# taz.de -- Kunst des Alltags im winterlichen Park: Stille Häuschen | |
> Zum Schutz vor dem Winter haben die Skulpturen im Park eine Hülle aus | |
> Holz bekommen. Uns Menschen geht es anders: Wir wollen gesehen werden. | |
Bild: Auch vorne wird noch dicht gemacht: Skulptur im Park von Sanssouci bei de… | |
Im Park sind jetzt die Skulpturen verhüllt. Personen, die Großes | |
geschrieben oder komponiert haben, im Frühling und Sommer standen sie immer | |
da. Gesichter, die mir im Vorbeilaufen vertraut wurden. | |
Jetzt stehe ich wieder im Park und muss fast lachen. Um Liszt herum ist ein | |
kleines Häuschen gebaut, Parkmitarbeiter haben einen Bretterkasten um ihn | |
genagelt und ein spitzes Dach daraufgesetzt. Um Shakespeare ist eine | |
maßgeschneiderte Schutzhülle gegossen. Die Figuren sind verpackt worden für | |
den Winter. Sie liegen wie in Sarkophagen, Särgen, die sie die Zeit | |
überstehen lassen sollen. Mich rührt das, wie das jemand gebaut haben muss, | |
Holz geschnitten und Formen gegossen, um die Steine vor der Kälte zu | |
schützen. Auch das Harte ist verwundbar. | |
Ich weiß nicht warum, aber ich stehe jetzt häufiger vor den Häuschen als | |
vor den Skulpturen früher. Die Schneckenhäuser der Skulpturen, für mich | |
sind sie sind fast die größere Kunst. Etwas liegt hier wie im Schlaf. In | |
einer Winterruhe. Die Skulpturen haben Pause. Das Verpackte, Verborgene auf | |
unbestimmte Zeit lässt etwas in mir ruhig werden. Die Häuschen sind so | |
still. | |
Die Skulpturen wollten so viel oder die Künstler, die sie geschaffen haben. | |
Sie riefen mich an, sie wollten eine Empfindung. Aber in diese Häuschen hat | |
keiner etwas Besonderes hineingedacht. Sie sind entstanden, um etwas zu | |
beschützen. Kunst des Alltags. Ich darf in sie ganz eigene Gedanken legen. | |
Es ist, als verkörperten die Häuschen die introvertierte Seite von | |
Shakespeare und Liszt. Das Wesen, das zurückgezogen in ihnen lag. Nicht der | |
öffentliche Mensch. Das private, eigene Ich. So wie Menschen sind, wenn sie | |
allein sind und sich von niemandem beobachtet fühlen. | |
Wie es ihnen jetzt wohl geht, den Skulpturen, versteckt unter ihren Hüllen? | |
Vielleicht sind sie ja auch von etwas befreit. Es gibt noch nicht einmal | |
ein Namensschild mehr, das auf ihre Existenz verweist. Wer sie vorher nicht | |
kannte, weiß nicht, wer hier Großes liegt. Sie müssen nun nichts | |
darstellen, sich nicht mehr betrachten lassen. Sie haben die Erlaubnis, | |
still zu sein, und läuten damit auch für uns einen Winter ein. Es ist schön | |
im Park im Winter, in der kargen Stille, in der sich die Reize | |
verschließen. Die kalte, klare Luft ist hier nun das eindrücklichste | |
Element von allen. | |
Als ich weiterlaufe, sehe ich schon von weitem eine Frau. Sie trägt eine | |
weinrote Baskenmütze, einen Zopf. Im Vorbeigehen spricht sie mich plötzlich | |
an. Zwei Sätze, so klar, betont und ärgerlich, als hätte sie als | |
Bühnenschauspielerin nun ihren Auftritt: „Sie können mich anschauen! Was | |
würden sich andere fragen.“ | |
Ich schrecke zusammen, laufe starr an ihr vorbei. Was sagte sie? Ihre Sätze | |
klingen wie ein Rätsel nach: „Sie können mich anschauen. Was würden sich | |
andere fragen.“ Ja, sie hat mich ertappt. Ich sah sie nicht. Und ich wollte | |
sie auch gar nicht sehen. Bis sie mich anschrie. Aber ich bin ja im Park. | |
Ich muss mir doch nicht zu jedem etwas fragen müssen. | |
„Was würden sich andere fragen?“ Ich denke an die anderen, die auf der | |
Straße laut sind. Der Mann auf der Mönckebergstraße, der mit nacktem | |
Oberkörper in der Kälte Rocklieder sang, bis ihn die Polizei anhielt, weil | |
er keine Maske trug. Da fragen sich viele nichts mehr, da lächeln sie, als | |
hätten sie alle Antwort gefunden. | |
Ja. Was würden sich andere fragen. Als ich aus dem Park laufe, höre ich | |
hinter mir wieder die Frau. Sie hat nun einen Radfahrer angesprochen, der | |
schnell vor ihr davonfährt. Was sollte er sich fragen? | |
Vielleicht fühlt sich die Frau ja wie die Skulptur in einem Häuschen. Wir | |
sehen nicht, was unter ihrer Hülle liegt. Wir blicken nicht durch. Aber sie | |
sehnt sich danach. Was fragen wir uns über andere durch das hindurch, was | |
sie umhüllt? Vielleicht sind sie ja Shakespeare oder Liszt, wer weiß es | |
schon? Doch an diesem Tag im Park denke ich: Um jeden von uns Menschen | |
liegt so ein Häuschen. Doch der Fehler ist zu meinen, dass andere unsere | |
innere Skulptur sehen und befragen müssten. Dass in ihr unser Eigentliches | |
liegt. Die Skulptur ist nicht der Kern. Wir sind nicht erst dann da, wenn | |
sich andere etwas zu uns fragen. Wir sind immer da. Es wird erst schlimm, | |
wenn wir auf die Fragen der anderen warten. | |
13 Dec 2020 | |
## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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