# taz.de -- Getöteter Feuerwehrmann in Augsburg: Ein Schlag und seine Folgen | |
> Im Dezember 2019 stirbt ein Feuerwehrmann auf dem Nachhauseweg vom | |
> Augsburger „Christkindlesmarkt“. Alle meinen, die Täter zu kennen – bis | |
> ein Gericht seine Arbeit macht. | |
Bild: Feuerwehrleute trauern um ihren verstorbenen Kollegen | |
Was wäre gewesen, wenn …? | |
Meistens bringt eine solche Frage nicht viel, wenn etwas vorbei ist. In | |
meiner Heimatstadt Augsburg wurde vor einem Jahr, am 6. Dezember 2019, | |
einem Freitagabend, ein Mann erschlagen. Sieben junge Männer zwischen 17 | |
und 20 Jahren kamen daraufhin in Untersuchungshaft. Dem Hauptverdächtigen | |
wurde Totschlag, den sechs anderen Beihilfe zum Totschlag vorgeworfen. | |
Dabei hätte dank Videoaufnahmen schon zu Beginn der Ermittlungen klar sein | |
müssen, dass bei dieser Tat kein Vorsatz – der für einen „Totschlag“ | |
erforderlich ist – vorlag; und, dass sechs der sieben Verdächtigten am Tod | |
des Mannes unbeteiligt waren. | |
Warum es in dem Fall zu einem [1][enormen Medienrummel] und zu juristischer | |
Verwirrung kam, lässt sich daher vielleicht doch am besten beantworten, | |
wenn man fragt: Was wäre gewesen, wenn …? | |
## 1 … das Opfer kein Feuerwehrmann gewesen wäre? | |
Der Augsburger Fall hat international Schlagzeilen gemacht. Dabei war eines | |
zentral: der Beruf des Opfers. Warum? | |
„Die Tat in der Vorweihnachtszeit hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. | |
Da der Getötete bei der Berufsfeuerwehr in Augsburg gearbeitet hatte, | |
gedachten auch Mitglieder zahlreicher anderer Feuerwehren bundesweit dem | |
Opfer. Zum Zeitpunkt der Tat war der Mann privat unterwegs.“ (dpa) | |
Wer schon einmal in einem Newsroom gearbeitet hat, weiß, dass eine Meldung | |
über ein lokales Ereignis bundesweit nur so viel wert ist wie das Bild | |
dazu. In diesem Fall ist das Bild News-Gold wert: Über 100 „Kamerad:innen“ | |
– so nennen sich die Mitglieder der Feuerwehren untereinander – stehen am | |
Sonntag nach der Tat am Tatort zusammen, Arm in Arm um einen Baum herum, an | |
dem sie Kränze niedergelegt und Kerzen angezündet haben. Alle tragen | |
Uniform. | |
Welche mediale Aufmerksamkeit hätte der Fall ohne dieses Bild erhalten? | |
Außerhalb von Bayern wahrscheinlich keine. Hinzu kommt, was das Bild | |
unterschwellig transportiert. Auf den Punkt bringt das die Verteidigerin | |
der Witwe des Opfers, die im Prozess als Nebenklägerin auftrat. Sie sagt in | |
ihrem Plädoyer: „So etwas bestürzt, ganz besonders, wenn einer von den | |
Guten stirbt.“ | |
## 2 … die jungen Männer einen anderen sozialen Background hätten? | |
Wenn ein Guter stirbt und ein anderer daran schuld ist, muss der andere ein | |
Böser sein. So kennen wir es aus Literatur und Film. In der Realität und | |
auch im deutschen Strafrecht ist es nicht ganz so einfach. Das scheinen die | |
Augsburger Ermittler:innen im Rausch ihres „schnellen und herausragenden | |
Fahndungserfolgs“ vergessen zu haben. | |
Den vermeintlichen Erfolg [2][lobt am Montag nach der Tat Polizeisprecher | |
Michael Schwald in einer Pressekonferenz.] Der Druck der Öffentlichkeit ist | |
zu diesem Zeitpunkt bereits gewaltig. Schwald bittet um Verständnis dafür, | |
dass man aus ermittlungstaktischen Gründen nicht alle Informationen zu den | |
Tatverdächtigen sofort herausgegeben habe. Er meint damit Informationen zu | |
ihrem Aufenthaltsstatus und einem etwaigen Migrationshintergrund. Man habe | |
deshalb in den sozialen Medien „unerträgliche Anfeindungen“ zur Kenntnis | |
nehmen müssen. | |
Die Ermittler:innen betonen wiederholt, wie wichtig bei der Aufklärung der | |
Tat die Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras gewesen seien. | |
Tatsächlich haben die Aufzeichnungen in diesem Fall einen wertvollen | |
Beitrag geleistet: Sie haben die haltlose Geschichte entlarvt, die die | |
Ermittler:innen der Öffentlichkeit zunächst präsentierten. Die Geschichte, | |
in der das „Umringen“ des Mannes zentral ist, obwohl es gar nicht | |
stattgefunden hat. | |
Stattdessen ist auf den Aufnahmen zu sehen, wie der Feuerwehrmann umkehrt, | |
nachdem er an der Gruppe bereits vorbeigelaufen war. Er geht auf einen der | |
Jugendlichen zu und schubst ihn, sodass dieser nach hinten taumelt. | |
Daraufhin versetzt ihm der inzwischen verurteilte Täter einen einzigen | |
Schlag von der Seite. Der Mann geht zu Boden. Warum der Mann noch einmal | |
zur Gruppe zurückgegangen ist, weiß man zu diesem Zeitpunkt noch nicht. | |
Später wird klar: Einer der Jugendlichen hatte ihn nach einer Zigarette | |
gefragt. Es gab ein kurzes Wortgefecht. | |
Schwald lobt in der Konferenz auch die gute Zusammenarbeit mit den | |
Medienvertreter:innen. Es ist aber nicht die Aufgabe der | |
Medienvertreter:innen, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Es ist die | |
Aufgabe der Presse, die Arbeit der Polizei kritisch zu begleiten und zu | |
hinterfragen. | |
Die Medienvertreter:innen fragen in Augsburg unter anderem nach Vorstrafen | |
und Nationalitäten der Verdächtigen. Sie fragen nicht, wie es möglich sein | |
soll, dass sich alle sechs neben dem Hauptverdächtigen anwesenden | |
Jugendlichen der Beihilfe zum Totschlag schuldig machen. Wer von ihnen | |
hätte absehen können, dass ein einziger Schlag tödlich endet? Selbst ein | |
Gutachter nennt das später eine „medizinische Rarität“. Wie hätten sie | |
ahnen sollen, dass dieser Schlag überhaupt fällt? Schon zu diesem Zeitpunkt | |
ist klar: Das Ganze ereignete sich innerhalb weniger Sekunden. | |
„Als Reaktion auf die tödliche Attacke am Königsplatz will die Polizei nun | |
auch Jugendgruppen wie die „54er“ genauer in den Blick nehmen. Es gehe auch | |
darum, dass Gruppen teils nachts in der Stadt unterwegs seien und in | |
angetrunkenem Zustand pöbelten. (…) Bestätigt wird, dass die Angehörigen | |
der Jugendgruppen vielfach einen Migrationshintergrund – also Wurzeln im | |
Ausland – haben.“ (Augsburger Allgemeine, vier Tage nach der Tat) | |
Polizei, Staatsanwaltschaft und die Presse erschaffen das Narrativ | |
[3][einer gewaltbereiten Gang von jungen Männern mit | |
Migrationshintergrund]. Beweis dafür soll ein Tattoo mit der Zahl „54“ am | |
Oberschenkel eines der Jungen sein – es sind die beiden letzten Ziffern der | |
Postleitzahl [4][des Stadtteils Oberhausen, in dem 70 Prozent der | |
Einwohner:innen einen Migrationshintergrund haben]. Insgesamt haben den gut | |
40 Prozent aller Augsburger:innen. Dass es sich bei den Beschuldigten um | |
eine „Gang“ handeln soll, dafür gibt es später keine Beweise. Die | |
Beteiligten selbst sagen im Prozess aus: Sie kannten einander zum Teil nur | |
flüchtig, waren am Tatabend zunächst in kleineren Gruppen unterwegs und | |
seien dann über den Kumpel von X und den Cousin von Y in dieser | |
Konstellation in der Innenstadt gelandet. | |
## 3 … die Tat woanders passiert wäre? | |
Augsburg ist die zweitsicherste Großstadt Deutschlands. Wenn hier eine | |
Gewalttat verübt wird, geht das nicht unter in einer Flut an Meldungen über | |
lokale Kriminalität. Die Augsburger:innen machen solche Taten betroffen, | |
weil sie selten sind. Sie machen aber offensichtlich auch wütend. | |
Augsburgs damaliger Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) und die | |
Stadtverwaltung veröffentlichen kurz nach der Tat eine Traueranzeige, in | |
der sie das Geschehene einen „tragischen Vorfall“ nennen. Gribl erhält | |
daraufhin Morddrohungen. Es wird ihm vorgeworfen, die Tat zu verharmlosen. | |
Er sagt: „Die Gesamtkulisse der Beiträge auf den Social-Media-Kanälen war | |
durch eine inakzeptable Aggressivität, Respektlosigkeit, Pietätlosigkeit | |
und Übergriffigkeit geprägt.“ | |
Woher kommt diese Wut – wenn wir die üblichen Trolle und | |
Instrumentalisierungsversuche mal außer Acht lassen? Das Opfer war ein | |
49-jähriger, weißer Mann, ein Familienvater, erschlagen auf dem Weg vom | |
Weihnachtsmarkt nach Hause, mitten in der Stadt. | |
Innerhalb von Augsburg geht es nicht nur darum, dass das Opfer ein | |
Feuerwehrmann war, sondern auch darum, dass es jeden hätte treffen können: | |
Das hätte ich sein können. Oder mein Mann, mein Vater, mein Sohn. Ein Satz, | |
den ich Weihnachten 2019 nicht nur einmal und nicht nur im Kreis der | |
Familie gehört habe: „Stell dir mal vor, du gehsch aufn Grischkindlsmarggd | |
und kommsch nimmer zruck!“ | |
[5][Am selben Dezemberwochenende spielte sich in Augsburg noch eine andere | |
Tat ab]: Ein damals 35-Jähriger griff einen damals 50-Jährigen unvermittelt | |
von hinten an. Der 35-Jährige schlug dem Opfer mehrfach heftig gegen den | |
Kopf und hörte nicht auf, als der Mann bereits am Boden lag. Der Mann | |
überlebte knapp. Die Tat ereignete sich vor einem Rock-Club außerhalb der | |
Innenstadt, in den wahrscheinlich nur sehr wenige Augsburger:innen je einen | |
Fuß gesetzt haben. Sie erhielt nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit. | |
Nach drei Monaten kamen sechs der sieben jungen Männer nach einer | |
Haftbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht frei. Eine Anklage wegen | |
Totschlags und Beihilfe dazu ließ die Augsburger Jugendkammer nicht zu. | |
[6][Der Haupttäter wurde zu viereinhalb Jahren wegen Körperverletzung mit | |
Todesfolge verurteilt.] Dabei wird juristisch gesehen der Tod des Opfers | |
zwar fahrlässig in Kauf genommen, aber nicht vorsätzlich verursacht. | |
Richter Lenart Hoesch leitete den Prozess mit den Worten ein: „Es ist nicht | |
Aufgabe der Kammer, irgendwelche vermeintlich bestehenden | |
gesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen.“ | |
Es wäre auch nicht die Aufgabe der Polizei, Staatsanwaltschaft und der | |
Presse gewesen. | |
6 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Gewalt-Herkunft-und-Geschlecht/!5649397 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?reload=9&v=kTwqw-_I1Jo | |
[3] /Getoeteter-Feuerwehrmann-in-Augsburg/!5667509 | |
[4] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/So-praegen-Migranten-das-Lebe… | |
[5] https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Attacke-vor-Spectrum-Club-Sch… | |
[6] https://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburg-koenigsplatz-feuerwehrmann-proz… | |
## AUTOREN | |
Tanja Mokosch | |
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