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# taz.de -- Belarussisches Auslieferungsgesuch: „Eher gefriert die Hölle“
> Die Machthaber wollen Swetlana Tichanowskaja zurückholen – um sie
> einzusperren. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk.
> Folge 67.
Bild: Soll an ihr Heimatland überstellt werden: Oppositionspolitikerin Swetlan…
Anfang März hat das Untersuchungskomitee (belaruss. Ermittlungsbehörde,
Anm. der Redaktion) bei der Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung von
Swetlana Tichanowskaja beantragt. Das Komitee hat mitgeteilt, dass die
Untersuchung des Strafverfahrens gegen vier von Tichanowskajas Vertrauten
bereits abgeschlossen sei.
Die Beschuldigten, Tichanowskaja eingeschlossen, hätten sich am 5. August
2020 versammelt und einen Plan für die Organisation von Massenunruhen,
Beschlagnahmung von Verwaltungsgebäuden und die Einsetzung ihrer eigenen
Personen in Ämter vorbereitet.
Tichanowskaja habe diesen Plan nicht nur unterstützt, sie habe auch
zugestimmt, finanzielle Mittel zum Kauf von Elektroschockern,
Gaskartuschen, Walkie-Talkies, Megafonen, Mikrofonen und anderer
Gegenstände und Waffen zur Verfügung zu stellen, um diese Verbrechen
begehen zu können. Vermutlich auch noch für Schaufeln und Mistgabeln…
Wie durch ein Wunder war eine Videoaufzeichnung von dieser verbrecherischen
Absprache in die Hände der heldenhaften Mitarbeiter des
Untersuchungskomitees geraten. Alle Übeltäter, außer Tichanowskaja, wurden
schon verhaftet.
Ich sage einfach mal, dass es genau die Mitarbeiter eben jenes
Untersuchungskomitees sind, die denken, [1][dass der Demonstrant Alexander
Tarajkowski am 10. August 2020 zu Recht erschossen worden war], weil er
„auf die Sicherheitskräfte zuging“ und „frech und gezielt dort stand“.
Auf einem Social-Media-Kanal des Innenministeriums kann man bis heute
lesen, dass Tarajkowski durch einen in seiner Hand explodierten Sprengsatz
gestorben sei.
Die Belarussen haben dazu ein paar Fragen: Ist verdeckte Überwachung von
Präsidentschaftskandidaten legal? O.k., ihr sagt, dass es eine Genehmigung
gab, dass ein Verdacht bestand und so weiter. Aber vielleicht noch mal
anders herum gefragt: Warum habt ihr sie damals dann nicht gleich
verhaftet? Warum habt ihr sie ins Ausland gehen lassen? Mit diesem Video
zeigt ihr nur einmal mehr eure Inkompetenz und Machtlosigkeit. Und dass ihr
auf keinerlei Verhandlungen mit dem Westen zählen könnt. Denn ihr ändert
eure Entscheidungen doch sowieso alle naselang.
Wenn wir mal davon ausgehen, dass [2][legal nach Tichanowskaja gefahndet
wird], dann denken wir auch, dass es notwendig ist, alle, die an der
Finanzierung und Unterbringung dieser „Verbrecherin“ beteiligt sind,
unverzüglich vor Gericht zu stellen. Aber hier gibt es einen Konflikt
zwischen Gesetz und gesundem Menschenverstand.
Zuerst hatte Lukaschenko angekündigt, dass die belarussischen Machthaber
die Ausreise von Tichanowskaja nach Litauen organisiert hätten. Und man
hatte ihr sogar 15.000 Dollar von einem staatlichen Unternehmen für
Lebenshaltungskosten ausgezahlt.
Ja, was denn nun? Hat man dieses Budget einfach verschleudert? Ist das
Unterstützung von Terrorismus, weil Tichanowskaja nach Angaben des
Untersuchungskomitees die Unruhen mit eigenen Mitteln bezahlt hatte? Da
ergibt sich eine gewisse Widersprüchlichkeit.
Umso mehr, als Tichanowskaja im letzten Interview mit dem ukrainischen
Journalisten Dmitri Gordon erzählt hat, dass sie in Litauen einen
offiziellen Gästestatus hat, ihr Personenschutz und eine Wohnung zur
Verfügung gestellt werden, und dass sie ein Gehalt bekommt, mit Hilfe von
Unterstützung (durch Sponsoren, Anm. d. Redaktion) und persönlichen
Spenden, und dass jetzt auch alle Mitarbeiter ihres Büros Geld bekommen.
Alle ihre Auslandsreisen werden von den Gastgeberländern bezahlt.
Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis kommentierte die
Anfrage der belarussischen Generalstaatsanwaltschaft über die Auslieferung
Swetlana Tichanowskajas am 5. März wie folgt: „[3][Litauen war und ist eine
Mauer, hinter der alle demokratischen Kräfte, die von Regimes verfolgt
werden, Schutz suchen können.] So kann sich jeder, der Zuflucht in Litauen
gefunden hat, sicher sein, dass er nicht an das Regime ausgeliefert wird,
vor dem er geflohen ist, weder wegen seines Kampfes um die Demokratie noch
für Rede- oder Religionsfreiheit. Und wir können dem belarussischen Regime
sagen, dass eher die Hölle gefriert, als dass wir auf seine Forderungen
eingehen.“
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
10 Mar 2021
## LINKS
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[2] /Vorbilder-fuer-Belarus/!5740995
[3] /Solidaritaet-mit-Belarus/!5748144
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Janka Belarus
## TAGS
Kolumne Notizen aus Belarus
Swetlana Tichanowskaja
Literatur
Belarus
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