# taz.de -- Höfesterben in der Landwirtschaft: Viele Bauern haben selbst Schuld | |
> Die Landwirtschaft muss weniger produzieren, damit sie bessere Preise für | |
> ihre Produkte bekommt. Dann kann sie auch mehr für Umwelt und Tiere tun. | |
Bild: Tatsächlich gaben von 2007 bis 2019 rund 17 Prozent der Höfe in Deutsch… | |
Wut und Verzweiflung treiben viele Bauern in diesen Monaten auf die | |
Barrikaden. Sie blockieren mit ihren Traktoren Lager von Supermarktketten | |
wie Aldi oder Lidl. Sie laden frühmorgens Heuballen vor dem Haupteingang | |
eines Ministeriums ab. Manche hissen die schwarze Fahne mit Pflug und | |
Schwert einer Bauernbewegung, die in den 1920er Jahren mehrere | |
Bombenanschläge verübte. Alle protestierenden Bauern klagen, sie würden zu | |
wenig verdienen und müssten deshalb immer mehr Höfe schließen. | |
Tatsächlich gaben von 2007 bis 2019 laut amtlicher Statistik [1][17 | |
Prozent] der Höfe in Deutschland auf. Jetzt bleiben nur noch 266.000 – | |
Tendenz: fallend. Der wichtigste Grund dürfte die oft schlechte | |
wirtschaftliche Lage sein. Seit 2005 betrug das durchschnittliche | |
Nettobetriebseinkommen aus Agrartätigkeiten pro Arbeitsstunde der | |
EU-Statistikbehörde zufolge je nach Jahr [2][nur 24 bis 84 Prozent] dessen, | |
was in der Gesamtökonomie verdient wurde. | |
Deshalb müssen manche Höfe schließen, wenn der Staat oder der Handel ihnen | |
mehr Umwelt- oder Tierschutz als bisher abverlangt. Denn es kostet eben | |
meist mehr, beispielsweise Schweine mit Auslauf im Freien statt nur im | |
Stall zu halten. | |
Doch das kann kein Argument sein, auf strengere Vorschriften zu verzichten. | |
Denn sie sind dringend notwendig: In der konventionellen Landwirtschaft | |
kommt das meiste Vieh nie an die frische Luft. Die Branche verursacht dem | |
bundeseigenen Thünen-Agrarforschungsinstitut zufolge rund 14 Prozent des | |
Treibhausgasausstoßes in Deutschland. Und es mehren sich die Hinweise | |
darauf, dass die Landwirtschaft maßgeblich für das Insektensterben | |
verantwortlich ist. | |
Die Bauern müssen also zum Beispiel weniger Tiere halten, um die | |
Umweltbelastung zu reduzieren. Dann werden sie nicht mehr die Hälfte ihrer | |
Schweinefleischproduktion exportieren können, sondern fast nur noch für den | |
Binnenmarkt produzieren. Das ist auch wirtschaftlich sinnvoll. Denn | |
Bauernhöfe im Hochlohnland Deutschland können langfristig einfach nicht | |
gegen Konkurrenten etwa in China bestehen. In der Volksrepublik wird | |
gerade die größte Schweinefarm der Welt gebaut: In 21 Gebäuden sollen pro | |
Jahr insgesamt [3][2,1 Millionen Schweine] „produziert“ werden. Derartige | |
Größenordnungen mit ihren Kostenvorteilen sind in Deutschland völlig | |
illusorisch. | |
Wenn die Bauern in der EU weniger produzieren, schrumpft das Angebot. Die | |
Angst, dass Nicht-EU-Länder mehr nach Europa exportieren würden, ist wegen | |
der hohen Importzölle unbegründet. Am Ende würden die Preise etwa für | |
Fleisch steigen. Dann hätten die Bauern auch mehr Geld dafür, ihre Tiere | |
artgerechter zu halten, etwa auf Stroh und ohne Amputationen, um sie an die | |
Ställe anzupassen. Ackerbauern könnten zum Beispiel weniger Pestizide und | |
Dünger verwenden sowie mehr Fläche für Artenvielfalt zur Verfügung stellen. | |
Diesen Wandel muss der Staat durch strengere Vorschriften initiieren, damit | |
die Höfe mit niedrigeren Billigstandards nicht die ausstechen, die bereits | |
umwelt- und tierfreundlicher arbeiten. Am besten macht das die EU, | |
angeschoben durch die einflussreiche Bundesregierung. Aber Deutschland | |
sollte nicht auf Europa warten, sondern auch allein vorangehen. | |
Agrarministerin Julia Klöckner muss endlich eine Tierwohlabgabe auf den | |
Weg bringen: Auf jedes in Deutschland verkaufte Kilogramm Fleisch würde | |
eine Abgabe fällig, mit der Landwirte dann ihre höheren Kosten ausgleichen | |
könnten. Aus Gerechtigkeitsgründen muss im Gegenzug der Hartz-IV-Satz | |
erhöht werden. | |
Ganz ohne die Verbraucher zu belasten, könnte die EU ihre jährlich rund 55 | |
Milliarden Euro Agrarsubventionen nutzen, um die Landwirtschaft | |
zukunftsfest zu machen. Bisher bekommen die Bauern das meiste Geld pro | |
Hektar Fläche, weitgehend unabhängig davon, wie sie ihn bewirtschaften. | |
Dieses System verstärkt die Größenvorteile riesiger Betriebe und fördert | |
kaum umweltfreundliches Wirtschaften. Das wäre anders, wenn die EU das Geld | |
nur für konkrete Umwelt- und Tierschutzleistungen zahlen würde. | |
## Zuschüsse der Agrarministerin helfen kaum | |
Klöckners Antworten sind völlig ungenügend. Sie lässt den Bauern derzeit 1 | |
Milliarde Euro auszahlen, damit sie sich zum Beispiel Geräte kaufen, mit | |
denen sich Dünger genauer und effizienter ausbringen lässt. Zudem stellt | |
der Bund 2020 und 2021 insgesamt 300 Millionen Euro für den Umbau zu | |
tierfreundlicheren Ställen zur Verfügung. Das ist nur ein Tropfen auf den | |
heißen Stein: Berater des Agrarministeriums haben einen Bedarf von [4][3 | |
bis 5 Milliarden Euro pro Jahr] errechnet. Auch die von Klöckner | |
mitgestaltete Reform der EU-Agrarsubventionen wird nicht viel bringen. Zwar | |
erlaubt sie den Mitgliedstaaten, ihren Bauern größere Gegenleistungen für | |
die Umwelt abzuverlangen, aber diese Möglichkeit werden sie kaum nutzen, um | |
nicht die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Landwirte gegenüber derer anderer | |
EU-Staaten zu gefährden. | |
In die Irre führt auch Klöckners Rhetorik gegen die Supermarktketten, die | |
sie vom Bauernverband übernommen hat. Nicht die Händler haben das Problem | |
der Bauern verursacht. Wenn eine Kette nicht den für sie bestmöglichen | |
Preis aushandeln würde, unterläge sie irgendwann ihren Konkurrenten. | |
Verantwortlich sind die Landwirte selbst, die mehr produzieren, als sie zu | |
guten Preisen verkaufen können. | |
Die Mehrheit der Bauern will auch keine Agrarwende zum Prinzip Klasse | |
statt Masse. Das belegt vor allem die Tatsache, dass die meisten immer noch | |
CDU/CSU oder FDP wählen. Also genau die Parteien, die jahrzehntelang die | |
Bauern mit ihrer Exportpropaganda auf den Holzweg geführt haben. Diese | |
Bauern sollten die Schuld an ihrer Misere weniger bei anderen suchen als | |
bei sich selbst – und daraus bei den nächsten Wahlen Konsequenzen ziehen. | |
22 Jan 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bauernverband.de/situationsbericht/3-agrarstruktur-1/33-betrieb… | |
[2] https://agridata.ec.europa.eu/extensions/IndicatorsSectorial/AgriculturalEn… | |
[3] https://www.reuters.com/article/us-china-swinefever-muyuanfoods-idUSKBN28H0… | |
[4] /Gutachter-zu-Massentierhaltung/!5015183 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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