# taz.de -- Medwedew erstmals Tennis-Weltmeister: Alles unter Kontrolle | |
> Dem russischen Tennisprofi Daniil Medwedew gelingt beim Gewinn der ATP | |
> Finals in London ein Kunststück: Er schlägt die drei besten Spieler der | |
> Welt. | |
Bild: Er liebt sie wirklich: Medwedew küsst die Siegertrophäe der ATP-Tour | |
Andere sinken nach einem großen Sieg wie vom Blitz getroffen nieder, liegen | |
auf dem Bauch oder recken zumindest den Schläger in die Luft. Daniil | |
Medwedew macht so was nicht. Auch diesmal, nach dem Titelgewinn bei den ATP | |
Finals in London gegen Dominic Thiem (4:6, 7:6, 6:4), schlenderte er nach | |
dem letzten Ball ungerührt zum Netz und sah aus, als käme er nach einer | |
Besprechung aus dem Finanzamt. Die Fotografen am Rande des Platzes nahmen | |
es seufzend hin; wieder mal zwei Stunden vergeblich auf den perfekten Jubel | |
gewartet. | |
Aber von diesen persönlichen Befindlichkeiten mal abgesehen, setzte | |
Russlands bester Tennisspieler mit dem Erfolg im Finale gegen den besten | |
aus Österreich eindrucksvoll den letzten Punkt nach elf Jahren des Turniers | |
an diesem Ort vor dem Umzug nach Turin. Und ein passenderes Ende hätte es | |
kaum geben können, denn den ersten Titel im Londoner Osten hatte auch ein | |
Russe gewonnen, [1][Nikolai Dawidenko]. Der gehörte zu den Idolen des | |
jungen Medwedew, kommentierte diesmal das Finale für das russische | |
Fernsehen, und hinterher fanden die beiden Zeit für einen kleinen Plausch. | |
Das sei super cool gewesen, fand der Nachfolger, und so schloss sich der | |
Kreis. | |
Aber man konnte ihm nicht nur zu diesem Auftritt gegen Thiem gratulieren, | |
sondern zum ganzen Turnier, in dem er von Anfang bis Ende großartig | |
gespielt und innerhalb einer Woche gegen die Nummern eins (Novak Đoković), | |
zwei (Rafael Nadal) und drei (Thiem) der Weltrangliste gewonnen hatte. Das | |
hatte beim Turnier der besten acht noch nie einer geschafft. Aus dem | |
bescheidenen Vorhaben, im Gegensatz zu 2019 in London diesmal wenigstens | |
ein Spiel zu gewinnen, wurde eine nachdrückliche Erinnerung, was die Welt | |
des Tennis an Daniil Medwedew aus Moskau, seit Jahren in Monte Carlo | |
lebend, Nummer vier der Rangliste und 24 Jahre alt, hat. | |
Einen jungen Mann, der nicht nur Englisch, sondern auch ziemlich perfekt | |
Französisch spricht, weil er seit vielen Jahren von einem Franzosen | |
trainiert wird, Gilles Cervara. Einen, der in seiner Jugend auf einer der | |
besten Schulen des Landes ein Faible für Mathe und Physik entwickelte, der | |
nicht ganz überraschend ein recht guter Schachspieler ist und von sich | |
behauptet, falls er nicht gerade angespannt sei oder Angst habe, sei er bei | |
kleinen Reden und Interviews ziemlich gut. | |
## Das Spiel mit den Gegnern | |
Das wäre den Gegnern vermutlich egal, denn mit Reden hat noch keiner was | |
gewonnen. Aber zu den speziellen Fähigkeiten des fast zwei Meter langen | |
Russen gehört es, mit dem Typen auf der anderen Seite des Platzes Katz und | |
Maus zu spielen, ihn mit seinem extrem unberechenbaren Spiel verrückt zu | |
machen. Nun gehören Taktik und Adaption zum Arsenal jedes besonderen | |
Tennisspielers, aber bei Medwedew kommt die Bereitschaft dazu, den anderen | |
möglichst oft und möglichst nachhaltig aus der Fassung zu bringen. | |
Wer mit den Nerven der anderen spielt, sollte sich selbst allerdings im | |
Griff haben; das war in der Vergangenheit nicht immer so, um es vorsichtig | |
auszudrücken. Natürlich wird Medwedew in diesem Zusammenhang [2][immer | |
wieder auf das Spiel gegen Rafael Nadal] bei den ATP Finals vom vergangenen | |
Jahr angesprochen, als er das Ding nach einem vergebenem Matchball beim | |
Stand von 5:1 verzittert und verloren hatte. | |
„So was kannst du nicht machen, wenn du an der Spitze sein willst“, sagt er | |
dazu heute, „die Lektion habe ich gelernt. Ich arbeite seit vielen Jahren | |
an meiner mentalen Stärke, und auch wenn ich manchmal noch ausraste, ist | |
das nichts im Vergleich zu meinen jungen Jahren.“ | |
So wie damals, als er mit 14 bei einem Juniorenturnier in Kroatien gegen | |
den drei Jahre älteren Dominic Thiem spielte und verlor und der hinterher | |
zu ihm sagte: „Junge, du hast vielleicht eine gute Zukunft vor dir, aber du | |
musst ein bisschen ruhiger werden.“ Die Fortschritte sind längst | |
unübersehbar, auch im Vergleich zum Vorjahr. Bei den US Open 2019 hatte er | |
sich mit dem Publikum angelegt, doch am Ende in den fünf denkwürdigen | |
Sätzen des Finales gegen Rafael Nadal mochten ihn die Leute dann wieder. | |
Aus jener Zeit jedenfalls stammt seine Nullnummer beim Jubel, und er sagt, | |
er werde dabei bleiben; keine gute Nachricht für Fotografen. | |
23 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Nikolai_Wladimirowitsch_Dawydenko | |
[2] /Finale-der-US-Open/!5621163 | |
## AUTOREN | |
Doris Henkel | |
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