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# taz.de -- Öffentliche Klos und Corona: Flanieren mit voller Blase
> Seit Kneipen und Kinos geschlossen haben, ist Spazierengehen das neue
> Ausgehen. Wäre da nur nicht der Mangel an öffentlichen Toiletten.
Bild: In Berlin fehlt's in Coronazeiten an öffentlichen Klos
Neulich bin ich mit Freund*innen einen Samstagnachmittag lang durch
Schöneberg spaziert – was man halt so macht seit Beginn der
Coronamaßnahmen. Es war schrecklich. Nicht etwa weil meine Zehen
eingefroren waren oder mir Spazieren langsam zum Hals heraushängt. Sondern
weil ich super dringend aufs Klo musste. Erst habe ich in etlichen Cafés
auf der Akazienstraße gefragt, die Getränke zum Mitnehmen verkauft haben,
ob ich kurz deren Toilette benutzen könnte. „Sorry, das dürfen wir laut
Coronaverordnung nicht erlauben“, lautete überall die Antwort. Dann bin ich
zur Kaiser-Wilhelm-Passage gelaufen – in dem Glauben, dort gewiss meine
Blase entleeren zu können. Doch in dem gesamten Einkaufszentrum gab es
keine einzige Toilette (ich habe sogar bei einem Optiker nach einer
Kundentoilette gefragt).
Wir sind weiter durch den Kiez spaziert, auf der Suche nach einer kleinen
Grünfläche mit ausreichend großem Busch. Auf Gespräche mit meinen
Freund*innen konnte ich mich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr
konzentrieren, zu stark war das Ziehen im Unterleib. Irgendwann haben wir
ein Dixi-Klo auf der Hauptstraße entdeckt. „Meine Rettung“, dachte ich, als
ich erleichtert mit großen Schritten darauf zueilte. Doch ob Sie es glauben
oder nicht: Es war mit einem Vorhängeschloss verschlossen – und ich kurz
davor, mich hinter ein parkendes Auto zu hocken und drauflos zu pieseln –
so wie Jessa in der HBO-Serie „Girls“. Da Jessa aber daraufhin verhaftet
wird, habe ich mich dagegen entschieden. Letztlich bin ich vorzeitig und
mit voller Blase nach Hause gefahren.
So wie mir ging es vermutlich schon vielen Berliner*innen während des
Shutdowns. Seit Restaurants und Kneipen geschlossen sind, ist
Spazierengehen das neue Ausgehen. Im Tiergarten, am Maybachufer, im
Bergmannkiez: Überall sieht man Menschen, die mit Glühwein oder Radler in
der Hand herumlaufen. Und jetzt, wo man wegen Corona nicht mehr schnell zum
Pipimachen ins nächste Café huschen kann, fällt erst mal auf, wie wenige
öffentliche Toiletten es in Berlin gibt. Das ist gerade für Menschen mit
Gebärmutter und Blasenschwäche ein Problem.
In der ganzen Stadt befinden sich insgesamt nur 264 Toilettenhäuschen – für
mehr als 3,762 Millionen Einwohner*innen. Sie werden von der Wall AG
betrieben und sind kostenpflichtig. Wer aufs Klo muss, muss 50 Cent
bezahlen.
## Besonders schlecht: Parks
Besonders schlecht aufgestellt sind die Berliner Parks: Im 210 Hektar
großen Tiergarten gibt es fünf Toilettenanlagen, von denen zwei geschlossen
sind. Im Mauerpark, im Park am Gleisdreieck und in der Hasenheide gibt es
jeweils eine WC-Anlage, im Monbijoupark, im Goethepark, im
Fritz-Schloß-Park, in den Volksparks Rehberge und Prenzlauer Berg gar
keine.
Manche Toiletten sind derzeit auch außer Betrieb, etwa die auf dem
Boxhagener Platz, dem Mariannenplatz, dem Lausitzer Platz, dem
Friedrich-Wilhelm-Platz oder dem Oranienplatz (wobei Letztere ein Pissoir
und daher ohnehin für viele Menschen ungeeignet ist).
Die Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr weist den Vorwurf von zu
wenigen öffentlichen Toiletten zurück: „Die Zahl der Toilettenanlagen wird
bis zum Sommer 2021 auf 281 erhöht.“ In den nächsten zwei Jahren sollen
noch weitere 85 Anlagen hinzukommen. Diese würden laut Senatsverwaltung auf
alle Bezirke verteilt und „in Parks, auf Spielplätzen oder an U- und
S-Bahnhöfen“ aufgestellt. Wo genau, stehe noch nicht fest.
Zusammen mit den zusätzlichen 85 Toilettenhäusern hätte Berlin Ende 2022
dann 366 Stück. Das sind zwar knapp hundert Anlagen mehr als heute. Im
Vergleich zu anderen Großstädten wie Hamburg aber immer noch wenig. Um auf
dieselbe Toilettenquote wie die Hansestadt zu kommen, müsste Berlin die
Anzahl der Toilettenhäuser auf 437 erhöhen.
Immerhin hat die Senatsverwaltung einen guten Tipp gegeben: die App
„Berliner Toilette“. Darauf werden nicht nur alle Klos in der Umgebung
angezeigt, sondern auch, ob man mit Münzen oder per App bezahlen kann.
Hätte ich die App bei meinem Spaziergang in Schöneberg gekannt, hätte ich
nicht Stunden leiden und mich vorzeitig von meinen Freund*innen
verabschieden müssen. Denn 350 Meter von der Kaiser-Wilhelm-Passage
entfernt wäre eine öffentliche Toilette gewesen.
1 Dec 2020
## AUTOREN
Rieke Wiemann
## TAGS
Lockdown
Toilette
Schwerpunkt Coronavirus
Geflüchtete Frauen
Schwerpunkt Coronavirus
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