielen Aktivist*innen reicht das nicht. So gebe es | |
weiterhin viele Staudämme in der Region, „die jeden Moment brechen | |
könnten“. | |
24 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Niklas Franzen | |
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