# taz.de -- Rätseln um Verbleib von Alibaba-Gründer: Wo ist Jack Ma? | |
> Seit Oktober ist Chinas mächtigster Unternehmer nicht öffentlich | |
> aufgetreten. Viele mediale Spekulationen entbehren jedoch jeder | |
> Grundlage. | |
Bild: Alibaba-Gründer Jack Ma bei der Weltkonferenz für Künstliche Intellige… | |
PEKING taz | Mehr als ungewöhnlich ist es schon: Chinas reichster | |
Unternehmer Jack Ma ist auf keiner der angekündigten Pflichtveranstaltungen | |
zu sehen – weder bei der Jahreskonferenz der Handelskammer von Zhejiang, | |
noch beim Finale seiner höchstpersönlich ins Leben gerufenen Talentshow | |
„Africa's Business Heroes“. Dabei hatte der 56-Jährige noch auf Twitter | |
hinausposaunt, wie stark er sich auf den Fernsehdreh freuen würde. Apropos | |
Twitter: Mas letzter Post liegt [1][dort bereits knapp drei Monate zurück]. | |
Seit vergangenem Oktober ist der Gründer des Alibaba-Imperiums nicht mehr | |
öffentlich aufgetreten. Dabei liebt der exzentrische Entertainer durchaus | |
seine pompöse Selbstinszenierung, die von Karaoke-Konzerten bis hin zu | |
„Michael Jackson“-artigen Tanzeinlagen reicht. Viele Medien spekulieren | |
seither mehr oder weniger offen über den Verbleib Jack Mas. Das | |
spektakulärste Narrativ lautet, er sei von der kommunistischen | |
Staatsführung „aus dem Verkehr“ gezogen worden. | |
Fakt ist: Jack Ma, der [2][mit seinem e-commerce-Konglomerat Alibaba und | |
dem Mikrobezahldienst Alipay] die chinesische Gesellschaft nachhaltig | |
verändert hat, befindet sich derzeit unter strenger Beobachtung der | |
Regierung. Dabei stand er noch vor wenigen Monaten vor dem Coup seiner | |
Karriere: Der in Hongkong und Shanghai geplante Aktiengang seines | |
Fintech-Unternehmens Ant Group sollte mit 34 Milliarden US-Dollar der | |
größte in der Geschichte werden. Im letzten Moment jedoch [3][haben die | |
Behörden die Börsennotierung auf unbestimmte Zeit verschoben]. | |
Der Auslöser liegt höchstwahrscheinlich in einer überaus beachtenswerten | |
Brandrede Jack Mas begründet, die dieser Ende Oktober während einer | |
Wirtschaftsmesse in Shanghai hielt: Dabei sprach der Chinese von der | |
„Pfandleihmentalität“ der traditionellen Großbanken des Landes und griff | |
die Finanzaufsichtsbehörden ganz direkt an. „Wir können die Zukunft nicht | |
mit den Mitteln von gestern regulieren“, sagte Ma – während die Vorstände | |
ebenjener Finanzaufsichtsbehörden in der ersten Reihe des Publikums saßen. | |
Jener Affront sollte nicht ohne Folgen bleiben. | |
## Ant Group bekam Privilegien entzogen | |
Seither ermittelt die chinesische Regierung gegen Alibaba, es geht unter | |
anderem um die Monopolstellung, die das Internetunternehmen aufgrund seiner | |
riesigen Sammlung an Konsumentendaten verfügt. Zudem bekam die zum | |
Firmenimperium gehörende Ant Group einige Privilegien entzogen: Über einer | |
halben Milliarde Kunden hat Ant in der Vergangenheit bereits auf Grundlage | |
seiner Konsumentendaten Mikrokredite gegeben, wobei der Fintech-Konzern | |
trotz hoher Profite nur als Mittelsmann agierte. Die tatsächlichen | |
Kreditrisiken wurden an traditionelle Banken weitergegeben. Damit soll | |
jetzt Schluss sein: Ant wird künftig als gewöhnliche Bank reguliert und | |
nicht mehr als Tech-Unternehmen. Am Mittwoch kam von den USA aus noch | |
hinzu, dass dort Präsident Trump ein Dekret zum Verbot von acht | |
chinesischen Apps – darunter Alipay – erließ, was Peking wiederum prompt | |
„Schikane“ nannte. | |
Der Fall Jack Ma jedenfalls wird fast ausschließlich durch das Prisma des | |
rebellischen Unternehmers betrachtet, der letztendlich zu mächtig für den | |
politischen Paranoiker Xi Jinping geworden ist. Dabei liegt die | |
Angelegenheit durchaus diffiziler. Nicht wenige Politiker oder Leitartikler | |
– ganz gleich ob in Europa oder den Vereinigten Staaten -, die Jack Ma als | |
reines Opfer seines politischen Systems darstellen, wären gleichzeitig | |
heilfroh, wenn die umfassende Wirkungsmacht der Tech-Gurus aus dem Silicon | |
Valley á la Mark Zuckerberg eingeschränkt würde. | |
Das nun angeworfene Spekulations-Orakel erinnert zudem auffällig an jene | |
zwei Wochen im September 2012, als Xi Jinping „von der Bildfläche | |
verschwunden“ sei, wie etliche Medien einstimmig berichteten. Von einer | |
„Rückenverletzung beim nächtlichen Schwimmen“ kolportierte die | |
Nachrichtenagentur Reuters. Unseriöse Kollegen griffen die Gerüchte einer | |
chinesischsprachigen Homepage aus den USA auf, demnach der damals | |
59-Jährige Opfer eines „absichtlich herbeigeführten Autounfalls“ wurde. N… | |
etwa zwei Monate vor Xis erwarteter Wahl zum Generalsekretär der | |
Kommunistischen Partei Chinas schien ein Machtkampf hinter den Kulissen | |
durchaus plausibel. | |
Und natürlich begünstigt ein solch intransparentes System wie das | |
chinesische massiv Verschwörungstheorien. Von der Geschichtsschreibung in | |
den Schulbüchern über wissenschaftliche Publikationen zu „sensiblen“ Them… | |
bis hin zu Kleinstmeldungen der Tageszeitungen wird praktisch alles von den | |
Zensurbehörden der Kommunistischen Partei kontrolliert. | |
## Kontrollwut hinterlässt Vakuum | |
Zwar gibt es durchaus gewisse Freiheiten, doch der Rahmen dafür wird immer | |
enger abgesteckt. Jene Kontrollwut des Informationsflusses hinterlässt ein | |
Vakuum, das meist mit Misstrauen gefüllt wird: Stimmen die hervorragenden | |
Corona-Infektionszahlen Chinas wirklich, oder frisiert der Staat seine | |
Statistiken, wie er es schon etliche Male bei seinen Wirtschaftsdaten tat? | |
Ist Jack Ma von der Partei hopsgenommen worden, oder hält er sich nur | |
bedeckt? | |
Tatsächlich ist es Chinas Staatsführung zuzutrauen, dass sie mächtige | |
Männer verschwinden lässt – meist wegen Korruptionsvorwürfen, die sich | |
nicht unabhängig überprüfen lassen. Erst vor wenigen Tagen wurde Lai | |
Xiaomin, ehemaliger Vorstand eines der größten Staatsunternehmen, zum Tode | |
verurteilt. | |
Bei Jack Ma hingegen scheint eine ganz plausible Erklärung einleuchtender: | |
Wer derart drastische Niederlagen einstecken musste, darunter das Scheitern | |
des größten Börsengangs in der Geschichte, ist vielleicht gut darin | |
beraten, sich erst einmal aus der Öffentlichkeit zurückzuhalten. Auch | |
menschlich wäre es allzu verständlich, dass Ma derzeit nicht gerade der | |
Sinn nach Auftritten in Fernsehshows oder Jahreskonferenzen steht. | |
6 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/JackMa | |
[2] /Chinesischer-Onlinehaendler-expandiert/!5572389 | |
[3] /Geplatzter-Boersengang-der-Ant-Group/!5726501 | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
## TAGS | |
Online-Shopping | |
Onlinehandel | |
China | |
Medien | |
Alibaba | |
China | |
Online-Shopping | |
China | |
Alibaba | |
KP China | |
Online-Shopping | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schlag gegen Fahrdienstvermittler Didi: China drangsaliert Uber-Klon | |
Peking geht gegen seine Tech-Branche vor: Zuerst traf es das Onlineimperium | |
Alibaba, nun ist der Fahrdienstvermittler Didi dran. | |
Chinas Kartellbehörde bestraft Alibaba: Auf dem Kieker der Wettbewerbshüter | |
Alibaba-Gründer Jack Ma steht unter Druck: Erst platzt der Börsengang | |
seiner Finanztochter, und jetzt muss seine Handelsplattform auch noch eine | |
hohe Geldbuße zahlen. | |
Corona kehrt nach China zurück: Vorboten einer zweiten Welle | |
In China wütet der größte Infektionscluster seit fünf Monaten. Trotz | |
rascher Maßnahmen der Behörden steigen die Fallzahlen weiter. | |
Singles’ Day in China: Kaufrausch mit Schattenseiten | |
Der Singles’ Day ist Chinas größtes Shopping-Festival – und eine | |
Belastungsprobe für Millionen Kuriere. Die Rabattschlacht geht auf ihre | |
Kosten. | |
Geplatzter Börsengang in China: Eine Machtdemonstration | |
Der Börsengang der chinesischen Ant Group dürfte im zweiten Anlauf | |
gelingen. Doch auch Milliardäre werden im autoritären China immer mehr | |
eingegrenzt. | |
Kommentar Alibaba expandiert: Zur Kooperation gezwungen | |
Der chinesische Online-Gigant Alibaba bastelt an einem weltweiten | |
Logistiknetz. Das ist vor allem eine Kampfansage an Hermes und DHL. |