# taz.de -- Villa Liebermann in Berlin: Berlin, Tiergartenstraße 16 | |
> Die ursprüngliche Villa Liebermann war Sitz des „Reichsverbands der | |
> Deutschen Presse“. In der NS-Zeit wurde der Verein gleichgeschaltet. | |
Bild: 1930 angebracht über dem Eingang: „Der deutschen Presse“ | |
„Britische Terrorflieger nutzten die für sie günstigen Wetterverhältnisse | |
zu einem erneuten Terrorangriff auf die Reichshauptstadt aus“, gab das | |
Oberkommando der Wehrmacht Ende Januar 1944 bekannt. Der Angriff zerstörte | |
auch das Gebäude in der Tiergartenstraße 16, das sogenannte „Haus der | |
deutschen Presse“, einst errichtet von Adolf Liebermann, einem vermögenden | |
Kaufmann und Onkel des Malers Max. Das Grundstück lag nach dem Krieg lange | |
brach; erst in den 1990er Jahren wurde es wieder bebaut: teils durch die | |
Botschaft Indiens, teils durch die Landesvertretung Baden-Württembergs. | |
Es gab Kraftbrühe, Schleie blau, gespickte Kalbsnuss, „Presse-Bombe“ und | |
Käseplatte, als das „Haus der Presse“ am 28. März 1930 in der alten Villa | |
Liebermann eröffnet wurde. Die Idee für so ein Haus, das von nun an Sitz | |
des Reichsverbandes der deutschen Presse (RDP) war, war damals schon länger | |
im Gespräch. Erst unter Kanzler Hermann Müller kam 1928 der Durchbruch – | |
und auch Geld. So wurde es möglich, die 1870/71 errichtete, aber schon | |
länger verfallende Villa umzubauen und herzurichten. Christian Heidecke, | |
ein im Tiergartenviertel gerne beauftragter Architekt großbürgerlicher | |
Villen, hatte das Ursprungsgebäude geplant. Aus dem über zwei Etagen | |
gehenden Festsaal, der Adolf Liebermann als Galerie für seine Kunstsammlung | |
gedient hatte, wurde ein Saal für Veranstaltungen aller Art. | |
In den meisten Räumen wurden die Decken um fast zwei Meter abgehängt, weil | |
die über hohen Zimmer der Gründerjahre nicht mehr dem Zeitgeist entsprachen | |
– und weil man so Platz für eine Lüftungsanlage fand. Überhaupt wurde das | |
Haus durchgreifend, wenn auch mit bescheidenen Mitteln modernisiert. | |
Zahlreiche Gemälde – darunter eine Darstellung des Brandenburger Tors von | |
Hans Baluschek, ein Geschenk der Stadt Berlin – schmückten die Wände. Im | |
Wintergarten stand ein Brunnen, in dem sich „als drolliges, mit | |
unbekümmerter Selbstironie gewähltes Symbol des Zeitungswesens eine | |
Bronze-Ente“ (Osborn) erhob. | |
Drei Tage nach der Eröffnung gab es am 31. März noch eine Einweihung: | |
Reichstagspräsident Paul Löbe, Preußens Ministerpräsident Otto Braun, | |
Minister, Staatssekretäre, Diplomaten, Kirchenvertreter. Reichspräsident | |
Paul von Hindenburg hatte telegrafiert; Vizekanzler Hermann Dietrich, | |
Oberbürgermeister Arthur Scholtz und der Vorsitzende des RDP, Georg | |
Bernhard, hielten Reden, die der Rundfunk übertrug. Bernhard nannte das | |
Haus „ein Haus der Kameradschaft, in dem Journalisten aller | |
Weltanschauungen und aller politischen Richtungen zusammen für die | |
gemeinsamen Interessen des Standes arbeiten und sowohl die wirtschaftlichen | |
als auch vor allem die ethischen Postulate ihres Berufes fördern und | |
hochhalten sollten“. | |
## Die Gründungsfeier | |
Bernhard war schon bei der Gründung des Verbandes dabei, und er war seine | |
auf Dauer wahrscheinlich wichtigste Stimme, zumal seit 1928, als er zum | |
Vorsitzenden gewählt wurde. Allerdings ist das Jahr 1930 für Bernhard – und | |
wohl auch für den Reichsverband – der Höhepunkt seiner Entwicklung. | |
Bernhard verstrickt sich im Ullstein-Verlag in eine dämliche Intrige, die | |
ihn den Job und – wegen seines Wechsels in die Kaufhausbranche – auch den | |
Vorsitz im Verband kosten wird. Der Verband selbst hat eine beachtliche | |
Erfolgsgeschichte, aber nur noch drei Jahre bis zur Gleichschaltung durch | |
die Nationalsozialisten. | |
Der Gründungsfeier am 20. November 1910, also vor ziemlich genau 110 | |
Jahren, folgten zehn Jahre, in denen der Berufsverband zwar schon einen | |
gewissen Ruf erlangte, aber organisatorisch auf Sparflamme köchelte. Der | |
Monatsbeitrag war niedrig, ein eigenes Büro gab es so wenig wie eigenes | |
Personal. Immerhin: Das preußische Parlament debattierte im Frühjahr 1918, | |
also zu Kriegs- und Kaiserzeiten, ob der Presse nicht ein – oder gar drei – | |
Sitze im Herrenhaus zustünden. | |
1919 dann der Sprung nach vorne: Der Beitrag wurde von einer Reichsmark | |
(RM) je nach Gehalt auf vier, acht oder zehn RM monatlich erhöht, ein Büro | |
in der Reichshauptstadt eingerichtet und ein Generalsekretär berufen. Jetzt | |
sah man sich auch als Gewerkschaft: Der Entwurf eines Reichstarifs | |
begrenzte die Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden, regelte Urlaub ebenso wie | |
Witwengeld und stellte männliche und weibliche Redakteure im Gehalt gleich. | |
Die Einigung mit den Verlegern kam zwar erst 1923, eine Einigung über | |
reichsweit einheitliche Löhne aber nie. 1926 konnte die heute noch | |
bestehende Versorgungsanstalt der Presse eingerichtet werden, die | |
Altersversorgung für Journalisten. Der Verband bot inzwischen Rechtsschutz, | |
vermittelte Stellen und kümmerte sich um Plätze in Ferienheimen. | |
An der Fassade der Villa Liebermann wurde 1930 eine beleuchtete Schrift | |
angebracht: „Der deutschen Presse“. Das ähnelt der Widmung „Dem deutschen | |
Volke“, die – einen Spaziergang entfernt – am Reichstag prangt. Nicht nur | |
Georg Bernhard war dort zeitweilig Abgeordneter, seine Vorgänger im | |
Vorsitz, Heinrich Rippler und Paul Baecker, waren es auch. Sein politisches | |
Gewicht verdankte der Journalistenverband größtenteils dem Einfluss seiner | |
Mitglieder. Eine „Sozial-Enquête“ unter den gut 3.600 Beitragszahlern | |
zeigte 1927, dass der RDP nicht nur schlecht verdienende Redakteure in der | |
Provinz organisierte, sondern auch das publizistische Führungspersonal der | |
Weimarer Republik: Mehr als 20 Prozent der Mitglieder waren Chefredakteure, | |
darunter neben Bernhard – als heute noch Prominentestem – Theodor Wolff vom | |
Berliner Tageblatt. | |
## Der gleichgeschaltete RDP | |
Wolff und Bernhard waren sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, aber | |
[1][beide waren Juden und Journalisten]. Am 10. Mai 1933 wurden ihre | |
Schriften verbrannt – verbunden mit dem „Feuerruf“: „Gegen volksfremden | |
Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung, für verantwortungsbewusste | |
Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus! Ich übergebe der Flamme die | |
Schriften von Theodor Wolff und Georg Bernhard.“ | |
Zu diesem Zeitpunkt war der RDP schon gleichgeschaltet. Ende März hatte | |
Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels die Spitze des RDP einbestellt, um | |
mit ihr die Eingliederung des Verbandes „in den neuen Staatszustand“ zu | |
erörtern. Kurz darauf wurde der Pressechef der NSDAP, Otto Dietrich, | |
einstimmig zum Vorsitzenden gewählt und beschlossen, dass Juden und | |
Marxisten nicht mehr Mitglied sein dürften. Drei Berliner Delegierte, | |
darunter der Zeitungswissenschaftler Emil Dovifat, erklärten, dass sie | |
angesichts der Mehrheitsverhältnisse darauf verzichten, ihre | |
grundsätzlichen Bedenken gegen den Arier-Paragrafen geltend zu machen, dass | |
sie aber nicht vergessen würden, dass gerade der Reichsverband der | |
Tätigkeit dieser Kollegen viel zu danken habe. | |
Der Verband hatte lange die Einrichtung von Pressekammern – in Anlehnung an | |
Ärzte- und Architektenkammer – gefordert. Jetzt erfüllte sich in perverser | |
Weise der Wunsch: Der RDP wurde der neu geschaffenen Reichspressekammer | |
angeschlossen und sorgte fortan für die Säuberung des Berufsstandes. Nach | |
dem von Goebbels am 4. Oktober 1933 vorgestellten neuen Schriftleitergesetz | |
konnte den Beruf nur noch ausüben, wer arischer Abstammung war. Das zu | |
überprüfen wurde nun Aufgabe des RDP. | |
Das Haus am Tiergartenrand blieb ein wichtiger Veranstaltungsort: Als die | |
deutschen Agfa-Werke 1936 den weltweit ersten Farbumkehrfilm vorstellten, | |
geschah es hier. Und als die Schlacht von Stalingrad schon längst begonnen | |
hatte, wurde im „Haus der Presse“ noch munter musiziert. | |
8 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Christian Walther | |
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