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# taz.de -- Beschwerden über Schul-Lockdown: Die Pandemie der anderen
> Elterninitiativen beklagen die Zumutungen des Schul-Lockdowns in Hamburg.
> Dabei zeigen sie einen bemerkenswert engen Horizont. Eine Polemik.
Bild: Führt zu viel Unwillen: Lockdown in der Schule
„Wir unterstützen, dass alle einen angemessenen Beitrag im Kampf gegen
Covid-19 leisten müssen. Aber es muss klar gesagt werden, dass viele Kinder
und Familien keinen weiteren Beitrag mehr tragen können“, so heißt es in
einer gemeinsamen Mitteilung der Initiativen „[1][Familie in der Krise]“
und „[2][Kinder brauchen Kinder]“ zum Hamburger Schul- und Kita-Lockdown.
Dass dieser ohnehin ein sonderbar unentschiedener
[3][Wer-will-der-kommt-Lockdown] ist, ist dabei nur eine Fußnote.
Interessant ist das große „Aber“ jener, die hier stellvertretend für alle
möglichen Eltern und Kinder zu sprechen scheinen. Mag sein, so
argumentieren sie, dass andere in dieser Pandemie einen Beitrag zahlen
müssen – sie sind jetzt aus dem Spiel.
Wir sprechen derzeit über zehn zusätzliche Tage ohne Kita- und
Schulbetreuung – aber was für ein Pathos. „Der Alltag wird erneut von heute
auf morgen aus den Angeln gehoben“, sagt Anna-Maria Kuricová,
Mitbegründerin von „Familien in der Krise Hamburg“. Ja, denn wir erleben
gerade eine Pandemie, da passiert so etwas, möchte man rufen.
Dabei unterschlagen die Initiativen eine nähere Beschreibung des Beitrags,
den man nicht länger leisten kann. Abgewetzte Nerven, hausinternes Geschrei
fügt sich nicht so gut in die heroische Tonlage, die da angeschlagen wurde.
Die hätte gepasst, wenn sich hier Menschen zu Wort gemeldet hätten, die in
Altenheimen und Krankenhäusern arbeiten. So ist es eine beredte Leerstelle.
Ach ja, der Disclaimer: Natürlich war und ist der Lockdown für viele
Familien besonders herausfordernd. Vor allem für Alleinerziehende oder für
Eltern von Kindern mit Behinderung. Es war und ist richtig auf jene zu
verweisen, die besonders hart getroffen sind und die die Politik anfänglich
oder gar nicht in den Blick genommen hat. Ende des Disclaimers.
## Lernziel Solidarität
Was einen je nach Tagesform sprachlos oder cholerisch macht an den
Forderungen und Sorgen der Elterngruppe, die sich hier äußert, ist die Enge
des Blickfelds. Man könnte es für ein Detail halten, aber es ist keines:
Eine Sorge, die sie umtreibt, ist die neu verordnete Maskenpflicht für
Grundschüler. „Eine Vorwarnung, dass diese Beschlüsse auch in Hamburg
aufgehoben werden, wäre wichtig gewesen, um die jüngeren Kinder darauf
vorzubereiten“, sagt Anna-Maria Kuricová von der Hamburger Gruppe „Famili…
in der Krise“. Ja, es wäre schön gewesen.
Aber wenn einem Kind in einer Pandemie nichts Schlimmeres zustößt, als dass
es nur kurzfristig vorbereitet eine Maske trägt, dann kann man es nur
beglückwünschen. Und vielleicht ist es auch schlicht so, dass sie früher
als zu anderen Zeiten lernen, was Rücksicht bedeutet und dass man die
eigene Komfortzone gelegentlich zurückstutzen muss.
„Schulen und Kitas sind keine Pandemietreiber“, schreiben die Initiativen
und betreten damit unsicheres Terrain. Noch immer ist die Forschungslage
ungesichert und sicher ist zumindest, dass die Inzidenz bei den 15- bis
20-Jährigen deutlich steigt. Zu einfach sollte man es sich da nicht mit
Pauschalisierungen machen, wenn man kurz danach darauf pocht, dass der
Hybridunterricht nur für ältere SchülerInnen gelten sollte, weil die
jüngeren ja kaum Anteil am Infektionsgeschehen hätten.
Wie kann man gesamtgesellschaftliche Solidarität einfordern und dann einen
Horizont entwickeln, der abrupt endet, sobald der eigene Alltag organisiert
ist – und nicht begreifen, dass man Teil einer Gesamtheit ist, und sei es
nur, weil man selbst irgendwann im Pflegeheim sitzen wird – da, wo gerade
das Personal für die dringend gebrauchten Tests fehlt. Es gibt andere
Lobbyvereine, die jetzt aufschreien. Es gibt massenweise Klagen gegen
Geschäftsschließungen. Es gibt Verantwortliche, die bis vor kurzem
Sonntagsöffnungen für Einkaufszentren durchdrücken wollten.
Ja, es geht immer schlimmer. Aber es geht auch besser. Die Intendantin des
Hamburger Theaters Kampnagel sagte unmittelbar nach dem zweiten Lockdown
für die Kulturszene: Natürlich tragen wir ihn mit. Sie sagte nicht: Aber
wir wollen trotzdem öffnen. Sie sagte nicht: Wir wollen spätestens in zwei
Wochen wieder öffnen. Sie überlegte, ob auch die freien MitarbeiterInnen
des Hauses finanziell unterstützt werden könnten.
## Schlechtes Timing
Mag sein, dass es hier vor allem um Timing geht. Anna-Maria Kuricová von
den „Familien in der Krise“ ruft spät zurück, weil sie noch ein Kind
mitgenommen hat, dessen Eltern im Schichtdienst arbeiten und das deswegen
unversehens eine Betreuung brauchte. Es gehe darum, für die Zeit nach dem
10. Januar vorzusorgen, sagt sie.
Das ist legitim. Aber in Zeiten, wo völlig zurecht viel von Solidarität die
Rede ist, sind die Details wichtig. Was man beklagt und was man hinnimmt.
Wie eng man die Grenzen des Zumutbaren zieht. Und da kann man sich gar
nicht weit genug abgrenzen von den Sonntagsöffnern & Co.
16 Dec 2020
## LINKS
[1] https://www.familieninderkrise.com/
[2] http://kinder-brauchen-kinder.org/
[3] /Schulsenator-Rabe-zum-Lockdown/!5733760
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Lockdown
Schule
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